Neue Korruptionsaffäre in Polen
Seit gut einer Woche beherrscht eine neue Korruptionsaffäre in Polen die Schlagzeilen der Medien. Diesmal geht es um die Vetternwirtschaft beim kleinen Koalitionspartner, der Bauernpartei PSL.
Kürzlich veröffentlichte das polnische Internet-Wirtschaftsmagazin „Puls Biznesu“ einen Artikel, in dem eine neue Abhöraffäre aufgedeckt wurde. Ein Gespräch zwischen dem dem Vorsitzenden der größten Bauerngewerkschaft KZRKiOR, Wladyslaw Serafin, und dem Ex-Chef der Nationalen Behörde des Agrarmarkts (ARR), Wladyslaw Lukasik, das mit versteckten Aufzeichnungsgeräten aufgenommen wurden. Das Internetportal veröffentlichte eine komplette Abschrift sowie die komplette 48-minütige Videoaufnahme dieses Gesprächs. Dazu gibt es bei Puls Biznesu eine Möglichkeit per RSS auf dem neuesten Stand der Affäre zu bleiben und weitere Informationen zu erhalten.
Das mit versteckter Kamera aufgezeichnete Gespräch entlarvt den kleinen Koalitionspartner, die Bauernpartei PSL als einen Sumpf aus Vorteilsnahmen und Vetternwirtschaft. In dem aufgezeichneten Gespräch sprach Lukasik detailliert darüber, wie PSL-Mitglieder, vor allem aber PSL- Funktionsträger und Abgeordnete der PSL persönlich aus ihren Ämtern und Positionen in staatlichen Einrichtungen Profit schlagen.
Landwirtschaftsminister Sawicki zeigte sich erstaunt und rief zunächst Staatsanwalt und Anti-Korruptionsbehörde dazu auf, tätig zu werden, um die in der Öffentlichkeit verbreiteten Diffamierungen möglichst schnell auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Sawicki beteuerte seine Unschuld an der Korruptionsaffäre, doch war er nicht zu halten und trat am 18. Juli von seinem Posten als polnischer Landwirtschaftsminister zurück.
Tusk übernimmt das Landwirtschaftsministerium
Premierminister Donald Tusk vom großen Koalitionspartner Bürgerplattform PO übernimmt die Ressortleitung des Landwirtschaftsministeriums selbst, bis die Details der Affäre aufgeklärt sind. Er zeigte dem Vizepremier und PSL-Chef Waldemar Pawlak, der den Vorschlag an Tusk herantrug, den Sawicki-Nachfolger aus den Reihen der PSL zu berufen, die kalte Schulter. Tusk will nun hart durchgreifen gegen die Vetternwirtschaft und Korruption in staatlichen Unternehmen und Institutionen. Er kündigte an, in den nächsten Wochen ein Projekt gegen die Entpolitisierung staatlicher Einrichtungen der Agrarwirtschaft starten. Er sei der Meinung, wenn die Ernennungskompetenz wie dabei vorgesehen bei Experten läge, sei das ein gutes Hilfsmittel um die Entflechtung der bisher permanenten Interessenvermengung von Wirtschaft, Staat und Politik voran zu bringen. Er sehe die Zustimmung des Koalitionspartners PSL zu diesem Projekt als zwingend für die Fortsetzung der Koalition an. Man dürfe nur weil man Koalitionspartner sei, nicht den Eindruck einer Gemeinschaft auf Gedeih und Verderb erwecken, die unakzeptable Handlungsweisen deckt.
So wird die Frage in Polen laut, ob diese Koalition ihre zweite Legislaturperiode überstehen wird. Das aufschlussreiche, heimlich aufgenommene Gespräch offenbart in den Details einen Bauernklüngel mit einiger Sprengkraft und ein von oben bis unten von Vetternwirtschaft durchzogenes Agrarsystem. Einhelliger Tenor der großen Tageszeitungen war die Forderung nach Sawickis Rücktritt, denn ob er nun persönlich an dem Bauernklüngel persönlich beteiligt sei oder nicht: Als Minister ist er mitverantwortlich und habe seine Amtspflichten vernachlässigt.
Inzwischen hat es weitere Rücktritte gegeben. Andrzej Smietanko, Sawickis Vorgänger im Amt war zuletzt einer Handelsagentur für Getreide. Die wiederum ist eine hundertprozentige Tochter der ARR. Smietanko musste seinen mit einer Million Zloty Jahressalär für polnische Verhältnisse fürstlich dotierten Posten verlassen. Jan Bury war bisher Vizeminister im Schatzministerium, trat ebenfalls zurück. Diese Rücktritte erfolgten, noch bevor mögliche konkrete Vorwürfe überhaupt überprüft werden konnten.
PSL-Vetternwirtschaft: Die Spitze des Eisbergs
Die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita meint, die neue Affäre sei nur die Spitze des Eisbergs und führt – wie andere Blätter auch – fast täglich neue Beispiele für den Bauernsumpf auf. Doch sieht man die PO auch nicht eben mit blütenweißer Weste dastehen. Journalisten des Blatts haben allein 20 staatliche Gesellschaften und Organisationen aufgetan, die als wichtig für Polens Wirtschaft gelten. Dort würden Posten im Vorstand oder Aufsichtsrat mit ebenfalls Top-Gehältern von Mitgliedern der Regierungspartei besetzt. Auch Familienmitglieder, Freunde und Menschen, denen ein hochrangiges Parteimitglied einen Gefallen schuldet, werden nicht vergessen beim systematischen Ausplündern der Staatskassen.
Das bestätigt auch die Zentrale Antikorruptionsbehörde CBA und die Oberste Kontrollkammer NIK. Viele Berichte über solche Praktiken habe man dem Premierminster zugesandt. Tusk kommentierte, er könne nicht alle 1.800 Berichte lesen, die man ihm zuschicke. Das kritisiert die Rzeczpospolita, mit dem Einwurf, Tusk habe schließlich einen Stab von 500 Mitarbeitern.
Die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza sieht auch Institutionen beteiligt, die eigentlich längst abgeschafft werden sollten wie die Nationale Behörde des Agrarmarkts, die nach dem EU-Beitritt Polens ihre Daseinsberechtigung verloren habe. Jedoch gäbe es dort 1.400 Jobs, vor allem für PSL-Mitglieder. Das aber sein genau der Knackpunkt: Über viele Jahre wurden Jobs für PSL-Mitglieder warm gehalten, die es nicht mehr geben sollte. Das Blatt beurteilt vor allem Tusks Pläne skeptisch. Da reiche es nicht einfach den Landwirtschaftsminister zu tauschen und ein Projekt umzusetzen, mit dem alles erledigt sei. Nach Sicht der Gazeta Wyborcza hat die PSL Polen mit einem flächendeckenden Netz von Beziehungen und Abhängigkeiten überzogen und die Vetternwirtschaft des Bauernklüngels liege im Wesen der PSL. Daran würde ein neuer PSL-Minister nichts ändern, denn der würde alte Seilschaften nur gegen neue – seine – Seilschaften austauschen.
Nun macht wieder der bitterbösen Spott-Spruch die Runde, den man bei Gesprächen in Polen wieder oft hört: Cztery lata, nowa chata (vier Jahre, neues Haus, bezugnehmend auf die vierjährige Legislaturperiode gewählter Funktionsträger).