Katyn – Andrzej Wajdas filmische Vergangenheitsbewältigung

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Nun ist er auch in deutschen Kinos zu sehen, Andrzej Wajdas Historienfilm „Das Massaker von Katyn“. In Polen strömten 3,7 Millionen Menschen in die Kinos, um den Film über Polens große, offene Wunde zu sehen. Kaum ein Thema der neueren polnischen Geschichte entfacht in Polen solche emotionalen Aufwallungen.

Das Kriegsdrama verfilmt eines der schlimmsten im 2. Weltkrieg an Polen verübten Verbrechen. Im Frühjahr 1940 waren in Katyn, Charkow, Kalinin und Kiew vom sowjetischen Geheimdienst NKWD rund 22 000 unbewaffnete, kriegsgefangene polnische Offiziere meist durch Genickschuss hingerichtet worden.

Andrzej Wajdas Geschichte des Massakers von Katyn ist also ein sehr polnischer Film, er wurde von einem betroffene Polen in erster Linie für polnische Zuschauer gemacht, und die können mit deutscher Kritik wie der von Ekkehard Körner im Perlentaucher nicht viel anfangen der dort schrieb: „Und da es offenbar nicht nur hierzulande Kräfte gibt, die jeden wichtigen historischen Sachverhalt in die Form eines Historienfilms überführen zu müssen glauben, gibt es jetzt also Andrzej Wajdas Katyn.“ Jeder Pole ist betroffen von Katyn, fühlt sich betroffen von dem dort stattgefundenen Versuch, die polnische Elite auszulöschen. Anke Westphal versteht in der Berliner Zeitung besser, worum es in diesem Film geht: er ist ein historisches Lehrstück.

Katyn ist das Symbol der polnischen Tragödie, des zwischen Hammer und Amboss geratenen Volkes, das drohte zwischen Hitler und Stalin zerrieben zu werden. Dazu durfte auch nach dem Krieg nicht über dieses Verbrechen geredet werden, 45 Jahre mussten die Polen mit einer historischen Lüge leben, Katyn war Tabu. Polnischer Widerstandsgeist brachte in den 70er und 80er Jahren in der Untergrundliteratur des „drugi bieg“, des zweiten Umlaufs immer wieder Texte in Umlauf, die sich mit der Wahrheit von Katyn befassten.

Wie wichtig das Thema Katyn in der polnischen Gesellschaft ist, zeigten auch die Reaktionen auf Putins Brief an die Polen zum 70. Jahrestags des Überfalls auf Polen am 1. September 1939. In Polen wurde zwar ein leises Bedauern der russischen Seite anerkennend registriert, gleichzeitig die aber wieder nicht erfolgte Entschuldigung für Katyn gerügt. Das polnische Institut für Nationales Gedenken IPN hat kürzlich akribische Forschungen angestellt, die ergaben, dass 1,8 Millionen Polen Opfer Stalins wurden. Hunderttausende verschwanden spurlos und wurden ermordet, mehr als eine Million verschleppt.

So ist Katyn ein wichtiger Film, denn hier geht es nicht um einen Historienfilm über irgendeinen „wichtigen historischen Sachverhalt“, hier geht es um ein in der polnischen Gesellschaft noch immer wichtiges Trauma. Ob der deutsche Titel „Das Massaker von Katyn“ klug gewählt ist, sei dahingestellt, er ist reißerisch, aber das ist der Film in keiner Weise. Doch ist natürlich die für deutsche Zuschauer weitestgehend unbekannte Thematik schwer mit dem schlichten Titel Katyn zu erfassen. Tatsächlich ist auch Katyn von Wajdas tiefem humanistischen Empfinden geprägt, das Massaker selbst in einer viertelstündigen Schlusssequenz gnadenlos dargestellt wie auch der spätere Umgang mit dem Verbrechen, nämlich das Leben mit der Lüge über die Täterschaft.

Wajda erzählt die Geschichte aus der Sicht der Angehörigen, zeigt das Erleben von Ehefrauen und Kindern, die damals auf ihre Männer und Väter warteten. Im Mittelpunkt stehen die Offiziersfamilien, steht exemplarisch Anna, die am Anfang des Films mit ihrer kleinen Tochter hilflos ansehen muss, wie ihr Mann und andere Offiziere in Züge verfrachtet und über den Bug in den Osten geschickt werden. Mutter und Tochter gelingt die Flucht nach Krakau zu den Schwiegereltern. Hier zeigt der Film die ganze ausweglose Situation vor allem der Polen, die zur Elite gerechnet wurden. In Krakau nämlich herrschen die Deutschen, die ebenfalls Jagd auf die polnischen Eliten machen und sie in Konzentrationslager sperren, oder gleich ermorden. Wajda zeigt in beklemmenden, eindringlichen Bildern, wie die Polen zwischen Hammer und Amboss gerieten, zeigt das Leben unter deutscher Besatzung und später das Leben der Betroffenen im Kommunismus mit all seinen Facetten.

Was das Verbrechen von Katyn so einzigartig machte, war die Dauer der Auswirkungen dieses Massenmordes, über den Jahrzehnte nicht die Wahrheit gesagt werden durfte. Das Benennen der Täter und die Aufarbeitung des Geschehens haben viele der Angehörigen der Opfer nicht einmal mehr erlebt. Auch Wajdas Mutter wartete bis zu ihrem Tod 1950 auf Kapitän Jakub Wajda, Wajdas Vater, der nicht auf der Todesliste von Katyn stand und vermutlich in einem der anderen vier Orte ermordet wurde. Die Filmmusik stammt von Krzysztof Penderecki, vor allem aus dem Polnischen Requiem. Penderecki stammt auch aus einer Opferfamilie.

So ist dieser Film ein „Lehrstück über Massenmord und Lüge„, ihn zu sehen, macht die Gedankenwelt der Polen verständlicher und zeigt, wie weit solche Traumata reichen können. Mag sein, dass dieser Film nicht zu Wajdas kinematografisch besten Werken zählt, seine Filmsprache veraltet ist. Zu seinen wichtigsten Filmen zählt er allemal.

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Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".