Flüchtlingsproblematik: Polens Kehrtwende in letzter Minute

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Flüchtlinge und der EU-Minimalkonsens, Foto: noborder network zodiac (flickr.com), CC BY 2.0

Flüchtlinge und der EU-Minimalkonsens, Foto: noborder network zodiac (flickr.com), CC BY 2.0

Die Kuh ist halbwegs vom Eis, das Desaster der Kelch des völligen Scheiterns der EU-Flüchtlingsverteilung ist durch den gestrigen Mehrheitsentscheid der EU-Inneminister vorläufig vom Tisch. Aber täuschen wir uns nicht, das ist erst ein erster winziger Schritt, auf einem langen Weg zu einer für alle EU-Mitglieder verbindlichen neuen Migrations- und Asylpolitik. Ein nächster viel größerer Schritt eines Verteilungsschlüssels, der mehr als nur die momentane akute Lage regelt, muss trotz des Aufatmens her – und die Zeit drängt.

Gebraucht werden eben ein dauerhafter fester Verteilungsschlüssel für die ankommenden Flüchtlinge, ein Eu-weit einheitlicher Standard in Registrierung und Erstunterbringung und ein gemeinsames in allen Ländern geltendes Asylverfahren. Will man von der Migrationswelle künftig nicht überrollt werden müssen diese Standards her, damit auch die Flüchtlinge wissen, woran sie sind. Es muss eine Einwanderungspolitik her, die für Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Balkan eine Perspektive mit klaren Regeln schafft. Es muss eine einheitliche Überwachung der Außengrenzen her und damit eine Einreise der Flüchtlinge in den EU-Raum nach festen Regeln, und einem Asylverfahren nach in allen Ländern gültigen Verfahren. Das Dublin-Verfahren sollte durch ein praktikables Verfahren ersetzt werden.

Der Mehrheitsentscheid der EU-Innenminister: Gegen die Stimmen Tschechiens, der Slowakei, Ungarns und Rumäniens wurde die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen beschlossen.

Vor allem aber muss Europa aufhören einerseits eine Gemeinschaft sein zu wollen, aber andererseits ein Europa ohne Solidarität, dafür aber völlig von nationalen Egoismen bestimmt zu sein. Nur so viel Geld wie möglich für das eigene Land herauszuholen und so wenig wie möglich selbst einzubringen, sei es finanziell oder immaterielle wird nicht gehen, dann wird die EU in überschaubarer Zeit zerbrechen.

Polen hat das Lager der Totalverweigerer aus der Visegrad-Gruppe verlassen und ist in allerletzter Minute noch auf den schon abfahrenden Zug des Mehrheitsentscheids gefahren. Letztlich war dann doch die Furcht vor einem Verlust der über die Jahre aufgebauten Reputation und dem Einfluss, den Polen erreicht hat aber auch die Angst vor finanziellen Verlusten im Bereich der EU-Töpfe zu groß, denn Polen ist dort einer der größten Profiteure.

Den Polen wurde in den vergangenen Tagen mehr oder minder dezent vorgehalten, der bei weiten größte Nettoprofiteur der EU-Fördertöpfe zu sein. Inzwischen dachten selbst Innenminister Thomas de Maizière sowie Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel über eine Kürzung der EU-Fördermittel für sich dermaßen unsolidarisch zeigende EU-Länder nach. Dazu wurde die Rechnung nachdem Polen Zehntausende Ukrainer aufgenommen habe zerpflückt. Doch handelt es sich dabei zum großen Teil um Ukrainer mit Studentenvisa und um legal in Polen arbeitende Ukrainer oder um Angehörige der polnischen Minderheit in der Ukraine, die zwar ukrainische Staatsbürger sind, aber auch den Anspruch auf die polnische Staatsbürgerschaft haben. Bisher wurden Ukrainer in Polen so gut wie nie als Flüchtlinge anerkannt. Die Zahl der Ukrainer, die in Polen in den letzten beiden Jahren seit Beginn der Ukraine-Krise Asyl erhielten, können an einer Hand abgezählt und einzeln mit Handschlag begrüßt werden.

Von den EU-Milliarden Abschied nehmen will in Polen niemand, auch nicht die Spitzenkandidaten der nationalkatholischen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit Beata Szydlo. – sie könnte nach dem Wahltag am 25.- Oktober die nächste Ministerpräsidentin Polens sein. Im Gegenteil: Bei einem Treffen mit polnischen Unternehmern und ihren Verbänden erklärte sie, solche Milliardenströme werde Polen nicht mehr lange erhalten, da sollten sich die Unternehmer beeilen und Investitionen vorziehen.

Doch scheint zumindest in den polnischen Medien der eine oder andere Kollege umzudenken und sich zu fragen, wie groß denn wohl die Bereitschaft zur Hilfe durch die EU-Länder sein werde, wenn ein Land sich derart unsolidarisch verhalte.

Das alles schien in der polnischen Verhandlungsführung doch dazu zu führen, den eigenen Stadtpunkt der Totalverweigerung zu überdenken. Die polnische Verhandlungsführerin und Finanzministerin Teresa Piotrowska stand in ständigen Gesprächen mit Warschau und überraschte dann ihre Finanzministerkollegen mit einem „Ja“ Polens in der Abstimmung. Als Begündung brachte man die drei vom stellvertretenden Außenminister Trzaskowski bereits vorab genannten Bedingungen seien weitestgehend erfüllt worden. So zeigte sich Polen in Gestakt von Terwesa Piotrowska bereit eine gewisse Zahl Migranten aufzunehmen, bei denen es sich nicht um Wirtschaftsmigranten, sondern ausschließlich um Flüchtlinge handeln dürfe. Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen die Migration nach Europa betrieben, würden von Polen nicht unterstützt, erklärte die Finanzmisterin des Landes, das von allen EU-Ländern die bei weitem größte Zahl von innereuropäischen Wirtschaftsmigranten stellt.

Nun wird daheim in Polen im Wahlkampf von allen politischen Seite die Flüchtlingsaufnahme kleingeredet und kleingerechnet, denn die EU-Kommission zahlt ihren Mitgliedsländern pro Flüchtling 6000 Euro aus dem EU-Haushalt. Das soll dann den Schmerz der Aufnahmegegner – derzeit drei von vier Polen – etwas lindern.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".