Polen: Offener Brief an die demokratische Welt

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Demonstration des KOD vor dem Sejm in Warschau, Foto: Sankoff64, CC-BY-SA 4.0

Demonstration des KOD vor dem Sejm in Warschau, Foto: Sankoff64, CC-BY-SA 4.0

Ireneusz Doman Domanski hat einen Offenen Brief an die demokratische freie Weld gechrieben. Es geht um die Unterstützung des Komitees zur Verteidigung der Demokratie und darum, dass Polen anders ist und die Polen um die Demokratie in ihrem Land kämpfen wollen. Nein, Polen ist noch lange nicht verloren, auch Polens Demokratie nicht. Damit das so bleibt, muss Polens Demokratie weiter verteidigt werden.

Ireneusz Doman Domanski
Offener Brief:

Demokratie in Polen verteidigen. Um nicht um sie wieder kämpfen zu müssen.

Liebe Europäer, liebe Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika.

Vielleicht irgendwo in Frankreich, Portugal, Grossbritannien, Deutschland, Rumänien, Tschechien oder in einem anderen freien und demokratischen Land, stellt Ihr euch leicht verwundert die Frage: Was ist in Polen los? Warum gehen diese Polen wieder auf die Strassen? Worum geht es ihnen?

Eure Verwunderung erstaunt mich nicht. Es ist doch – auf den ersten Blick – nichts passiert. Der neue Präsident wurde demokratisch gewählt, in den demokratischen und freien Wahlen ist die Partei mit dem schönen Namen Recht und Gerechtigkeit (polnisch: Prawo i Sprawiedliwosc, PiS) an die Macht gekommen. Sie hat die Mehrheit in den beiden Kammern des Parlaments, sie hat die Regierung. Alles ganz normal.
Warum hat dann im November 2015, das heisst gleich nach den Wahlen, Krzysztof Lozinski,Schriftsteller, Publizist, Mitarbeiter von Amnesty International, in meinem Land bekannt aus der Zeit des Kampfes gegen die kommunistische Diktatur, auf dem Portal “Studio Opinii” eine Losung ausgegeben: Man muss das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) gründen?

http://studioopinii.pl/krzysztof-lozinski-trzeba-zalozyc-kod/

Warum begann sich, ein paar Tage nach seinem Aufruf, spontan und schwungvoll, zuerst in Facebook, später in der realen Welt, KOD (polnisch “Komitet Obrony Demokracji”, das Komitee zur Verteidigung der Demokratie) zu bilden? Warum erhielten die Verteidiger der Demokratie Unterstützung von Lech Walesa, dem Friedensnobelpreisträger, dem legendären Vorsitzenden der Gewerkschaft „Solidarnosc”, dem ehemaligen Staatspräsidenten Polens? Warum treten Polen dieser Bewegung massenweise bei? Und warum gehen sie in Scharen im ganzen Land auf die Strassen, um zu demonstrieren und zu protestieren?

Lozinski hat in seinem Text geschrieben: „..oft taucht die Frage auf, was man angesichts der offenen Versuche, die Demokratie zu demontieren, tun soll (…)“
So vieles zeugt davon, dass bei uns Schritt für Schritt die Demokratie demontiert wird, dass Polen Gefahr läuft, marginalisiert und – in der nahen Zukunft – isoliert zu werden. Bei den demokratischen Wahlen erlangte die Rechte mit linken Postulaten die Macht. Sie stellt alles in Frage, was mein, unser Land im letzten Vierteljahrhundert erreicht hat. Alles, worauf ich stolz bin. Alles, wessen sich viele meiner Landsleute in Europa und in der ganzen Welt rühmen.

Wie anders als eine Schädigung oder geradezu Demontage der Demokratie lässt sich die Lähmung des Verfassungsgerichtshofes nennen, das doch in jedem demokratischen Land die Demokratie stützt und beschützt? Wie anders soll man die Situation beurteilen, wenn die Entscheidungen des Verfassungsgerichthofes nicht umgesetzt und in Frage gestellt werden? Wenn im Parlament nachts (oft um vier Uhr morgens!) Gesetze durchgebracht werden, die alle VerfassungsrechtlerInnen und Juristenverbände als verfassungswidrig erachten? Oder wenn der Staastpäsident ein Gerichtsverfahren gegen einen in der ersten Instanz verurteilten Politiker aus der eigenen Partei einstellt, damit dieser Minister werden und den Geheimdienst leiten kann? Polens Präsident, Andrzej Duda, ist Doktor der Rechtswissenschaften, Absolvent und wissenschaftlicher Mitarbeiter der altehrwürdigen Jagiellonen Universität (UJ) in Krakau. Die Juristische Fakultät der UJ hat sich von seiner Vorgehensweise distanziert.

Die Politiker des Regierungslagers reden von der Notwendigkeit, den ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten, den jetzigen EU-Ratspräsidenten, Donald Tusk, vor das Staatstribunal zu stellen. Der stellvertretende Ministerpräsident und Kulturminister versucht Einfluss auf den Spielplan der polnischen Theater zu nehmen. Die Repräsentanten der Macht verkünden, dass der Wille der Nation über dem Recht, über der Verfassung steht! Sie behaupten, vom Volk ein Mandat bekommen zu haben, zu tun, was siewollen. Man hört Rufe nach der Verhaftung des Verfassungsgerichtes, wenn es sich nichtbeugt und den neuen Regeln der Gesetzgebung nicht unterordnet. Ich möchte Euch bewusst machen, dass für die heute Regierenden nur 18,7% der wahlberechtigten Polen Ihre Stimme abgegeben haben. Das ist ein Mandat, Macht auszuüben und nicht das Land zu vereinnahmen, die in einer Volksabstimmung angenommene Verfassung ausser Kraft zu setzen. Das ist kein Mandat zur Veränderung der Staatsform.

Im polnischen Parlament wird der Opposition das Wort entzogen. Die Abstimmungen werden wiederholt, die Zusammensetzung der parlamentarischen Kommissionen verändert, wenn per Zufall Abstimmungsergebnisse für die Regierung ungünstig sind. Die Abgeordneten der Opposition erhalten die Entwürfe der wichtigen Gesetze im letzten Augenblick vor der Debatte, dh. sie haben keine Chance, sie zu analysieren. Ihre Bemerkungen und Änderungen werden abgelehnt. Die Gesetze werden im Eiltempo angenommen, damit die Regierung Kontrolle über öffentliche Medien übernehmen und Säuberungen in Radio- und Fernsehredaktionen durchführen kann. Geplant ist ein Gesetz, das die allgemeine Überwachung, Internetkontrolle und (u.A.) E-Mail-Überwachung ermöglicht. Apolitischer Öffentlicher Dienst (der Beamtenstatus) wird abgeschafft, alle Stellen werden mit den Parteifunktionären besetzt.

Könnt Ihr euch das in euren Ländern vorstellen? In Grossbritanien, Deutschland, Portugal, Tschechen oder in den USA?

Wenn Ihr Amerikaner seid, kennt Ihr in eurem Land kein Leben ohne die Demokratie, weil Ihr sie seit immer habt. Wenn Ihr Briten seid, habt Ihr die Demokratie seit Menschengedenken. Aber schon Ihr, Portugiesen, könnt euch gut an Salazar erinnern. Würde euch die Vorstellung, in die Zeiten vor der Nelkenrevolution zurückzukehren, nicht in höchstem Grade beunruhigen? Würde sie Euch zur Verteidigung der Demokratie, in der Ihr seit vierzig Jahren lebt, nicht mobilisieren? Würdet Ihr sie ohne Kampf aufgeben?

Spanier, erinnert ihr euch an den Tag 23-F? War es euch nicht bange, als die Söldner der Guardia Civil, unter dem Kommando des Oberleutnants Antonio Tejeros, bewaffnet ins Parlament eingedrungen sind, um die Vereidigung von Leopoldo Calvo-Sotelo von der UCD zum Regierungschef zu verhindern? Es war 1981, erst 6 Jahre nach Franco’s Tod und nach dem Ende seiner brutalen Diktatur. Ein paar Monate vor der Verhängung des Kriegsrechts,vor der Machtübernahme durch die Militärdiktatur in Polen, vor der Erstickung der Solidarnosc-Bewegung, Internierung von Lech Walesa und von Tausenden Oppositionellen.

Rumänen, Tschechen, Slowaken und Europäer aus den ehemals kommunistischen Ländern! Ihr erfreut euch der Freiheit und Demokratie etwas kürzer als wir. So viele von euch Deutschen, nämlich die Bewohner der östlichen Bundesländer, haben die Freiheit kurz nach uns wiedererlangt. Die Berliner Mauer fiel, als wir, unter der Führung von Lech Walesa, friedlich und ohne einen Tropfen Blut zu vergiessen das kommunistische Joch abgeschüttelt haben. Ich nehme an, dass bei Euch auch Alarmglocken schrillen würden, wenn eure Freiheit in Frage gestellt, die Demokratie in euren Ländern abgebaut würde, wenn man versuchen würde, neue Mauern zu bauen, die eure Eigenständigkeit einschränken könnten. Dies würde in Euch Besorgnis erregen und Widerstand hervorrufen. Dies würde Euch veranlassen, euch zu verteidigen und auf die Straße zu gehen.

Bürger Frankreichs! Haben nicht ähnliche Befürchtungen viele von Euch im Dezember 2015 dazu gebracht, traditionelle Antagonismen zu überwinden und die Verständigung und die Zusammenarbeit zwischen den politischen Erzrivalen, den Konservativen und Sozialisten, zu suchen, um die Nationale Front nicht an die Macht zu lassen? Gerade deshalb entstand KOD nach dem Muster von KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter), einer Oppositionsbewegung aus den Zeiten der kommunistischen Diktatur in Polen. Ich komme aus Radom, einer Stadt, in der im Juni 1976 ein Aufstand der Arbeiter gegen die Kommunistische Partei stattfand, brutal unterdrückt von der Polizei. Damals wurde das Gebäude des Komitees einer Partei, die im Namen das Wort „Arbeiter“ führte, durch Arbeiter in Brand gesteckt. KOR entstand damals, um die Verhafteten und Verfolgten zu verteidigen. Jacek Kuron, einer seiner Führer, einer der bedeutendsten Männer der damaligen Opposition, sagte damals: „Verbrennt die Parteikomittees nicht! Errichtet eigene!“

So haben wir es auch getan.

Weil die Bedrohung der Demokratie in meinem Land real ist, konnte KOD in kurzer Zeit zu einer Massenbewegung werden. Zu einer Bewegung, die die demokratischen Wahlen nicht anfechtet, sondern achtet. Wir werden die Parteikomitees nicht verbrennen. Wir sind keine Aggressoren. Wir stellen uns gegen die Aggressoren, um sie zu stoppen.

Mateusz Kijowski, Anführer unserer KOD-Bewegung, hat am 20. November unser Manifest geschrieben:

Die Demokratie in Polen ist in Gefahr.

Die Handlungen der Regierungsmehrheit, ihre Missachtung des Rechts und der demokratischen Gepflogenheiten, zwingen uns entschieden Widerstand zu leisten. Wir wollen kein totalitäres Polen, das sich Andersdenkenden verschließt. Wir wollen kein Polen der Frustration und Rachsucht.Wir wollen, dass in unserem Land alle Bürger einen Platz finden, gleichberechtigt vor dem Gesetz mit ihren Überzeugungen, Meinungen, moralischen und ästhetischen Vorstellungen.

Wir stemmen uns gegen die Vereinnahmung des Staates, die Einteilung der Bürger in Bessere und Schlechtere und gegen die Verachtung des „Anderen“. Ebenso stellen wir uns Ansichten entgegen, die Menschenrechte und die Grundlagen derDemokratie einschränken.

Entschlossen und in voller Offenheit erheben wir die Stimme für Anstand, Recht und gegenseitige Achtung. Wir verkünden unsere Meinung nicht nur zu Hause und im Internet, sondern auch auf den Straßen und Plätzen unserer Städte und Dörfer. Und wenn es die Lage erfordert, werden wir uns dort auch versammeln um unsere Ansichten und Forderungen zum Ausdruck zu bringen.

Wir heißen alle willkommen, ohne Rücksicht auf politische und religiöse Überzeugungen, denen die Werte der Demokratie am Herzen liegen. Wir sagen Nein zur Verletzung der Verfassung und dem Missbrauch demokratischer Mittel zur Einführung einer autoritären Herrschaft.

Wir sind Menschen verschiedener Auffassungen und politischer Ausrichtungen, von rechts nach links, Gläubige, Agnostiker und Atheisten. Uns verbindet, dass wir als freie Menschen auch weiterhin in unserem eigenen, demokratischen Lande leben wollen, in dem uns niemand vorschreibt, wie wir unser Leben gestalten und zu welchen Werten wir uns bekennen.

https://www.facebook.com/groups/KomitetObronyDemokracji/

Im Dezember 2015 befragte BBC den polnischen Präsidenten zu den Antiregierung- Kundgebungen, die vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) in vielen polnischen Städten organisiert wurden.

„An diesen Demonstrationen nehmen vor allem diejenigen teil, die zuletzt in Polen regiert haben und von den polnischen Wählern abgesetzt wurden“ – sagte Andrzej Duda. Er fügte hinzu, dass diese Personen dies nicht akzeptieren wollen, deshalb – sagte der Präsident – hetzen sie das Volk auf und organisieren
Demonstrationen (Zit. nach dziennik.pl).

Das ist das Narrative der momentan in Polen Regierenden. So äußert sich Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der regierungsbildenden Partei. Er selbst ist ein gewönlicher Abgeordneter und formal kann für nichts haftbar gemacht werden. Aber gerade er nennt uns Polen einer schlechteren Sorte. Er spricht – in den Kommentaren zu den Protesten der KOD -über Polen, die gleichzeitig mit der Gestapo (sic!) und der Polnischen Heimatarmee, der polnischen Untergrundarmee während des Zweiten Weltkrieges, zusammengearbeitet haben. Seine Parteifreunde nennen uns „Kommunisten und Diebe“, weggejagt vom Trog, Menschen, die sich nicht damit abfinden können, die Macht verloren zu haben.

Das sind Lügen! Weder mir, noch den tausenden Menschen vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie oder anderen Teilnehmern der Demonstrationen, wurde die Macht weggenommen. Ich habe sie nie besessen. Ich bin ein gewöhnlicher Pole, stolz auf die Errungenschaften meines Landes, ich freue mich über sein bisher wachsendes Prestige, schätze die über Jahre erkämpfte Freiheit und bin bereit, diese zu verteidigen.

Diese brutale Sprache dient der Teilung der Polen, der Erbauung von Mauern. Der Vorsitzende der momentan regierenden Gruppierung versucht seine politische Vision zu realisieren. Er hat nicht die Macht, um die Verfassung zu ändern. Deshalb bemüht er sich, alle Kontrollmechanismen zu schwächen, die das Recht und die Demokratie beschützen, wie das Verfassungsgericht, freie Medien, unabhängige Gerichte und autonome Staatsanwälte.

Mitte Dezember 2015 sagte Lech Walesa im Radio Zet: „Hier wird es zu einem Unglück kommen, das wird schlecht enden, in einem Kampf enden, sie führen zum Bürgerkrieg und deshalb, um es zu verhindern, muss man sich strukturiert und organisatorisch vorbereiten und man muss bereits jetzt anfangen Unterschriften für ein Referendum zu sammeln. Wenn im Referendum die Anzahl der Stimmen für die Verkürzung der Parlamentsamtszeit die in den Wahlen für PiS abgegebene Anzahl der Stimmen übersteigt, wird es zu einer physischen Verlagerung kommen“.

Viele – unter ihnen Politiker, aus dem Lager das momentan Polen regiert – behaupten: es herrscht doch Demokratie, wenn ihr auf den Straßen demonstrieren könnt. Ich antworte ihnen: noch herrscht Demokratie, obwohl ihr dieser Hiebe zufügt. Aber solange sie vorhanden ist, verteidigen wir sie, damit ihr sie uns nicht wegnehmt. Denn wir wollen nicht erneut um sie kämpfen, so wie in den langen Jahren vor 1989.

Wir wollten das Komitee zur Verteidigung der Demokratie nicht gründen. Aber wir mussten. Denn wir wollten nicht ein Komitee zum Kampf um die Demokratie gründen. Es sei denn, wir müssen.
Dann werden wir es tun.

Kod Logo des Komitees zur Verteidigung der Demokrakratie, Polen

Das Polen Magazin unterstützt das KOD und alle Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Polen, die Polens Demokratie verteidigen und gegen weitere Übergriffe schützen wollen. Deshalb veröffentlichen auch wir diesen offenen Brief und werden so etwas auch künftig tun.

Brigitte Jäger-Dabek

 

 

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".