Polen: Lech Kaczynski und die polnische Tragödie
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Katyn, der Or,t an dem vor 70 Jahren die polnische Elite ermordet wurde, ist nun wieder ganz neu zu einem Symbol der polnischen Tragödie geworden – wieder starb ein Teil der polnischen Elite und mit Lech Kaczynski fand diese neuerliche Katastrophe für Polen ihren tragischen Helden. Katyn 1940 – Katyn 2010 liest man jetzt vielfach in Polen.

Lech Kaczynski und sein älterer Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski wurden am 18. Juni 1949 in der in Trümmern liegenden polnischen Hauptstadt Warschau geboren. Vater Raimund war Ingenieur, Mutter Jadwiga Philologin. Geprägt wurden Denkweise, Wertvorstellungen und das spätere Handeln der Brüder vom Kampf ihrer Eltern gegen die deutschen und sowjetischen Besatzer. Schon in früher Jugend wurde so die Basis für ein tief sitzendes und nur sehr langsam schwindendes Misstrauen gegen Deutsche und Russen gelegt. Das eigene Erleben der regierenden Regime in Polen ließen einen strammen, durch nichts zu beugenden Antikommunismus tief in den Brüdern verwurzeln. Bis 1989 durfte niemand über den Warschauer Aufstand von 1944 und den Halt der Roten Armee am anderen Weichselufer noch über die Massaker von Katyn öffentlich geredet werden. Doch in den Familien Polens waren diese Tragödien allgegenwärtig, auch bei den Kaczynskis.

Frühen Ruhm brachten den Kaczynski-Brüdern die Rollen des Jacek und Placek in dem Kinderfilm „Von zweien, die den Mond stahlen“, sie wurden Kinderstars, die jedermann in Polen kannte. Jaroslaw spielte den Macher, der tonangebend war, plante und anordnete. Lech hingegen war der liebenswert Humorvolle, der gewinnend auf andere zuging und schnell Freunde fand.

Diese Rollenverteilung blieb bis zu Lechs Tod erhalten und noch etwas blieb gleich: Die eineiigen Zwillingsbrüder gab es nur im Doppelpack. Beide studierten Jura und schlossen sich der im Entstehen begriffenen antikommunistischen Bürgerrechtsbewegung und Opposition an. Nach dem Studienabschluss wurde Lech Kaczynski wissenschaftlicher Assistent an der Danziger Universität, 1980 promovierte er in Arbeitsrecht, zehn Jahre später folgte die Habilitation.

Als Arbeitsrechtler begann er die Arbeiter der Danziger Leninwerft zu beraten, bald verließen sich sowohl Anna Walentynowicz als auch Lech Walesa auf Kaczynskis Rat. Während des Kriegsrechts war Lech Kaczynski zehn Monate lang inhaftiert. Jaroslaw, der zuvor an der Warschauer Universität beschäftigt war, hielt sich mit Aushilfsjobs über Wasser.

Beide Kaczynski-Brüder nahmen 1989 an den Gesprächen am Runden Tisch teil, Lech wurde 1990/91 Stellvertreter des Solidarnosc-Chefs Walesa. Ab 1991 wurden beide Brüder Staatsminister im Präsidialamt. Doch es dauerte nicht lange, und es kam zu unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Walesa und den Zwillingen.. Bei dem Zerwürfnis ging es um Walesas Politik des „dicken Strichs“. Zusätzliche gesellschaftliche Konflikte und Zerreißproben durch ein rigoroses Aufarbeiten der kommunistischen Zeit wurde damals vermieden durch eine Art Generalpardon.

Das schmeckte den strammen Antikommunisten nicht. Im Jahr 2001 wurde unter Federführung von Jaroslaw Kaczynski die PiS gegründet, deren Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski bis heute ist. Lwech war in diesen Jahren Vorsitzender des Obersten Rechnungshofes und ab 2000 ein Jahr lang Justizminister. Die Brüder profilierten sich als Law-and-Order-Politiker von Anfang an mit verbalen Kraftmeiereien und solch populistischen Forderungen wie anch der Todesstrafe. Damit erlangten sie große Popularität und mit ihren Plänen Korruption und Kriminalität zu bekämpfen, trafen sie den Nerv der Zeit und die Sehnsüchte nach Sicherheit einer Bevölkerung mitten in den Nachwendeturbulenzen. Sie versprachen Beständigkeit überkommener nationaler und kirchlicher Werte in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche.

So erreichten sie aus dem Stand 2002 bei der Stichwahl zum Warschauer Oberbürgermeister ein Traumergebnis von 70%. Das für die Warschauer aus seiner Oberbürgermeisterzeit auf immer unvergesslich bleibt, ist das Museum des Warschauer Aufstandes, das Kaczynski mit Bundeskanzler Gerhard Schröder 2004 eröffnete. Dieses Museum und das Sichtbarmachen der historischen Wahrheit, die Jahrzehnte lang unter den Tisch gekehrt worden war, wird Kaczynski von den Warschauern hoch angerechnet. Als Kaczynski am Eröffnungstag Kanzler Schröder die Erklärung abrang, dass die Eigentumsforderungen der deutschen Vertriebenen jeglicher Grundlage entbehren, wurde das nicht nur von Lech Kaczynski als ein großer Tag für Polen gesehen.

Im Jahr 2005 gelang den Brüdern der Doppelschlag, die PiS wurde stärkste Fraktion und bald nach dem Lech Kaczynski auch die Präsidentschaftswahl gegen Donald Tusk mit Hilfe antideutscher Ressentiments gewonnen hatte, wurde Bruder Jaroslaw Ministerpräsident.

Lech Kaczynskis Amtszeit begann mehr als holprig, die Beziehungen zu Deutschland und Russland verschlechterten sich dramatisch. In der EU wurde in Nullkommanichts eine Menge Porzellan zerschlagen. Verbale Poltereien und Ungeschicktheiten demonstrierten überdeutlich, dass die Brüder sich in der Außenpolitik auf ungewohntem, glatten Parkett bewegten. Durch ihr knuffiges Äußeres und ihre kleine Gestalt, sowie ihre national-konservativen Werte und rückwärtsgewandten Parolen, wirkten sie manchmal ewig-gestrig und provinziell, was sie aber beileibe nicht waren. Im Gegenteil der Jura-Professor Lech Kaczynski war ein  Intellektueller. Polen wurde zum EU-Störenfried, niemand verstand die Empfindlichkeiten der Kaczynskis.

Innenpolitisch sollte die von den Brüdern ausgerufene IV. Republik Schluss machen mit den alten Seilschaften, den korrupten Postkommunisten. Lech Kaczynski kannte dabei nur schwarz oder weiß. Er stand für die von außen betrachtet rückwärtsgewandte Sichtweise, die Polens Rolle über den Opfermythos in der Geschichte definiert. Er stand für dieses Bild der reinen, unbefleckten Nation, der die Welt etwas schuldet nach all den Leiden. Er hatte Schwierigkeiten, sich aus alten Feindbildern zu lösen. Erst spät fand er zu einem fast freundschaftlichen Verhältnis zu Bundeskanzlerin Merkel.

Die Quittung der Polen war die Abwahl der PiS 2007. Auch Lech Kaczynski hätte die Präsidentenwahl im Herbst diesen Jahres vermutlich nicht gewonnen.

Doch hinterlässt Lech Kaczynski Polen mehr als das Museum des Warschauer Aufstands. Sein Name wird für immer mit der Solidarnosc und dem Kampf für Polens Freiheit verbunden sein. Auch hat er seinem Land ein neues Nationalbewusstsein gegeben, ein Selbstbewusstsein über das Opfersein hinaus. Und da ist noch etwas: Die Brüder schossen mit ihrer „Abrechnung mit der Kommune“ mehr als einmal über das Ziel hinaus und an die Grenzen einer antikommunistischen Hetzjagd. Doch machten sie damit auch eine grundlegende Illusion der Solidarnosc deutlich, nämlich die Idee, nach der Wende die kommunistischen Seilschaften problemlos kontrollieren zu können.

Lech Kaczynski, der Mann, der in der Geschichte lebte, war ein polnischer Patriot. Er starb an einem für Polen mit großem Leid besetzten Ort. Die besondere Tragik an diesem Tod, in den er mit einem beachtlichen Teil der polnischen Elite flog, ist, dass er in Katyn hätte, über seinen Schatten springen wollen. Die Rede, die er dort halten wollte, war vom Versöhnungsgedanken geprägt.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".