Buchtipp: Jahrbuch Polen 2016 – Minderheiten

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Jahrbuch Polen 2016 Minderheiten, Foto: Buchcover, www.harrassowitz.de

Buchtipp Jahrbuch Polen 2016 Minderheiten,

Im Jahrbuch Polen 2016 dreht sich alles um die Minderheiten in Polen. Dabei setzt sich der nun schon 27. Band dieser Publikationsreihe, die vom Deutschen Polen-Institut herausgegeben wird, mit historischen wie gegenwärtigen Entwicklungen der in Polen ansässigen Minderheitengruppen, -strukturen und -identitäten auseinander. Und natürlich geht es auch um Polens Weg von der Multikulti-Vorkriegszeit bis hin zum heutigen wohl ethnisch homogensten Staat Europas.

Der Weg Polens zum ethnisch homogenen Staat

Noch am Vorabend des Zweiten Weltkriegs stellten nationale Minderheiten mehr als ein Drittel der Bevölkerung Polens dar. Die im und nach dem Krieg erfolgte ethnische Homogenisierung hatte politische und gesellschaftspsychologische Gründe: Die Nationalitäten im Osten – Ukrainer, Belarussen, Litauer – fanden sich nun mehrheitlich in den neuen Grenzen der Sowjetunion wieder, die Juden wurden im Holocaust dezimiert, ein Zusammenleben mit Deutschen schien aufgrund der traumatischen Kriegserfahrungen nicht mehr möglich. Heute machen Vertreter nationaler und ethnischer Minderheiten nur etwa 1,5 Prozent der polnischen Bevölkerung aus. Nach der Zeit der restriktiven Minderheitenpolitik in der Volksrepublik bekennt sich das demokratische Polen seit dem politischen Umbruch von 1989 zu seinen nationalen und ethnischen Minderheiten. Insgesamt kann von einer erfreulichen Entwicklung der Gesetzgebung, aber auch von einer immer mehr interessierten Wahrnehmung der Minderheiten durch die Politik und die Öffentlichkeit gesprochen werden. Gerade in Hinblick auf die Anerkennung der Deutschen in Oberschlesien als nationale Minderheit und die anfänglichen Berührungsängste auf beiden Seiten kann heute von einer entspannten Situation ausgegangen werden, auch wenn hier und da Probleme auftauchen. Der polnische Staat stellt dementsprechend auch nicht unerhebliche Finanzmittel bereit, um dem Ziel der Bewahrung der kulturellen und nationalen Identität der Mitglieder nationaler und ethnischer Minderheiten zu dienen.

Die Essays

Hans-Jürgen Bömelburg beschwört in seinem Beitrag das Erbe der multikulturellen Adelsrepublik (Rzeczpospolita) und leitet daraus Handlungsempfehlungen für die gegenwärtige Flüchtlingspolitik Polens ab. Der Autor Jan Sowa überlegt, wie es ist, vom historischen Erbe der Multikulturalität und –konfessionalität abgeschnitten zu sein, was den Polen nach 1945 zugemutet wurde. Und Lech Nijakowski erklärt die rechtliche Lage der Minderheiten aufgrund der Entwicklung der polnischen Gesetzgebung. Es folgen Beiträge, die verschiedene Minderheitengruppen in Polen charakterisieren bzw. die Lage der „polnischen Minderheit“ (Polonia) in den Nachbarstaaten Polens beleuchten.Der Begriff Minderheit geht über den durch Staat organisierten Bereich der Ethnie und Nationalität hinaus. Davon zeugen weitere Texte, die sich u.a. mit der Geschichte freiheitlich gesinnter sozialer Bewegungen (Maciej Gdula) und der Minderheitenkunst in Warschau (Joanna Erbel) beschäftigen. Umschlag und Bildergalerie besorgte Joanna Furgalinska.

Der Band bietet eine große Vielschichtigkeit und stellt das Thema aus vielen Perspektiven dar. Der Leser erhält hier einen kompakten Überblick über die ethnischen und nationalen Minderheiten im heutigen Polen und das Lebensgefühl der Mitglieder dieser Minderheiten dar. Wunderbar wie immer der Text des großartigen Sokrat Janowicz, der bei einem Seminar in Masuren auf die Frage, was den weißrussischen Polen von einem Weißrussen aus dem Mutterland unterscheidet lapidar antwortete: Sie essen sogar anderes Brot.

„Die“ deutsche Minderheit

Vielleicht liegt es daran, dass der Band nicht zu deutschlastig werden sollte, doch die deutsche Minderheit hätte einen etwas weiter gefassten Blick verdient. Hier bekommt der Leser den Eindruck, die Deutschstämmigen Polens wären alle Oberschlesier. Das ist aber keinesfalls so, auch im Norden Polens gibt es Deutsche, die sich in Vereinen organisiert haben, die wiederum Mitglieder des VdG in Oppeln sind. Ihr Leben unterscheidet sich sehr von den Oberschlesiern, denn sie leben nicht in einem relativ geschlossenen Siedlungsgebiet sondern sehr zerstreut, wie zum Beispiel im dünn besiedelten Masuren. Dort lebt die große Mehrheit der Deutschen längst in gemischten Familien in der multikulturellsten Region Polens. Diese Multikulturalität bindet auch die Deutschen ein, es gibt gute Kontakte und viele gemeinsame Veranstaltungen und Seminare mit Beteiligung der deutschen, ukrainischen, litauischen, weißrussischen Minderheit. Alle diese Minderheiten sind integriert in die polnische Mehrheitsgesellschaft. Auch die Vorkriegsgesellschaft war über Jahrhunderte multikulturell geprägt mit der Besonderheit der schwebenden Nationalität bei Ermländern und Masuren, dazu kommt die neu entstehende Regionalidentität, die dieses multikulturelle Erbe mit einbezieht, auch die deutsche Kultur und Geschichte.

Das Ermland und Masuren lagen schon immer eher im Rücken der Geschichte, das scheint heute nicht viel anders zu sein. Die Rahmenbedingungen und das Lebensgefühl der Deutschen sind immerhin so anders, dass eine genauere Darstellung diese Buchbesprechung sprengen würde. Aber vielleicht muss man diese Vereine auch vom Tag ihres Entstehens an von innen und außen kennen, um diese Unterschiede zu kennen. Ein zweites Artikelchen oder ein kleiner zusätzlicher Essay hätte da nicht schaden können. Aber vielleicht sind die Unterschiede auch so groß, dass man von „der“ deutschen Minderheit nur scher sprechen kann.

Dies ist keine Kritik sondern wäre mehr ein Wunsch an das 27. Polen Jahrbuch gewesen. Ansonsten ist das Jahrbuch Polen 2016 wieder wie schon gewohnt ein großartiges und dabei handliches Kompendium zum Thema, dass jeder lesen sollte, der sich über dieses Thema informieren will.
Foto: Buchtipp Jahrbuch Polen 2016 Minderheiten, (c)Buchcover, www.harrassowitz.de


Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".