Der Erste Weltkrieg als Bilderbuch? Geht das? Darf man das? Kann man dieses Abschlachten, diese Knochen- und Blutmühle in Form von Aquarellen comichaft darstellen? Man kann und man darf, wenn man es so macht wie der Autor Philippe Claudel und der Illustrator Philippe Delestre in ihrem Buch „Der Krieg ist vorbei“, das im VAT Verlag André Thiele erschienen ist. Schon nach einem ersten Blättern wird deutlich, dass dieses Buch ein Buch gegen den Krieg ist.
Der einen noch verheerenderen Krieg später im Nachkriegslothringen geborene Autor Philippe Claudel stammt wie auch der Zeichner Philippe Delestre aus einer Region, in der dieser vor hundert Jahren ausgebrochene Erste Weltkrieg zur Urkatastrophe des Jahrhunderts wurde. Bis heute sichtbar sind die unauslöschbaren Verletzungen und Narben an der Landschaft und in den Seelen der Menschen noch Generationen später. Erst in der heutigen Kinder- und Jugendlichen-Generation war 1914-1918 nicht mehr der in vielen Erzählungen präsente Krieg der Großväter. Hundert Jahre hat es gedauert, bis die Leiden der Großeltern nicht mehr Narrativ in den Familien war.
Das Vorwort von Philippe Claudel gibt Rahmen, seine Erzählung „Eine Kriegskindheit“ führt ein in das Geschehen, schafft Nachdenklichkeit. Das Nachwort von Phillipe Delestre zeigt die lange Nachwirkung über hundert Jahre hinweg auf. Die Bildbeschreibungen sind Original-Zeugnisse, sparsam und gerade dadurch so authentisch. Es wird nur in ein, maximal zwei Sätzen erläutert, wer zu diesen O-Tönen gehörte.
Geradezu verblüffend ist die Wirkung dieses Buches. Die Darstellungsform als „Graphic Novel“ oder gar einem „Comic“ ähnelnd kommt dem Trend der Zeit nahe. Die Zeichnungen wirken fast kindlich naiv. Sie kommen ohne plakative Grausamkeiten und Litern roter Farbe aus, stellen eine Idylle mit anheimelnden Landschaften und friedlichen Dörfern dar, ganz im Stil eines Kinderbuchs. In diese friedliche Ruhe dringt über Nacht die Kriegswalze ein. Gerade die Art der naiven aquarellierten Zeichnungen lassen diesen Bruch in Landschaft und Mensch erkennen und entlarvt die ganze Wiedersinnigkeit des Krieges, der bald nur noch um des Krieges willen und des nur ein siegreiches Ende zulassen zu können, wo selbst ein militärischer Sieg nur Verlierer und Opfer kennen konnte.
Philippe Delestre zeichnet Soldaten beider Parteien auf Augenhöhe, sie tragen die gleiche Last, das gleiche Sterben auf beiden Seiten, nur die Uniformen hatten verschiedene Farben. Der Tod war der große Gleichmacher. Die Zeichnungen in ihrer naiven Kindlichkeit wirken entlarvend und zeigen die Veränderungen, die der Krieg an den Menschen verübt – auf allen Seiten. Kein Heroismus wird verbreitet, das gleiche Leid auf beiden Seiten der Front steht im Mittelpunkt. Die Zeichnungen machen deutlich, dass es ein Vor-dem-Krieg und ein Nach-dem-Krieg gab. Die so unschuldig wirkende Idylle kehrt nicht wieder. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Viele kleine Details in den Zeichnungen machen das deutlich. Damals, als der Krieg vorbei war, gab es eigentlich nur eine vernünftige Schlussfolgerung: So etwas darf nie wieder passieren. Doch es passierte wieder, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es immer wieder Kriege.
„Der Krieg ist vorbei“ ist ein ungewöhnliches Buch, ein Buch, das man kennen sollte. Man wird es erleben, auch wenn man sich die Zeichnungen zum fünften Mal ansieht findet man dort Neues, neue Aspekte des Krieges, des Leidens, des Grauens. Fazit: ein gutes, ein wertvolles Buch.