Buchtipp: Jahrbuch Polen 2013 Arbeitswelt

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Jahrbuch Polen 2013 ArbeitsweltIn der vom Deutschen Polen-Institut beim Harrassowitz Verlag herausgegeben Buchreihe Jahrbuch Polen erschien kürzlich für 2013 der Band Arbeitswelt. Redaktionell leiteten Andrzej Kaluza und Jutta Wierczimok das Projekt.

Der Sammelband vereint verschiedenste Beiträge z den Themenkreisen Arbeit, Arbeitsmarkt und Arbeitswelt in Polen und folgt dem in dieser Buchreihe bereits bewährten Mix unterschiedlicher Textformen. Beginnend mit wissenschaftlichen Aufsätzen und Essays über journalistische Arbeiten wie Reportagen und aus dem literarischen Bereich Kurzgeschichten und Kurzprosa. Letztere zeigen vor allem, wie der Mensch sich zurecht findet in immer schwierigeren und undurchschaubareren Bedingungen.

Diese Darstellungsform ermöglicht das Thema aus den verschiedensten Blickwinkeln anzugehen, wobei differenzierte Ansichten nebeneinander bestehen können. Es ist klar, dass in einem solchen Band das Thema nicht erschöpfend bearbeitet werden kann, doch gibt die gewählte Darstellungsform einen guten Einblick in die verschiedenen Aspekte des komplexen Themas Arbeitswelt in Polen.

Trotz des umfassenden Ansatzes sind durchaus Schwerpunkte auszumachen. Die liegen bei den problematischsten der derzeitigen Entwicklungen, besonders beim Problemkreis der hohen Arbeitslosigkeit unter jungen Akademikern und der Arbeitsmigration, die im Fall der hochqualifizierten Jungen eng verzahnt sind.

In der EU gilt Polen als „das“ Beispiel für eine gelungene Transformation und die deutsche Wirtschaft ist mit Polen schon fast so eng verbunden, wie mit denen der westlichen Nachbarn. Die nackten Zahlen zeigen für Polen noch immer europäische Spitzenwerte im BIP-Wachstum, eine Schar von gut ausgebildeten arbeits- und einsatzwilligen sowie hochflexiblen Arbeitskräften und hohe Anzahlen von Hochschulabsolventen pro Geburtsjahrgang. Doch der Glanz hat Kratzer, und das zeigt das Jahrbuch Polen 2013 Arbeitswelt ganz deutlich.

Die Beiträge von Maciej Duszczyk und Reinhold Vetter werfen einen Blick auf den polnischen Arbeitsmarkt. Komprimiert dargestellt und mit einer Menge Zahlen und Fakten unterlegt wie im Beitrag von Vera Trappmann zeigt die Kehrseite. Da gibt es die Handwerker mit enorm langen Arbeitszeiten von nicht selten an die 60 Stunden. Viele Beschäftigt haben obendrein enorme Arbeitswege, denn entweder gibt es am Arbeitsplatz keinen bezahlbaren Wohnraum, oder die alte Wohnung kann nicht verkauft werden. Die Reportagereihe von Agnieszka Sowa (Boat-People auf Polnisch) weiß ein Lied davon zu singen.

Auch unter Hochqualifizierten sieht es ganz anders aus, als der schöne, neoliberale Schein suggeriert, besonders bei den jungen Arbeitnehmern und Jobsuchenden mit Hochschulabschluss. In den 1990er Jahren setzte in Polen ein wahrer Bildungsboom ein, währenddessen die Studentenzahlen sich verfünffachten und den Arbeitsmarkt mit hoch qualifizierten Absolventen überschwemmte liest man im Aufsatz von Edwin Bendyk. Die Misere für die Generation Praktikum beginnt gleich nach dem Examen. Praktika sind noch zu finden, Jobs kann man mit der Lupe suchen, denn derzeit sind 266.600 Polen mit Hochschulabschluss als arbeitslos registriert.. Wenn man einen Arbeitsvertrag ergattert hat, dann fast immer mit einem Einjahresvertrag, der dann, wenn man Glück hat, immer wieder verlängert wird.

Das hat Folgen bis hin zur Altersstruktur der polnischen Gesellschaft. Wer in Polen eine Wohnung sucht, muss fast immer kaufen. Wohnungen aber sind teuer, mann braucht die Hilfe der hoffentlich solventen Eltern oder einen Kredit, den man aber ohne unbefristetes Arbeitsverhältnis nicht bekommt. An Familienplanung braucht man da nicht zu denken. Wer nicht mal so einem Job mit durchschnittlichen Wochenarbeitszeiten von mehr als 50 Stunden bekommt, dem bleibt nur die Auswanderung. Der Leser wird selbst zum Schluss kommen, dass die so gelobte Flexibilität der Polen im Job der Ausbeutung zumindest nahe kommt.

Noch schlechter als den Jungakademikern in der Wirtschaft geht es den Angestellten im Gesundheitssystem. Vor allem bei Krankenschwestern ist das Outsourcen üblich geworden. Das bedeutet Entlassung und Wiedereinstellung zu reduzierten Bezügen, längerer Arbeitszeit als Selbstständige. Wer dabei finanziell trotz zweier Jobs nicht über die Runden kommt, wird in die Arbeitsmigration gedrängt. Auf diese Art verließen 2,5 Millionen Polen das Land auf der Suche nach besser bezahlten Jobs. Es war vor allem dieser Faktor, der die Arbeitslosenzahl auf 13% drückte. An den strukturellen Problemen des Arbeitsmarkts in Polen änderte das nichts, auch nicht an der Beschäftigungsquote von nur 50%. Diese Zahlen zur aktuellen Lagesind ebenfalls im Beitrag von Vera Trappmann nachzulesen.

Gespart wird also in erster Linie an den Arbeitskräften, Investitionen in mehr Produktivität fehlen oft, anspruchsvolle Arbeitskräfte, die das Humankapital dieses Landes der Hochqualifizierten nutzen könnten, gibt es viel zu selten. Möglich ist das auch, weil die beiden großen Gewerkschaftsbewegungen Solidarnosc und OPZZ kaum noch eine Rolle spielen, stellt Krzysztof Getka in seinem Beitrag fest. Auch Adam Leszynski geht der Frage nach, warum es große Missstände gibt, aber keine organisierten Proteste.

Um das Arbeitsethos und seiner Veränderung im 20. Jahrhundert kümmert sich der Beitrag der Kulturwissenschaftlerin Iwona Kurz, während Weronika Priesmeyer-Tkocz einen Blick in Geschichte von Arbeit und Kohn ab 1945 wirft. Einen Spiegel hält die Prosa von Marta Dzido und Dawid Bienkowski der Arbeitsrealität und dem Arbeitsalltag der Polen vor.

So bietet das Jahrbuch Polen 2013 Arbeitswelt einen überaus lesenswerten, breit gefächerten Überblick über die Arbeitsrealität der Polen und die Problematiken des Arbeitsmarkts in unserem Nachbarland.

INHALT

Einführung: Fleißig wie ein Pole
Essays
Maciej Duszczyk: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik in Polen
Vera Trappmann: Flexibilität zu welchem Preis? Arbeit in Polen
Adam Leszczynski: Warum die polnische Jugend rebellieren sollte (und warum sie es nicht tut)
Edwin Bendyk: Modernität an der Peripherie
Krzysztof Getka: Staat, Kapital und Arbeit im System der kollektiven Arbeitsverhältnisse in Polen nach 1989
Weronika Priesmeyer-Tkocz: Weg vom Arbeiter- und Bauernstaat. Gibt es in Polen eine »middle class«?
Marta Danecka: Jenseits des Arbeitsmarktes oder Beruflich inaktive Polen
Reinhold Vetter: Viel individuelles Kapital, wenig kollektive Ressourcen
Iwona Kurz: »Abgekoppelt«. Die Polen und der Staat oder Arbeit und Lohn nach 1945
Reportage
Agnieszka Sowa: Boat-People auf Polnisch
Mein Jahr
Magdalena Parys: Das Jahr der erfüllten Träume
Literatur
Marta Dzido: Miesmuschel
Grzegorz Kopaczewski: Das Werk
Dawid Bienkowski: Nichts
Renata Radlowska: Telenovela Nowa Huta
Bibliographien
Manfred Mack: Polnische Literatur in deutscher Übersetzung 2012
Tomasz Szubiakiewicz: Deutschsprachige Titel in polnischer Übersetzung 2012

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".