Vor 34 Jahren begann die Agonie des Ostblocks mit der Gründung der Solidarnosc und vor 25 Jahren, als die Mauer fiel, war Polen schon ein freies Land. Eine Gefängniszelle, eine Druckerpresse für Flugblätter, eine typische Arbeiterwohnung und Menschen, die Schlange stehen, das sind nur einige der Exponate der Ausstellung im neuen Europäischen Solidarnosc-Zentrum in Gdansk (Danzig). Das Zentrum auf der ehemaligen Lenin-Werft widmet sich dem Kampf der Gewerkschaft Solidarnosc in Polen sowie den Bürgerbewegungen in anderen Staaten Mittel- und Osteuropas. 25 Jahre nach der friedlichen Revolution wird die neue Bildungs- und Begegnungsstätte eröffnet, die nicht nur das Vergangene erlebbar machen, sondern auch den Blick in die Zukunft richten will.
Der Termin der Eröffnung am 30. und 31. August 2014 ist symbolisch. Genau 34 Jahre zuvor, im Jahr 1980, wurde auf dem Gelände der besetzten Lenin-Werft das historische Abkommen mit der Regierung ausgehandelt, das die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität) legalisierte. Auch die Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 konnte den Lauf der Ereignisse nicht mehr aufhalten. Die erfolgreiche Geschichte der von Arbeitern und Intellektuellen getragenen Oppositionsbewegung gipfelte schließlich in den ersten freien und demokratischen Wahlen in Polen und anderen Staaten des Warschauer Paktes vor 25 Jahren.
Mit dem neuen Europäischen Solidarnosc-Zentrum (ECS) bekommt dieser Teil der europäischen Geschichte ein rund 65 Millionen Euro teures Denkmal, bestehend aus interaktiver Ausstellung, Dokumentations-, Bildungs- und Tagungszentrum sowie Gedenkstätte und Parkanlage. Ganz im Geiste der Demokratie wird das Zentrum am 30. August zunächst im Rahmen eines Tages der Offenen Tür für Einwohner und Touristen geöffnet. Ein abendliches Konzert beendet den ersten Öffnungstag. Die offiziellen Feierlichkeiten beginnen am 31. August mit einer Heiligen Messe und dem Gedenken an die gefallenen Werftarbeiter. Geplant ist auch ein Empfang mit Präsident Komorowski und weiteren europäischen Staatsoberhäuptern.
Kernstück des ECS wird die moderne Ausstellung sein, die eine Fläche von rund 3.000 Quadratmetern auf zwei Stockwerken des Neubaus einnimmt. In sechs Stationen wird dort die Geschichte vom Untergang des Kommunismus in Polen und dem gesamten Ostblock beleuchtet. Die Station „Geburt der Solidarnosc“ erzählt von den Anfängen der oppositionellen Arbeit rund um die Streiks von 1980 bis zur Gründung der ersten freien Gewerkschaft in der Volksrepublik Polen. Eine weitere Station stellt den Alltag in Volkspolen dar. Nachgezeichnet wird zudem die Entwicklung von dem 1981 verhängten Kriegszustand bis zu den ersten freien Wahlen im Jahr 1989. Am Ende der Ausstellung befindet sich ein Raum der Stille. Er ist dem polnischen Papst Johannes Paul II. gewidmet, dessen Wirken den Umbruch in Polen förderte.
Die Ausstellung stellt die Solidarnosc in einen gesamteuropäischen Kontext und klärt auch über vergleichbare Bewegungen in anderen ehemaligen Ostblockstaaten auf. Sie verbindet multimediale Elemente mit historischen Exponaten, die auf überraschende Weise neu inszeniert werden. So bilden die gelben Schutzhelme der Werftarbeiter eine Projektionsfläche für filmische Originaldokumente, ein massiver Kantinentisch wird zum Multimediabildschirm. Neben authentischen Bild- und Tondokumenten werden auch immer wieder Zeitzeugen zu Wort kommen. Die gesamte Ausstellung ist behindertengerecht konzipiert, Audiobeiträge und Braille-Texte machen sie auch für Blinde nachvollziehbar. Der vom Danziger Architektenbüro Fort Architekci konzipierte Neubau thematisiert architektonisch die Geschichte des Ortes. Er bildet die Form eines Schiffsrumpfes und verwendet neben Glas vor allem rostigen Stahl für die Fassade.
Das ECS besteht als kulturelle Einrichtung bereits seit 2008. In dieser Zeit organisierte es über 650 Projekte für Kinder und Jugendliche, 212 Konferenzen, 24 temporäre Ausstellungen, 89 Konzerte und Filmvorführungen. Die Macher des Zentrums sammelten zudem über 122.000 Flugblätter, Plakate und Dokumente sowie fast 42.000 Originalfotos. Auch die Erinnerungen von 800 Zeitzeugen wurden filmisch festgehalten. Die Bildungs- und Begegnungsarbeit soll neben der Ausstellung einen weiteren der künftigen Schwerpunkte des Zentrums darstellen. Das Forschungs- und Bildungszentrum soll nicht nur für Fachpublikum, sondern auch für Einwohner und Touristen geöffnet sein. Eine spezielle „Spielabteilung“ soll die Thematik Kindern und Jugendlichen auf altersgerechte Art und Weise nahebringen. Darüber hinaus werden Konferenzen, Tagungen und Begegnungen stattfinden.
Die gesamte Anlage besteht aus mehreren neu gestalteten und historischen Elementen. Einbezogen werden geschichtsträchtige Orte wie der plac Solidarnosci mit dem Denkmal für die gefallenen Werftarbeiter und dem berühmten Werfttor sowie das ehemalige Arbeitsschutzgebäude der Werft (Sala BHP), das den Gewerkschaftsaktivisten während der legalen Phase ihrer Arbeit als Konferenzsaal diente und nun als Gedenkstätte genutzt werden wird. Ergänzt wurde dieses Ensemble um einen modernen Neubau, in dem sich künftig die ständige Ausstellung des Zentrums befinden wird.
Der neue Gebäudekomplex verfügt über einer Nutzfläche von rund 20.000 Quadratmetern. Neben der ständigen Ausstellung beherbergt er das Archiv, eine Bibliothek, eine Mediathek, das Forschungs- und Bildungszentrum sowie Gruppenarbeitsräume. Darüber hinaus warten auf Gäste hier auch ein Wintergarten, Andenkenläden, eine Buchhandlung sowie gastronomische Einrichtungen. Nach der offiziellen Eröffnung des Zentrums entsteht der künstlerisch gestaltete „Weg zur Freiheit“ auf dem Werftgelände. Der erste Abschnitt vom plac Solidarnosci zur Arbeitsschutzhalle soll bis 2016, der zweite Abschnitt zur Martwa Wisla (Tote Weichsel) bis 2018 fertiggestellt werden.
Quelle: Polnisches Fremdenverkehrsamt