Polen, Griechenland und der Euro

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Der Euro, Griechenland und Polen

Der Euro, Griechenland und Polen,

Polen, die sechstgrößte Volkswirtschaft innerhalb der EU ist das wirtschaftliche Vorzeigeland der Gemeinschaft und betrachtet die Griechenland-Krise mit relativer Distanz. Der Euro-Beitritt ist derzeit kein Thema. Das gilt vor allem für das politische Warschau. Die Leute auf der Straße sind nach wie vor von der EU an sich überzeugt, wollen aber den Euro nicht. Sie lehnen weitere Finanzhilfen für Griechenland weit überwiegend ab, Solidaritätsgefühle mit den Griechen gibt es kaum.

Polen und der Eurobeitritt

Um die eigene Währung zu schützen, hatte man seinerzeit den polnischen Zloty als nationale Währung in der Verfassung festgeschrieben. Eine ernsthafte, breitere Schichten erreichende Diskussion um den Euro als Ersatz gab es in Polen erst bei der Präsidentenwahl im Frühjahr.

Die polnischen Parteien haben Stellung bezogen, die PO positioniert sich als Eurobefürworter, die PiS als Eurogegner. Hauptargument der PO ist Polens Rolle in der EU. Um ein starker EU-Player zu sein, brauche das Land den Euro, tönt es von dort. Der scheidende Präsident Komorowski hört nicht auf zu warnen, Polen könnte zu einem politischen Leichtgewicht mutieren, wenn es kein Euroland werde. Auch den Entwurf eines Europas der zwei Geschwindigkeiten fürchtet die PO und den Einflussverlust, den ein Polen hinnehmen müsste, das nicht Euroland ist. Es würde nicht an einer schnelleren Integration der Euro-Mitglieder teilnehmen, die vor allem nach einem noch immer nicht auszuschließenden Grexit kommen werde, lautet das Argument. Unternehmer sehen als weiteren Vorteil der Euromitgliedschaft den Wegfall des Wechselkursrisikos und die dadurch bedingte Stärkung von Handel und ausländischen Direktinvestitionen.

Nach Meinung des Vorsitzenden der nationalkonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit PiS kann der Zloty noch vierzig Jahre bleiben. Das sieht auch sein Parteifreund, der gewählte neue Präsident Andrzej Duda so. Die Spitzenkandidatin für die Parlamentswahl im Oktober Beata Szydlo, hat auch schon betont, den Euro im Fall ihres Wahlsiegs derzeit nicht einführen zu wollen. Damit aber traf die PiS im Wahlkampf der Präsidentschaftswahl die Stimmungslage im Volk und nicht die PO. Die sich schon abzeichnende Griechenlandkrise warf ihre Schatten und die Polen fürchteten, auch zu Zahlungen für Griechenland in Anspruch genommen zu werden. Inzwischen hat sich Volkes Meinung immer weiter zu Ungunsten einer Euro-Einführung bewegt.

Leszek Balcerowicz, der einstige Architekt der polnischen Wirtschaftsreformen sieht in einem Pressegespräch das Für und Wider der Euroeinführung differenzierter. Seiner Meinung nach sollte Polen in absehbarer Zeit nicht beitreten. Zur Euro-Einführung wäre obendrein eine Verfassungsänderung nötig, da der Zloty in der polnischen Verfassung als Währung festgelegt ist. Für eine Verfassungsänderung sei aber egal, wer nun im Oktober die Wahl gewänne, keine verfassungsändernde Mehrheit denkbar. Nach Ansicht von Balcerowicz müsse man in Polen noch immer wichtige Reformen beziehungsweise Reformen der Reformen durchführen, das gehöre noch immer zum Aufholprozess. Polen sei gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen und sei als einziges EU-Mitglied nicht in die Rezession geraten. Dabei habe der Zloty essentiell geholfen, erklärte Balcerowicz. Der Zlotykurs fiel und Polens Exporte stiegen und stiegen. Von dieser Art der Abwertung konnten die Euro-Mitglieder nicht profitieren. Abwarten ob es innerhalb des Euroraums grundlegende strukturelle Änderungen gäbe, sei für ihn eine kluge Option, er sähe einen möglichen Eurobeitritt seines Landes nicht vor 2020, schloss Balcerowicz seine Ausführungen. Zwar ist die Mehrheit der Polen Europa gegenüber positiv eingestellt, doch hat sich die Stimmung inzwischen entschieden gegen den Euro gewandt.

Polens Erfolge

Auf Polen wartet immer noch die beim EU-Beitritt 2004 eingegangene Verpflichtung dem Euroraum beizutreten. Für diesen Beitritt gibt es kein festgelegtes Datum. Derzeit ist man in Polen froh, diesen Schritt bisher nicht getan zu haben, obwohl unser Nachbarland seit Jahren als erster Anwärter gesehen wird. Polens Entwicklung nach dem EU-Beitritt stellt sich als große Erfolgsgeschichte dar. Polen glänzt mit einer Staatsverschuldung von nur 50,1% (31.12.2014). Die Maastricht-Kriterien für die EURO-Währungs­union fordern unter anderem eine Gesamt­verschuldung eines jeden Staats von nicht mehr als 60% des BIP. Deutschland erfüllt dieses Kriterium mit 74,7% Staatsverschuldung nicht. Polen erfüllt fast alle Beitrittskriterien zum Euroraum, nur das Staatsdefizit ist mit knapp 3% des BIP etwas zu hoch. So ist Polen der Musterknabe der EU mit all seiner Haushaltsdisziplin, seiner Sparpolitik und seinem ungebrochenen Wirtschaftswachstum selbst in der Finanzkrise 2008/2009 – vordergründig sind also alle Daten auf Erfolg programmiert. Man ist nun wer in Europa, polnische Politiker wie Jerzy Buzek als EU-Parlamentspolitik und Donald Tusk als EU-Ratsvorsitzender machten bisher eine gute Figur auf dem europäischen Parkett, Polen ist mit Deutschland gut vernetzt. Also sollten die Polen doch glücklich und zufrieden sein?

Polen, Griechenland, der Euro und die Leute auf der Straße

Marek Baginski sieht das ganz anders und hat die Nase voll von dem Erfolgsgerede. Der Rentner lebt dort, wo Warschau besonders weit entfernt erscheint, in einer Kreisstadt der Woiwodschaft Ermland und Masuren, einem strukturschwachen Gebiet. Dort wo die Diskrepanz von „Ihr da oben, wir hier unten“ deutlich erfahrbar wird. Herausgeputze Städte, die das Potential der traumhaften Lagen dieser Städte mit tollen Neubauten, sanierten Straßen, mehr Jobs im Tourismus und durch neue Angebote wie Wasserskianlagen – auch durch EU-Gelder – nutzen, sind nur die eine Seite. Was jeden Bürger betrifft und bewegt fasst Marek Baginski so zusammen „Was ist das für ein Gesundheitssystem, in dem Leute sterben, weil sie nicht zuzahlen können? Was ist das für eine Arbeitsmarktpolitik, bei dem ein Drittel unser jungen Leute keinen Job findet und der Rest sich viele Jahre lang mit Einjahresverträgen über Wasser hält? Was ist mit der Auswanderungswelle? Sollen alle unsere Kinder gehen, in deren Ausbildung wir Eltern und die polnische Gesellschaft viel Geld gesteckt hat? Werden wir unsere Enkel alle nur einmal im Jahr in den Ferien sehen? Was ist mit der wahnwitzigen Bürokratie? Und wann gibt es endlich ein funktionierendes, sicheres Rentensystem? Bis jetzt bekamen meine Frau und ich nach jeder Rentenreform weniger Geld.“

Zwar sieht jeder Pole, wo die Subventionen aus Europa landen, EU-mitfinanzierte Projekte werden deutlich sichtbar beschildert. Auch die Freizügigkeit der Arbeitskräfte innerhalb der EU wird positiv gesehen, wenn auch mit einem weinenden Auge. Für viele Familien bedeutet sie auch die Trennung, denn die wohl am besten gebildete Generation in Polen findet keine Arbeit oder wenn, dann nur schlechter bezahl als im Westen. Diese Generation hat keine Geduld, ihre produktivsten und kreativsten Jahre in mies bezahlten Jobs mit Jahresverträgen zu verbringen, sie wandern aus, bestätigt Marek Baginski. „Ja, wer einmal drin ist, der kann so schnell wie kaum sonst irgendwo Karriere machen. Aber wenn sie nur einen Jahresvertrag haben, bekommen sie von keiner Bank der Welt Kredit, dann können sie nur auf die Familie hoffen, denn Wohnungen musst Du bei uns kaufen,“ sagt Baginski. Er habe zwei Söhne, schiebt Baginski nach. Für beide hätten er und seine Frau Wohnungen gekauft. Als beim jüngeren Sohn die Kinder kamen und die Wohnung zu klein wurde, hätten sie der jungen Familie wieder geholfen, denn die alte Wohnung sei auch nach drei Jahren noch nicht verkauft, denn wo es keine Jobs gäbe, ziehe auch niemand hin, erklärt er das Dilemma. Dabei ginge es ihm und seiner Frau beileibe nicht einmal schlecht.

Tatsächlich sind die fließenden EU-Gelder hauptsächlich für die Landwirtschaft und für Infrastrukturprojekte gezahlt worden, auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze hatten sie kaum einen Effekt, Gleiches gilt für Soziales und die Bildung.

Wutbürger auf polnisch

„Das mit den 1000 Euro Durchschnittslohn ist ja schön, doch Millionen haben kleine Renten und Gehälter von 500, 530 Euro, vor allem auf dem Land, wo man ganz erheblich weniger verdient, als in Warschau. Da gibt es gewaltige Unterschiede im Land. Wir haben ein Gesundheitssystem, bei dem Du entweder Tausende zuzahlst – ich habe für Untersuchungen und Krankenhausaufenthalt für meine Wirbelsäulenerkrankung schon über 8.000 Zloty zugezahlt – und auch dann noch auf eine MRT-Untersuchung fünf Monate wartest. So ist das hier: wenn Du Krebs hast, dann stirbst Du halt, fertig. Ist das so viel anders als in Griechenland?“ kommentiert Baginski.

Nein, wie die meisten Polen findet er, den Griechen gehe es nicht so viel schlechter als den Polen und deshalb wolle er nicht, dass dorthin polnische Hilfsgelder gehen. Man selbst habe gewaltige Einsparungen und Schnitte in der ersten Transformationsphase durchleiden müssen, dabei seien ungleich härtere Einschnitte gewesen, in denen ganze strukturschwache Regionen verarmt seien, da habe im Westen niemand von humanitären Katastrophen geredet. Aber bei aller Kritik an der polnischen Politik habe man das allein geschafft, denn die Weichen waren vor dem EU-Beitritt gestellt, von uns selbst.

Mit seiner Meinung ist Marek Baginski in Polen bei weitem nicht allein. Das Meinungsforschungsinstitut IBRIS führte kürzlich für die Tageszeitung „Rzeczpospolita“ eine Umfrage durch. Demnach lehnen 59,6 Prozent aller Polen eine weitere Unterstützung Griechenlands ab, nur 28,7 Prozent sind für weitere Hilfen. Die größte Unterstützung genießt Griechenland mit 57% unter den 25- 24-jährigen Polen. Die 45 bis 54-jährigen Polen lehnen weitere Griechenland-Hilfen zu 54% ab, die Renter zu fast zwei Dritteln.

Nicht untypische für die Sichtweise der Polen sagt Marek Baginski: „ Und überhaupt was sollen diese Katastrophenszenarien, die da für Griechenland gezeichnet werden? Wisst ihr, was eine wirkliche Krise, ja eine Katastrophe ist? Die Vorgänge in der Ukraine direkt hinter unserer Grenze, da ist Krieg“ schließt Marke Baginski.

Immer öfter hört man Stimmen, wie die von Marek Baginski, der ein politisch ausgesprochen interessierter Mensch ist. Er gehört zu einer neuen Gruppe der Unzufriedenen in Polen. Sie sind keine Wendeverlierer, sondern eher Mittelstand, fühlen sich aber vor allem in der Provinz nicht mehr vom schicken, glitzernden Warschau verstanden und vertreten – Wutbürger auf Polnisch.

Von Volkes Meinung wurde die regierende Bürgerplattform bei der Präsidentschaftswahl im Frühjahr kalt erwischt. Plötzlich interessierte sich scheinbar niemand mehr für die großen Erfolge, für die wachsende Bedeutung Polens auf internationalem Parkett und all die statistischen Erfolge ihrer achtjährigen Regierungszeit. Diese Erfolge nämlich waren unten bei den Leuten auf der Straße, bei Jan Kowalski, dem polnischen Otto Normalverbraucher nicht angekommen. In den Niederungen schlagen sich die Menschen mit ganz anderen Problemen herum und dafür fehlen Lösungen. Das war den in Warschau Regierenden entgangen. So kommt es, dass die Bürgerplattform PO und Ministerpräsidentin Ewa Kopacz auch die Parlamentswahl im Oktober verlieren könnte.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".