Gewalt am polnischen Nationalfeiertag

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Voller Konfliktpotenzial: Warschauer Unabhängigkeitsmarsch, Foto: Adam Kliczek / Wikipedia, licence: CC-BY-SA-3.0

Wie bereits seit Jahren, war auch in diesem Jahr der polnische Nationalfeiertag zur Feier der Wiedererlangung der Unabhängigkeit nach 123 Jahren polnischer Teilung am 11.11.1918 von Ausschreitungen und Gewalt gekennzeichnet. Seit dem Absturz der polnischen Präsidentenmaschine bei Smolensk am 10. April 2010 ist zu diesen Ausschreitungen eine neue Qualität hinzugekommen: unverhohlener Russenhass.

Am Vormittag finden die offiziellen Feierlichkeiten statt, dem sich der „offizielle“ von Staatspräsident Bronislaw Komorowski angeführte Marsch anschloss, der friedlich verlief. Neben den Märschen führten einige Ausstellungen zurück in die polnische Geschichte, dazu lockte eine historische Militärparade viele Warschauer in die City. Zahlreiche Volksläufer und Amateursportler nahmen in ihren T-Shirts in den polnischen Nationalfarben am „Unabhängigkeitslauf“ durch die Stadt teil.

Am Rande des am Nachmittag stattfindenden Warschauer Unabhängigkeitsmarschs ist man Krawalle fast schon gewohnt, dort treffen Antifaschisten und Linke auf Nationalisten und Rechte. Wie immer war auch in diesem Jahr ein Großaufgebot von Polizei zusammengezogen worden, um Zusammenstöße möglichst zu verhindern. Doch auch in diesem Jahr kam es wieder zu einer Straßenschlacht zwischen Polizei und Demonstranten.

Eine neue Hass- und Gewaltqualität brachte die Attacke auf die russische Botschaft ins Spiel, bei der Rechtsradikale die russische Vertretung mit Feuerwerkskörpern beschossen, und ein Wachhaus verbrannten. Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz erklärte, seit Polen vor 24 Jahren die Unabhängigkeit wiedererlangt habe, seien an den Botschaften in Warschau unzählige Demonstrationen vorbeigezogen. Nun habe man es zum ersten Mal mit einer physischen Attacke auf das Terrain einer fremden Vertretung zu tun. Solches Barbarentum habe man bisher in Polen nicht gekannt und so haben niemand vermuten können, dass es zu einem solchen Bruch aller zivilisatorischen Normen komme.

Der Zwischenfall an der russischen Botschaft zeigt diplomatische Folgen: Der polnische Botschafter in Moskau Wojciech Zajaczkowski wurde ins Außenministerium einbestellt. Ihm wurde eine scharfe Protestnote ausgehändigt. Russland verlangt darin eine Entschuldigung, die strafrechtliche Verfolgung der Schuldigen und die Wiedergutmachung der Schäden. Aleksander Aleskijew, der russische Botschafter in Polen sprach von einer antirussischen Hysterie in Polen.

Auch der Regenbogen, das anläßlich der polnischen EU-Ratspräsidentschaft von 2011 errichtete Symbol  für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender, wurde von gewaltbereiten Nationalisten niedergebrannt. Die 26 Meter breite  Kunstblumen-Installation von Julia Wojcik steht für ein tolerantes Polen und wurde bereits mehrfach Opfer von Attacken des rechten Mobs.

Insgesamt nahmen an den beiden Märschen in Warschau mehr als 100.000 Menschen teil. Während der Krawalle am gestrigen polnischen Unabhängigkeitstag wurden 12 Polizisten verletzt und 72 mutmaßlich gewalttätige Demonstranten verhaftet worden. Die Polizei kündigte inzwischen weitere Festnahmen an. Die bisher aufgenommenen Schäden betragen 120.000 Zloty.

Mit der liberalen Gazeta Wyborcza und der konservativen Rzeczpospolita machen sich die beisen einflußreichen polnischen Tageszeitungen Gedanken über ein immer mehr in zwei Gruppen zerfallendes Gedenken an die polnische Unabhängigkeit. So würde der polnische Ex-Premier und Vorsitzende der Oppositionspartei PiS Jaroslaw Kaczynski siet Jahren die offiziellen Gedenkfeiern mit viel begleitendem Wirbel boykottieren. Damit brüskiere er nicht nur den amtierenden Präsidenten Bronislaw Komorowski, sondern auch damaligen Politikern wie Ignacy Paderewski und den Kämpfern, die Polens Wiedererstehen errungen hätten die Ehrerbietung verweigert. Seine Begründung seine eine äußere Bedrohung der polnischen Unabhängigkeit, diesmal wolle eine EU-gesteuerte europäische Föderation Polen die Unabhängigkeit rauben. Außerdem seien – wieder einmal – während des Marsches der Rechten homophobe Parolen skandiert worden. Auf der anderen Seite haben die Menschen, die den Päsidenten auf dessen Marsch begleiteten sich ruhig und besonnen verhalten. Auf die Frage, ob ein Dialog von Menschen mit so fundamental verschiedenen Geschichtsbildern möglich ist, kommt die Gazeta Wyborcza zu diesem Schluss: Ja, das sei möglich, aber nur, wenn der von Bedrohung redende Kaczynski einen Spiegel mitbringe.

Ähnlich sieht es die Rzeczpospolita. Man habe am Unabhängigkeitstag zwei Polen beobachtet, eines, das den 95. Jahrestag der Unabhängigkeit mit dem Marsch feierte, den Präsident Komorowski anführteIn diesem Rahmen gab es den gemeinsamen. Und dann habe es noch den Marsch von Jaros?aw Kaczynski und der Nationalisten gegeben. Nun sei eskeine Katastrophe, dass die Bürger Polens nicht gemeinsam feiern, denn die Möglichkeit der Auseinandersetzung miteinander sei ja der Reiz der Demokratie. Allerdings dürfe man erwarten, dass es die Gemeinsamkeit der Vaterlandsliebe gebe. Diese Grenze aber sei am Nationalfeiertag gefallen, denn das Polen des zweiten Marsches bestünde aus Hooligans und Krawallmachern, die die Unabhängigkeit gar nicht zu schätzen wüssten, liest man zusammenfassend in der Rzeczpospolita.

Das Wachhaus der russischen Botschaft brennt:

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Über Brigitte Jaeger-Dabek 1611 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".