Holocaust: Poklosie-Ein Film rüttelt am Geschichtsbild der Polen

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Poklosie, polnischer Film von W.Pasikowski, FilmplakatPoklosie, zu deutsch Nachlese, ist ein Thriller des polnischen Regisseurs Wladyslaw Pasikowski, der auch Monate nach der Premiere noch die polnische Gesellschaft aufwühlt. Dieser Film rührt an dem Selbstbild der Polen, in der Geschichte immer Opfer gewesen zu sein. Das Thema ist explosiv in Polen, denn es geht um das Verhältnis der christlichen Polen zu ihren jüdischen Nachbarn zur Zeit der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg. Vor Kriegsbeginn lebten drei Millionen Juden in Polen, von denen 90% im Holocaust ermordet wurden. Mit ihnen ging ein reiches kulturelles Erbe unwiederbringlich verloren.

Jahrzehnte lebten die Polen in dem Selbstverständnis, ausschließlich Opfer gewesen zu sein und dazu die Nation, die unter dem Zweiten Weltkrieg und der deutschen Besatzung am meisten gelitten zu haben. Auschwitz war für die Menschen in Polen hauptsächlich der Ort polnischen Leidens und wehniger des millionenfachen Judenmords. Kollaboration war in diesem Geschichtsverständnis kein Thema.

Der jüdische polnisch-amerikanische Historiker und Publizist Jan Tomasz Gross änderte das radikal mit der Veröffentlichung seines Buches Sasiedzi (Nachbarn) im Jahr 2000 und kratzte an diesem Selbstbild. Er beschrieb in diesem Buch das Schicksal der jüdischen Bevölkerung von Jedwabne, einer Kleinstadt im Nordosten Polens. Der Ort gehörte gemäß Ribbentrop-Molotow-Vertrag zu den an die Sowjetunion fallenden polnischen Territorien und wurden 1939 zunächst von der einmarschierenden Roten Armee besetzt. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurde Jedwabne 1941 von deutschen Truppen besetzt.

Am 10. Juli 1941 wurden die jüdischen Einwohner Jedwabnes von ihren christlichen Nachbarn zunächst auf dem Marktplatz zusammengetrieben und in eine Scheune außerhalb Jedwabnes gejagt, dort eingesperrt und bei lebendigem Lein verbrannt. Es soll sich nach Untersuchungen des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) und Forschungen von Historikern um etwa 340 jüdische Menschen gehandelt haben. Die Untersuchungen brachten dabei zutage, dass es in Polen etwa 60 solcher Mordaktionen gegeben hat. Auch nach dem Krieg hatte es ein Mordpogrom in Kielce gegeben, wo am 4.Juli 1946 von christlichen Polen Jagd auf Holocaust-Überlebende gemacht wurde. Gut 80 von ihnen wurde schwer verletzt, über 40 ermordet.

Der Film Poklasie ist nicht etwa eine Verfilmung des Dramas von Jedwabne, nimmt aber deutlich Bezug auf die Pogrome des Sommers 1941. Nicht der Tatort Scheune von Jedwabne ist Spielort, sondern das Weizenfeld des Bauern Jozef Kamina, der von Maciej Stuhr gespielt wird und den elterlichen Hof im Osten Polens bewirtschaftet. Sein Bruder Franciszek lebt seitzwei Jahrzehnten in den USA und besucht den Bruder.

Jozef Kalina hat lauter jüdische Grabsteine entdeckt, als Pflastersteine für die Dorfstraße, in Scheunen- und Stallfundamenten, in Hofbefestigungen und Zaunfundamenten und als Grabsteine auf dem Gemeindefriedhof. Auf die Frage, wo denn der jüdische Friedhof gewesen sei und was mit den Juden passiert sei, hört Kalina von älteren Dorfbewohnern, die Deutschen hätten ihn zerstört und die Juden ermordet. Kalina fragt weiter und erntet Audflüchte und Schweigen, bald treten ihm seine Nachbarn feindselig gegenüber. Doch Kalina gibt keine Ruhe, kauf den Nachbarn die jüdischen Grabsteine ab, gräbt sie auf der Straße aus und stellt sie in langer Reihe auf seinem Weizenfeld auf. Er lernt Hebräisch, um die Inschriften lesen zu können. Auf die Frage seines Bruders, warum er das tue, antwortet Jozef Kalina, nicht anders zu können.

Die Nachbarn fassen diesen symbolischen jüdischen Friedhof von bald 300 Grabsteinen als Provokation auf, als Bedrohung des sorgfältig gehüteten Schweigens, das buchstäblich Gras über das Verschwinden der jüdischen Bevölkerung hat wachsen lassen. Anonyme Warnungen und Drohungen häufen sich, ein Stein fliegt durchs Fenster, der Hund wir umgebracht. Eines nachts graben die Brüder die Gebeine zahlreicher Ermordeter aus.Die Brüder decken nach und nach die Wahrheit auf, das ganze Dorf hatte am Mord an den Juden zugesehen oder war beteiligt, wie der eigene Vater, selbst das eigene Land hatte einem Juden gehört, entdeckt Franciszek beim Grundbuchamt. Der Film arbeitet mit den Zutaten des Horrofilms oder Thriller mit einer Steigerung der Spannung bis ins Unerträgliche. Er kulminiert mit der symbolträchtigen Hinrichtung Jozef Kalinas, der an seinem eigene Scheunentor gekreuzigt wird.

Mit inzwischen etwa 300.000 Zuschauern seit der Premiere Anfang Oktober 2012 ist der Film auch kommerziell ein Erfolg. Der unbequeme Film mit seiner hohen Symbolkraft und dem Angriff auf die Emotionen der Zuschauer hat die Debatte um polnische Beteiligungen an Verbrechen der Besatzungszeit und der Kollaboration einzelner Polen neu entfacht. Mehr als das Buch, das die Debatte der intellektuellen Elite Polens in Gang brachte, die trägt die Macht der Bilder den Diskurs nun in alle Kreise der Gesellschaft. Erschreckend an dieser neuen Debatte ist der Ton, der in dieser Auseinandersetzung herrscht – man kann sehr wohl von einer Sprache nicht nur der Unversöhnlichkeit, sondern gar des Hasses sprechen. Dazu braucht man nur die einschlägigen Internetseiten rechtsnationaler oder nationalkatholischer polnischer Kreise anzusehen. Hasstiraden ergießen sich über Regisseur Pasikowski und Hauptdarsteller Stuhr, Nestbeschmutzer und Verleumder, Juden und Vaterlandsverräter werden sie genannt.

Uwazam Ze, Ausgabe vom 19.11.2012 zum Film PoklosieDer Film Poklosie werde für die Welt als Beweis dienen, dass Polen am Holocaust beteiligt war, heißt es in der Ausgabe vom 19. November 2012 im konservativen Magazin „Uwazam ze“, das mit der Schlagzeite titelt „Wie die polnische Erinnerung ausgelöscht wird“. Dort kommt auch der Historiker Piotr Zychowicz zu Wort, der den Film für fatal einseitig hält. Zwar würden zahlreiche historische Quellen keinen anderen Schluss zulassen, als dass tatsächlich auch Polen sich im Zweiten Weltkrieg Juden gegenüber grausam verhalten hätten. Doch meint er, dass gerade in Jedwabne, das ja zuerst von der Sowjetunion okkupiert wurde, zuerst einige Juden mit den Organen der Sowjetunion kollaboriert hätten und christliche Nachbarn denunziert hätten. Dafür hätten sich ein Teil der Polen später gerächt. Weiter gab er zu bedenken, dass die späteren Judenmörder doch das Produkt der deutschen Besatzung und der Brutalisierung durch den Krieg gewesen sein. Außerdem hatte der deutsche und russische Massenmord die polnische Gesellschaft bereits ihrer Elite beraubt. Zychowicz kommt mit dieser Begründung zu dem Schluss, Poklosie sei ein fatal schlechter Film und unverschämte Propaganda sowie primitive Agitation und stelle Polen als primitiv antisemitisch dar.

Attacken dieser Art zeigen durchaus Wirkung: Manche Kinos besonders in den nationalkatholischen Hochburgen setzten den Film ab, auch auf lokaler Ebene wird der Film als Machwerk der Zydokomuna, der angeblich jüdisch dominierten kommunistischen Regierung diffamiert, Regisseur und Hauptdarstellern wird abgesprochen Pole zu sein, nennen den Film antipolnisch.

Aneder kritiker hingegen sind des Lobes voll Regisseur Andrzej Wajda, Kulturminister Zdrojewski, Historiker Persak und liberale Medien wie die Tageszeitung Gazeta Wyborcza halten den Film für wichtig und die Protagonisten für mutig.

Vor allem auf deutscher Seite darf man nicht vergessen, dass es der deutsche Antisemitismus war, der den Holocaust plante und durchführte. Dazu gibt es in keinem anderen Land so viele Auszeichnungen als „Gerechter unter den Völkern“. Über 6.300 christliche Polen wurden mit dieser Auszeichnung für ihren Einsatz zur Rettung jüdischer Menschen geehrt.


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Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".