EU-Resolution: Neue Breitseite für Warschau

Polen, die PiS und die EU

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 Europäisches Parlament in Straßburg, Foto: JLogan, gemeinfrei

Europäisches Parlament in Straßburg, Foto: JLogan, gemeinfrei

Die EU lässt nicht locker im Bemühen um mehr Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung freiheitlich-demokratischer Prinzipien und legt an Druck nach. Das EU-Parlament verabschiedete am Mittwoch, den 14. September eine Resolution, die Polen auffordert, die Verfassungskrise bis Ende Oktober zu beenden.

In der Resolution heißt es, alle im polnischen Parlament vertretenen Parteien sollten vor allem der Lähmung des Verfassungsgerichts ein Ende bereiten und die Regierung zur Einsicht bewegen, dass die vom Verfassungstribunal erlassenen Urteile veröffentlicht werden und somit in Kraft treten können. Alles andere gefährde Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte der Bürger.

Das EU-Prüfverfahren

Bereits im Januar hat die EU-Kommission ein Prüfverfahren eingeleitet, bei dem die Rechtsstaatlichkeit in Polen überprüft wird. Dieses Verfahren und das Vorgehen dabei ist im Lissabon – Vertrag der EU festgeschrieben und wird nun erstmals gegen einen Mitgliedsstaat der EU angewendet. Die von Polen selbst erbetene Überprüfung der unabhängigen Expertengruppe „Venedig-Kommission“ hatte große Bedenken ob des Regierungsgebarens in Polen vor allem bezüglich des Aushebelns der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts ergeben.

Die PiS-Regierung hatte die Ernennung von Verfassungsrichtern durch die Vorgängerregierung auf rechtswidrige Weise rückgängig gemacht. Weiter verweigert der PiS-nahe Präsident Andrzej Duda seit Monaten die Unterschrift unter die Ernennung bereits bestimmter Verfassungsrichter. Dazu wurde die Unabhängigkeit des obersten Gerichts eingeschränkt. Das Verfassungsgericht selbst hatte das Vorgehen der Regierung überprüft und als verfassungswidrig eingestuft. Daraufhin weigerte sich die Regierung, diese Urteile zu veröffentlichen und damit rechtskräftig zu machen. Das vorgesehene Verfahren funktioniert ähnlich wie in Deutschland, wo Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bindend für alle Gerichte und die Organe des Bundes sind. Sie haben Gesetzeskraft mit dem Tag der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Durch die Weigerung einer solchen Veröffentlichung ist in Polen das Verfassungsgericht praktisch lahmgelegt. Das bedeutet de facto, dass Entscheidungen der Regierung unanfechtbar geworden sind.

 

Doch ist die EU keinesfall nur ein zahnloser Papiertiger mit einem nicht rechtmäßigen Verfahren (siehe Lissabon-Vertrag) ohne Konsequenzen, wie die polnische Regierung gern betont. Polen könnte in letzter Konsequenz sein Stimmrecht im EU-Rat verlieren.

Polnische Meinungen

Auch Polens Richterschaft steht nicht etwa geschlossen hinter der Regierung, wie die PiS in ihr nahestehenden medien gerne kolportieren lässt. In der vorigen Woche erst protestierten über tausend polnische Richter anlässlich eines einberufenen außerordentlichen Richtertags gegen die fortgesetzten Versuche die bisher unabhängige polnische Justiz zu kontrollieren. In der Schlusserklärung des Kongresses hieß es, dass es noch nie in der Geschichte der freien, unabhängigen polnischen Rechtsprechung auf allen Gerichtsebenen zu solchen drangsalierenden Beschränkungen und dastischen Maßnahmen bis hin zu Abberufungen von Richtern gekommen sei.

Noch bei der Debatte vor der Verabschiedung der Resolution des EU-Parlaments betonte der EU-Abgeordnete Ryszard Legutko von der PiS, die Resolution sei absurd. Er zeigte sich erstaunt darüber, dass eine EU, die sich in der größten strukturellen Krise ihres Bestehens befinde, die Zeit habe, sich mit einer solchen Marginalie zu befassen. Anders kommentierte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion des EU-Parlaments, der polnische EU-Abgeordnete Janusz Lewandowski, der leidenschaftlich für die Verteidigung der Demokratie in Polen sprach. Er meinte, die gegenwärtige PiS-Regierung gefährde die durch die Vorgänger erreichte starke Position Polens in der EU, sowie die bisher allen EU-Krisen zum Trotz stabil gute Wirtschaftslage und deren weitere positive Entwicklung, weil sie demokratische Prinzipien infrage stelle.

Er schrieb der PiS ins Stammbuch, die Menschen in Polen hätten nicht dafür gestimmt, die Medien zu säubern, auch hätten sie weder gegen das Verfassungsgericht gestimmt, noch für die Kolonisierung der Verwaltung durch die PiS. Es würde Zeit, dass die Wähler die Wahrheit hörten. Die echten Freunde Polens seien nämlich jene, die gegen die nationalistischen Alleingänge in Warschau protestieren würden. In seinem Schlusswort erklärte Lewandowski mit allem Nachdruck, Polen brauche Europa und Europa brauche Polen.

Tatsächlich wird es immer schwieriger einer nicht auf PiS-Linie liegenden Meinung in Polen Gehör zu verschaffen. Immer enger schließt sich die polnische Rechte um die im Hintergrund die Fäden ziehende graue Eminenz, den PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski zusammen. Der starke Mann hinter der Regierung ist in der bequemen Position agieren zu können, ohne in irgendeiner politischen Verantwortung zu stehen. Die Dauerdiffamierung der Oppositionsbewegung KOD, des Komitees zur Verteidigung der Demokratie treibt immer neue Blüten. Ständig neue Parolen bestimmen die Hetze gegen alle politischen Gegner, die als übelste Sorte unter den Polen abqualifiziert werden und mit Parolen wie „Hände weg von Polen“ in die Nähe von Volksverrätern gerückt werden.

Und das Volk?

Es ist so einfach für Populisten wie die PiS: Suche einen Feind im Äusseren und verteile soziale Wohltaten im Inneren. Nach diesem simplen System ging es leicht beim Wählerfang. Die simplen Lösungen für Polens soziale Probleme passten auf einen Bierdeckel und waern von jedermann zu verstehen. Heute hält die Erfüllung solch sozialer Wohltaten wie des Famileinprogramms 500+ mit einem Kindergeldsegen ohne Gleichen das Wahlvolk bei der Stange – auch wenn so etwas auch von reicheren Ländern als Polen nicht zu finanzieren wäre. So steht noch immer eine zwar langsam etwas bröckelnde, aber doch immer noch große Zahl von Polen hinter der PiS-Regierung und nimmt so manche Unappetitlichkeit wie die im PiS-Masterplan deutlich erkennbare „Diktatur der Mehrheit“ über die Minderheit der Nicht-PiS-Wähler in Kauf. Denn das kristalisiert sich als das eigentliche „Demokratieverständnis“ der PiS heraus: das rücksichtslose Durchsetzen des Mehrheitswillens, und sich dabei auch nicht von Verfassung und Rechtsstaatlichkeit einschränken zu lassen.

Weil nach der Logik solcher Systeme – wie es schon Macchiavelli beschrieb – der Feind deines Feindes dein Freund ist, erstarkt derzeit die Vysegrad-Gruppe innerhalb der EU zu einem starken Block der Nationalisten und Europaskeptiker bestehend aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Noch bezieht sich die Visegrad-Einigkeit in erster Linie auf die Ablehnung jeglicher Flüchtlingsaufnahme, wie es sich beim EU-Gipfel zeigte. Damit daraus nicht ein fester Anti-Block wird,  ist die EU nun bei allem Pochen auf Rechtsstaatlichkeit in Polen zur Kompromissfähigkeit gezwungen, ein Ausgrenzen und Kaltstellen der Visegrad-Länder könnte zu einem Sargnagel der EU werden. Zwar spielt man auf PiS-Seite gern damit einen Brexit po polsku als im Hintergrund noch im Nebel stehende Drohung aufsteigen zu lassen – dem aber Taten folgen lassen, ist die andere Seite. Ganz wird auch die PiS nicht verschweigen können, dass kein Land jemals so von der EU profitiert hat wie Polen.

Die PiS scheut derzeit auch nicht davor zurück, dem eigenen Volk zu schaden, wenn es politisch opportun erscheint. Seit Anfang Juli ist der kleine Grenzverkehr zwischen dem russischen Kaliningrader Gebiet und der nordostpolnischen Woiwodschaft Ermland-Masurens und Teilen der Woiwodschaft Pollmern ausgesetzt. Begründet wurde das seinerzeit mit der Sicherheitslage bei den Großereignissen NATO-Gipfel und Weltjugendtag. Der kleine Grenzverkehr mit der Ukraine wurde Tage nach dem Ende des Weltjugendtags wiederaufgenommen, der mit Russland bis heute nicht. Begründung: Die Lage habe sich nicht geändert. Der zum Juli 2012 eingeführte kleine Grenzverkehr hatte sich für beide Regionen als überaus positiv erwiesen – über 6,5 Millionen Grenzübertritte pro Jahr wurden gezählt, rund 30 Mio Euro ließen die Kaliningrader allein beim Discounter Lidl jährlich in Polen, ähnlich viel beim polnischen Discounter Biedronka. Vor allem aber für die betroffenen strukturschwachen Gebiete Polens waren sie ein wirtschaftlicher Segen und ein wichtiger Pfeiler für den Handel – auch für die kleinen Lebensmittelgeschäfte – und die Tourismusindustrie um die masurischen Seen, insbesondere für die Hotels der Region. Eine Pleitewelle von kleinen und mittleren Betrieben steht zu erwarten. Dabei sollte das doch genau die Klientel sein, die von der PiS gefördert werden sollten. Wie sich an diesem Beispiel zeigt, schießt Nationalismus gern mal ein Eigentor.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".