Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Die Tage der nationalen Trauer für die 96 Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk sin in Polen vorüber. Aufgearbeitet ist der Verlust eines beträchtlichen Teils der polnischen Elite damit noch lange nicht. „Die größte Tragödie der Nachkriegszeit“, wie Premier Tusk die Katastrophe nannte, ist ein großer Schlag für alle Polen. Trotzdem muss der Alltag zurückkehren, obwohl längst noch nicht alle Opfer identifiziert und zu Grabe getragen sind.
Die polnische Verfassung gebietet die Wahl eines neuen Präsidenten binnen zweier Monater – schwierig, wenn zwei der drei designierten Kandidaten tot sind. Der dritte der Kandidaten ist Sejmmarschall Bronislaw Komorowski, der jetzt auch geschäftsführender Präsident ist. Er hat es schwer zur Zeit, schauen die Polen ihm doch ganz genau auf die Finger, ob er nicht etwa versucht, aus der Situation Profit zu schlagen, was allerdings sein politischer Tod wäre.
Am schwerwiegendsten ist, dass Polen derzeit praktisch keine Opposition hat – ein für eine Demokratie ungesunder Zustand. Die PiS von Jaroslaw Kacuynski ist fast aller ihrer Köpfe und Ideengeber beraubt. Entscheidend für die Zukunft der PiS ist Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten. Letztlich wird vor allem er entscheiden, welches Gesicht eine neue piS hat.
Wenn man in diesen Tagen trotz aller Trauer – alle Parlamentsparteien haben Abgeordnete und Funktionsträger unter den Toten – zur rationalen Politik zurückkehrt, wird Polen ein anderes Land sein und nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können.
Doch die Tragödie hatte auch ein kleines Licht im Dunkel des Leids: Die große Anteilnahme buchstäblich aus allen Ecken der Welt. Mit fast ungläubigem Staunen sah man die Liste der Staatsgäste, die sich zur Beisetzung angesagt hatten. So etwas hatte die Welt allenfalls bei Kennedys tod gesehen. Das zeigte den Polen deutlicher als alles andere, dass das Land seinen Platz in Europa gefunden hat und sich weltweiter Anerkennung erfreut. Da spielt es auch keine große Rolle, dass die meisten Delegationen wegen der Vulkanaschewolke nicht kommen konnten.
Erstmals in dieser Katastrophe konnten die Polen also feststellen, von warmherzigen Nachbarn umgeben zu sein. Vor allem viele Reaktionen aus Deutschland und Russland wurden in Polen durchaus wahrgenommen. Erstmals in der Geschichte sieht man die Hoffnung am Horizont, dass eine russische Umarmung nichts Bedrohliches sein muss. Man kann für Polen nur hoffen, dass seine Politiker sich auch morgen noch daran erinnern, dass sie es als Vermächtnis der Opfer betrachten, nicht nur den Politikstil im Lande zu verbessern, sondern vor allem ein versöhnliches Verhältnis mit Russland zu gestalten.
Sowohl Donald Tusk als auch Bronislaw Komorowski haben in ihren Trauerreden betont, man wolle die Träume der Opfer für Polen in die Zukunft mitnehmen. Man wird sie daran messen. Die Demokratie in Polen hat sich als stabil erwiesen und wird diesen Schlag überstehen – Polen hat einen schweren Verlust auch an Kompetenz erlitten, doch führerlos ist das Land nicht.
Durch die Tragödie sind allerdings die vorher bestehenden Interessen- und Meinungsgegensätze im Land nicht verschwunden. Sie werden nach den Tagen der Trauer wieder zu Tage treten.
In diesem Sinne, Ihre
Brigitte Jäger-Dabek
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