Die Bürgerplattform PO von Premierminister Donald Tusk gewinnt auch die Wahlen zum Senat, dem Oberhaus des aus Sejm und Senat bestehenden polnischen Parlamentssystems. Dort wird die Bürgerplattform PO 63 der hundert Sitze einnehmen und damit fast die Zweidrittelmehrheit erreichen. Die PiS wird 31 Sitze erhalten, die PSL 2, die freie Wählergruppierung Bürger für den Senat erhält einen Sitz. Die restlichen vier Sitze gehen an die unabhängigen Kandidaten Wlodzimierz Cimoszewicz, Kazimierz Kutz und Marek Borowski.
Die staatliche Wahlkommission PKW hat die amtlichen Endergebnisse der Sejmwahl vom 9. Oktober verkündet:
- Bürgerplattform PO: 39,18%, 206 Sitze
- Recht und Gerechtigkeit PiS: 29,89%, 158 Sitze
- Ruch Palikota RP: 10,2%, 40 Sitze
- Bauernpartei PSL: 8,36%, 28 Sitze
- Bündnis der Linken SLD: 8,24%, 27 Sitze
- Deutsche Minderheit (Mniejszosc Niemiecka; von der Fünfprozentklausel befreit): 1Sitz
- Die Wahlbeteiligung betrug nach Zählung der Staatlichen Wahlkommission PKW 48,87%
Damit kommt das Regierungslager auf insgesamt 235 Sitze im Parlament, dazu dürfte noch der Sitz der Deutschen Minderheit kommen, die bisher immer mit der Regierung abstimmte. Inzwischen haben Donald Tusk und die PO bereits erste Sondierungsgespräche mit dem bisherigen Koalitionspartner, der PSL aufgenommen. In trockenen Tüchern aber ist das Zustandekommen der Koalition noch nicht.
Wie auch immer und mit wem auch immer: Die Polen werden Tusk nach diesem Vertrauensbeweis nicht viel Schonzeit einräumen, die bisher immer wieder aufgeschobenen Reformen endlich anzugehen und tragfähige Lösungen zum Beispiel bei der Anhebung des Rentenalters zu finden. Dazu steht ganz oben auf der Agenda eine gleichzeitige weitere Gesundschrumpfung des Haushalts, da die polnische Verfassung eine Schuldenbremse verfügt. Das scheint Donald Tusk auch bewusst zu sein der erklärte, Wahlergebnis sei für ihn ein Erfolg des optimistischen Polens, das an die eigenen Kräfte glaubt, und allen Schwierigkeiten zum Trotz voranschreiten wolle. Die Regierung wolle nun doppelt so hart und doppelt so schnell arbeiten, fügte er an. Außenminister Radoslaw Sikorski sah mit der Wahl das Konzept der europäischen Zusammenarbeit und der Modernisierung Polens eindrucksvoll bestätigt. Beiden dürfte durchaus bewusst sein, dass sie dieses Vertrauen nicht enttäuschen dürfen, denn diese Wahl war keinesfalls eine Liebesheirat zwischen Polen und einer bürgerlichen Konservativen, für die es kaum Traditionen im Land gibt. Es ist eher der Mangel an Alternativen, der diesen letztlich doch deutlichen Sieg möglich machte.
Jaroslaw Kaczynski hat seinem Kontrahenten Donald Tusk, mit dem ihn eine herzliche Feindschaft verbindet, nicht gratuliert, dessen Sieg aber anerkennen müssen. Er verkündete, seine Partei werde weiterkämpfen. Er wolle ein anderes Polen, eine andere Republik. Für ihn ist alles eine Frage der Zeit, denn früher oder später werde die PiS siegen, denn sie sei im Recht. Dann werde man es schaffen in Polen „Budapester Verhältnisse“ zu etablieren, ließ er eine neue Katze aus dem Sack. Kaczynski spielte damit auf die mit Zweidrittelmehrheit in Budapest regierende Ultrakonservative unter Viktor Orban an mit dessen Versuchen, öffentliche Meinungsäußerungen und die freie Presse auf einen rechten Kurs einzuschwören.
Die Spaltung Polens ist noch immer in einer klaren regionalen Polarisierung der Wahlergebnisse manifest. Zwar hat die PiS nur noch in dem fünf Östlichen und südöstlichen Woiwodschaften Podlasien (34,8%), Heiligkreuz (32,2%), Lublin (37,2%) Karpatenvorland (48,6%) und Kleinpolen (39,2%) die relative Mehrheit, doch die hat sie immerhin sicher halten können. Die PO bleibt außer in diesen fünf Woiwodschsften nur in den zentralen und bevölkerungsreichen Woiwodschaften Masowien (37,3%) und Lodz (36,7%) unter 40% der abgegebenen Stimmen. In den restlichen nuen Woiwodschaften im Westen und Norden Polens erreicht sie mehr Stimmen, den Vogel schoss Pommern mit 51,4% der Stimmen ab – dort ist Donald Tusk daheim.
In Pommern war auch die Wahlbeteiligung mit ebenfalls 51,4% am höchsten. Es fällt auf, dass die drei östlichsten Woiwodschaften und ausgesprochenen PiS-Hochburgen eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung erreichten: Podlasien 45,2%, Lublin 46,7 % und Karpatenvorland 45,4%. In den Hochburgen ist es der PiS nicht wie sonst gelungen, die eigenen Wähler zu mobilisieren.
Bei der PiS hat die Suche nach den Schuldigen für das Wahldesaster begonnen. Im Vergleich mit 2007 hat die Partei von Jaroslaw Kaczynski fast eine Million weniger Wähler mobilisieren können, das schlechteste Ergebnis erreicht und acht Parlamentssitze verloren, dazu war es die sechste Wahlniederlage in Folge. Die Polen haben sich in der großen Mehrzahl nicht vom modernistischen Anstrich mit den „sieben Engeln der PiS“ ins Bockshorn jagen lassen – keine der sieben Plakatschönen wurde gewählt. Der Rahmen der Möglichkeiten der PiS auf das Polen der Mitte zuzugreifen scheint mit den derzeitigen Strategieansätzen der Partei wie dem Versuch populistische und radikale nationalistische Positionen zu bedienen, ausgeschöpft. Nicht nur die sieben Engel, auch einige prominente PiS-Politiker sind auf der Strecke geblieben und zogen nicht wieder ins Parlament ein, wie Anna Fotyga, Karol Karski, Janusz Sniadel und Jan Tomaszewski.
Dass Polen in der Tat ein gespaltenes Land ist, beweist nicht nur die Tatsache, dass ein Mann des Polithappenings wie Janusz Palikot gut zehn Prozent der Stimmen erhielt. Mit seiner stramm antiklerikalen Ausrichtung, auf dessen Agenda die Abschaffung des Religionsunterrichts in Polens Schulen genauso steht wie die Anerkennung der Homosexuellenehe im Parlament, positioniert er sich als neue linke Kraft in Polens Parteienlandschaft. Im polnischen Parlament sitzt nun mit Robert Biedro? der erste bekennende Homosexuelle gemeinsam mit dem PiS-Abgeordneten Artur Gorski, der die Wahl Obamas zum amerikanischen Präsidenten als das Ende der Zivilisation des weißen Mannes bezeichnete und den Versuch machte, Christus als König Polens zu inthronisieren.
Neben der PiS großer Wahlverlierer ist die noch vor einiger Zeit scheinbar im Aufwind befindliche linke SLD. Parteichef Napieralski zog bereits die Konsequenzen und erklärte, er stünde künftig als Parteivorsitzender nicht mehr zur Verfügung. Berücksichtigt man, dass das Stammwählerpotenzial der SLD bisher auf etwa 13 Prozent der Wahlberechtigten geschätzt wurde, sind 8,2% eine herbe Niederlage. Als Schuld an dieser Niederlage wird allgemein die Rückkehr der Postkommunisten und alten Kader in tragende Funktionen der Nachfolgepartei der im kommunistischen Polen regierenden polnischen Arbeiterpartei angesehen. Dieses Image machte eine etwaige Koalition mit der PO, die bis vor Kurzem noch durchaus denkbar war, schwer möglich. Die Niederlage und der Rückzug Napieralskis könnte der Anfang vom Ende der SLD sein.
Robert Leszczynski von der Palikot-Bewegung hat in einem Radiointerview erklärt, viele enttäuschte SLD-Aktivisten würden nun zur Palikot-Bewegung kommen. Vieles hänge davon ab, wer nun Napieralski-Nachfolger würde. Palikots Modell des säkularen modernen Sozial- und Bürgerstaates spricht desillusionierte SLD-Anhänger sicher eher an, als alle anderen Denkmuster und Konzepte für Polen der im Parlament vertretenen Parteien. Nun ist Palikot den Beweis schuldig, dass seine Bewegung zu einer Partei werden kann und neben schrillen Auftritten zu ernsthafter programmatischer Arbeit fähig ist.
Wer aber hat nun eigentlich Palikot gewählt? Das Meinungsforschungsinstitut TNS OBOP befragte rund tausend repräsentative Wähler nach der Stimmabgabe. Demnach sind 63,1% der Wähler Männer, 32% der Palikot-Wähler sind 18-25 Jahre alt, 30,5% 26-39 Jahre alt und immerhin noch 25,8% zwischen 40 und 59. Am erstaunlichsten sind diese Zahlen: 32 % der Palikotwähler leben auf dem Land, 30,5 % in kleinen Städten bis 50.000 Einwohnern, 25,8% in Städten bis 200.000 Einwohnern und nur 11,7% in den Großstädten. Damit stammen fast zwei Drittel der Palikotwähler aus Gebieten, die eher als PiS-Hochburgen galten. Dazu haben 45,4% seiner Wähler das Abitur und eine entsprechende Ausbildung, 12,1% haben einen Hochschulabschluss. Unter den Palikotwählern sind 18,6% Schüler, Auszubildende und Studenten, 12,3% in gehobener, verantwortlicher Stellung, 12,7% sind Privatunternehmer, 10,8% Arbeiter, 12.3% Rentner und 5,1% Arbeitslose. Bei der vorigen Parlamentswahl 2007 stimmetn 47,7% der Palikotwähler noch für die PO, 6,9% für die PiS, 17,5 % aber hatten damals gar nicht gewählt. So zeigt sich also, dass die Wähler Palikots gar nicht so „links“ sind, wie gern kolportiert, sondern wie Palikot selbst zu großen Teilen aus dem PO-Umfeld stammen. Sicher hat Palikot die Funktion einer Protestfigur, dem es gelang, vor allem Nichtwählergruppen zu mobilisieren.
Doch es ist verfrüht, von einer „Roten Karte“ für Kaczynski zu reden. Fast 30 Prozent der stimmen bedeuten auch: Fast jeder dritte polnische Wähler sieht sein Land außen von Feinden umzingelt, die im Land als Verschwörer ihr Unwesen treiben. Die noch immer „dramatische Spaltung Polens“ zu überbrücken wird eine der schwersten Aufgaben in den nächsten Jahren, heißt es in der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“. Kontinuität heißt für die neue/alte Regierung keinesfalls, dass nun irgendetwas leichter wird.
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