Lieber Leserinnen, Liebe Leser,
von nun an werden Sie in unregelmäßigen Abständen an dieser Stelle ein Editorial von mir lesen, in dem ich Ihnen über das berichte, was beim Polen Magazin so vorgeht oder über ein paar Gedanken, die mir Polen zu tun haben.
Durch die Glückspiel-Affäre (afera hazardowa) ist Polen derzeit in aller Munde wie selten sonst. Doch es gibt auch „Nebenkriegsschauplätze“ wie das unsägliche Hickhack um die Unterzeichnung des EU-Vertrages durch den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski.
Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Herta Müller wurde in Polen überwiegend positiv aufgenommen. Andrzej Stasiuk erklärte der Nachrichtenagentur PAP, poetische Prosa zeichne das Werk von Herta Müller aus, das wirklich große Literatur sei. Dies war der Tenor der meisten Kommentare.
Auch den letzten deutschen Literaturnobelpreisträger Günter Grass feiert man schließlich gerade in Danzig. Fünfzig Jahre nach Erscheinen der „Blechtrommel“ wird er in seiner Heimatstadt mit einem Festival „Grassmanie“ und der Eröffnung einer Grass-Galerie geehrt. Sogar das späte Geständnis der SS-Zugehörigkeit scheint vergeben und vergessen. Ein schönes Zeichen für viel Normalität im deutsch-polnischen Verhältnis.
Doch nun das: Krzysztof Maslon, der Feuilletonist der renommierten Tageszeitung „Rzeczpospolita“ betitelt seinen Kommentar über die Nobelpreisverleihung „Die zwei Gesichter des Preises“ und schreibt „Über den Nobelpreis für Herta Müller werden sich nicht nur Antikommunisten und die Opfer kommunistischer Verfolgung freuen, nicht nur die Feministinnen, sondern auch – so denke ich – die Mitglieder des deutschen Bundes der Vertriebenen. Ein Nobelpreis von Erika Steinbach – das gefällt mir schon sehr viel weniger“. Maslon bezieht sich vor allem auf Herta Müllers Roman „Atemschaukel“, der die Vertreibung und das Leid der Rumäniendeutschen tehmatisiert.
Hier wird also ein Mensch in einer solch renommierten Zeitung wie der Rzeczpospolita allein wegen seiner Herkunft und seiner dadurch bedingten Lebensumstände und des Schreibens darüber unter Generalverdacht gestellt. Persönlich hat Herta Müller weder jemals Nähe zur Politik des BdV erkennen lassen, noch hat ihre ganz persönliche Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte der Rumäniendeutschen, auch mit der SS-Vergangenheit des eigenen Vaters nie einen Mangel an der Erkenntnis von Ursache und Wirkung und der historischen Wahrheit gezeigt. Hier gerät der Autor Maslon in Schieflage, denn Herta Müller, die ein Nachkriegskind ist, ist Opfer, nicht Täterin und das wurde sie, weil sie die Unfreiheit des Ceausescu-Regimes mit seiner Securitate-Allmacht bekämpfte und zudem schlicht die falsche Abstammung hatte.
So ist es also mit der Normalität im deutsch-polnischen Verhältnis doch noch nicht so weit her. Aber wir arbeiten daran, in Polen wie in Deutschland.
In diesem Sinne, Ihre / Eure
Brigitte Jäger-Dabek