Von einer polnischen Musik ist in den Ländern von Beethoven, Bach und Mozart nicht viel bekannt. Und eines ist richtig: tatsächlich gab es keinen polnischen Bach oder Mozart. Aber einen Chopin haben die Polen vorzuweisen, und den immerhin kennt die Welt. Frederic Chopin (Fryderyk Franciszek Szopen, (1810-1849), war der Sohn eines französischen Hauslehrers und einer polnischen Adligen, der 1810 in ?elazowa Wola bei Warschau geboren wurde.
Chopin wurde im Pariser Exil ganz im Sinne der polnischen Romantik als glühender Verfechter der Befreiung seines Landes rasch zum Botschafter Polens. Besonders seine Nocturnes und Walzer sind beredte Zeugnisse seiner patriotischen Haltung. Seine Revolutionsetüde , die er eigentlich zu Ehren Frankreichs, des Heimatlandes seines Vaters komponiert hatte, wurde von seinen polnischen Landsleuten als flammender Aufruf zum Aufstand und als Aufschrei gegen die drückende, verhasste Fremdherrschaft gesehen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die ersten Takte der Revolutionsetüde zur Erkennungsmelodie für die Untergrundkämpfer der polnischen Heimatarmee. Chopin fand eine polnische musikalische Handschrift und führte mit den Mazurkas Elemente polnischer Volksmusik ein, die er damit hoffähig machte.
Zwar war Chopin ein Komponist mit Weltgeltung, aber die so lange erhoffte polnische Nationaloper schrieb er nicht. Das blieb Stanis?aw Moniuszko (1819-1872) vorbehalten, dem polnische Smetana. Er verwendete noch konsequenter Motive aus der polnischen Volksmusik. Seine außerhalb Polens nahezu unbekannt Oper »Halka« handelt von einem verführten Bauernmädchen, das sich am Ende das Leben nimmt. Noch heute gehört diese Oper zum klassischen Repertoire aller polnischen Opernsänger.
Politiker und Musiker zugleich war der Komponist und Pianist Jan Ignacy Paderewski (1860-1941) der während seiner Gastspiele in den USA den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson stark beeindruckte. Die Souveränität Polens wurde ein zentrales Anliegen i dessen 14-Punkte-Friedensplan zur Beendigung des Ersten Weltkrieges. Der einflussreiche Paderewski wurde 1919 Ministerpräsident seines Landes und vertrat es bei der Pariser Friedenskonferenz. Nach der Besetzung Polens wurde er 1940 Präsident des Exilparlaments in London. Dem Komponisten Paderewski allerdings tat der Wechsel in die Politik nicht gut, er erreichte seit dem nie wieder solch meisterliche Schaffenshöhe wie zu Beginn des Jahrhunderts. Paderewski galt als eine der charismatischsten Persönlichkeiten der polnischen Kulturszene und als bester Pianist seit Franz Liszt. Seine Oper »Manru « (1901) ist Paderewskis bekanntestes Werk und blieb bis heute die einzige polnische Oper, die jemals an der New Yorker Metropolitan Opera aufgeführt wurde.
Karol Szymanowski (1882-1937) wurde zum großen Erneuerer der polnischen Musik. Zwar war sein Ansatz nicht minder von politischen Beweggründen geprägt, dennoch fand er einen durchaus eigenen, vom Impressionismus Strawinskys inspirierten Stil. Seine Oper »König Roger« (Król Roger, 1926) ist genau wie seine Symphonien festes Repertoire polnischer Opernhäuser und Konzertsäle.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Musik wie die gesamte Kultur Polens thematisch lange von den Traumata der Besatzung und des Holocaust beherrscht. Krzysztof Penderecki (*1933) läutete Polens Musikmoderne ein und wurde ihr bekanntester Vertreter. Bereits in den 50er Jahren prägte sich sein modernes Musikverständnis aus, das jenseits der klassischen Harmonielehre musikalisches Neuland betrat. Seine durchaus auch religiös inspirierten Werke wurden zu Meisterwerken der musikalischen Moderne. Außerhalb Polens wurden vor allem seine Werke »Polnisches Requiem«, die »Mahnung von Auschwitz und Hiroshima« sowie das »Oratorium« und »Dies Irae« immer wieder gespielt. Der Warschauer Herbst (Warszawska Jesie?) machte Penderecki international bekannt und wurde ab 1957 zum immer wieder Aufsehen erregenden und weltweit bedeutenden Festival moderner Kunst.
Zu Polens musikalischer Moderne ist auch Witold Lutoslawski (1913-1995) mit seiner Vorliebe für Motive aus der polnischen Volksmusik zu zählen, die er in seinem Hauptwerk »Musique Funebre« mit Elementen der westeuropäischen Avantgarde vermischte. Henryk Miko?aj Górecki (*1933) schaffte sogar das Kunststück, mit seiner 3.Symphonie (Symphonie der Klagelieder) die Pop Charts zu erobern und wurde zur Kultfigur in Polen
Doch so stark Polens Musikmoderne auch ist, noch bekannter wurden Polens Jazzer, in denen man zusammen mit den Skandinaviern seit nunmehr fünf Jahrzehnten Europas Spitzenklasse sieht. Die Anfänge lagen fast konspirativ in versteckten Kellern, in denen schon in den 50er Jahren gegen das Regime anmusiziert wurde. Der polnische Jazz brachte eben diese Regime immer wieder in Erklärungsnöte zwischen Beifall und Verdammung einer Musik die zwar einerseits zum Klassenfeind USA gehörte, andererseits aber in der Musik der unterdrückten Sklaven wurzelte. In dieser Nische richteten die polnischen Jazzer sich ein und verstanden es, sich rasch gewisse Freiräume zu schaffen. Bereits 1956 wurde in Sopot mit dem Jazz Jamboree eine Veranstaltung begründet, die heute das älteste Jazzfestival Europas ist. Dort spielten alle Jazzgrößen Europas, genau wie auf dem Warsaw Jazz Days und dem Poznan Jazz Fair.
Führungsfigur des polnischen Dixie ist der Trompeter und Komponist Henryk Majewski (*1936). Urszula Dudziak ist mit ihrem Volumen von sagenhaften fünf Oktaven die Stimme des polnischen Jazz. Kultstatus hat der bereits 1969 verstorbene Pianist Krzysztof Komeda Trzcinski. Bei ihm spielten fast alle späteren Leader bekannter Bands sämtlicher stilistischer Richtungen des polnischen Jazz.
Weit über Polens Grenzen hinaus bekannt wurden seine Filmmusiken, vor allem durch die Musik zu Polanskis „Rosemaries Baby“. Polens derzeit bekanntester Jazzer ist der Trompeter Tomasz Stanko(*1942), ein Vertreter des Modern Jazz, der im Dezember 2002 den europäischen Jazzpreis erhielt.
(c) Brigitte Jäger-Dabek
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