Polen: Die Volkszählungsergebnisse und die Minderheiten

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Schlesien und die Schlesier Thema in polnischen Medien

Schlesien und die Schlesier Thema in polnischen Medien,

Am 22. März 2012 wurde im Beisein des polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski im Warschauer Präsidentenpalais erste Ergebnisse der polnischen Volkszählung von 2011 verkündet. Auf besonderes Interesse trafen dabei die Ergebnisse der Befragung zur Sprach- und Volks- oder Volksgruppenzugehörigkeit.

Zwei Fragen waren gestellt worden, um die Frage der Identität zu beschreiben. Die Erste lautete: „Welcher Nationalität sind Sie?“ Die zweite Frage ging um weitere Zugehörigkeiten und lautete:“Mit welcher anderen Nationalität oder Volksgruppe fühlen Sie sich verbunden?“  Wie das polnische statistische Hauptamt GUS mitteilte, sehen sich 92% der 38,5 Millionen Bürger der Republik Polen als ausschließliche Polen an. Die Ergebnisse auf die beiden Fragen insgesamt:

  • Pole: 36,085 Millionen
  • Schlesier: 809.000
  • Kaschube: 228.000
  • Deutscher: 109.000
  • Ukrainer: 48.000
  • Weißrusse: 47.000
  • Roma: 16.000
  • Russe: 13.000
  • Lemke: 10.000

Die Zahlen zeigen einige handfeste Überraschungen. Bekannten sich 2002 mehr als 173.000 polnische Bürger als Schlesier, sind es heute schon 809.000. Dabei liegt die Zahl derer, die sich neben der polnischen Nationalität auch zur schlesischen bekennen mit 415.000 höher als die Zahl derjenigen, die sich ausschließlich als Schlesier bezeichnen (362.000).

Doch sind die so gesplitteten Ergebnisse nicht hundertprozentig mit den Antworten von 2002 vergleichbar, denn damals hatte es in den Formularen nur eine Frage zur Nationalität gegeben. Viele Experten in Polen sehen in der stark angestiegenen Zahl derjenigen Bürger, die sich als Schlesier bezeichnen auf die antischlesische Polemik des Vorsitzenden der nationalkonservativen Oppositionspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit). Jaroslaw Kaczynski nämlich hatte 2011 die schlesische Autonomiebewegung RAS (Ruch Autonomii Slaskie) als „getarnte deutsche Option“ gesehen. Die Bewegung hatte an die Schlesier appelliert,sich zu ihrer schlesischen Identität zu bekennen und sich von der „Warschauer Bevormundung“ zu befreien. Einer der populärsten Aktivisten der Autonomiebewegung ist der bekannte Filmemacher Kazimierz Kutz, der das Ergebnis als deutlichen Wind in den RAS-Segeln sieht. Er hofft nun auf eine baldige Anerkennung als ethnische Minderheit auch im Minderheitengesetz und die der schlesischen Mundart als förderungsberechtigte Regionalsprache. Trotz des großen Anwachsens der Zahl von Menschen, die sich als Schlesier fühlen, bleibt zu bemerken, dass in der Region gut vier Millionen Menschen leben.

Mit der gewachsenen Zahl an Menschen in Schlesien, die sich zu ihrer Regionalidentität bekennen, sind sie zu einer Konkurrenz für die deutsche Minderheit geworden und erstmals ist die Zahl der Menschen, die sich weder bei der deutschen Minderheit noch bei der „Warschauer Bevormundung“ so recht wohl fühlen deutlich größer geworden, als die der bekennenden Deutschstämmigen. So fragt sich auch die liberale Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, wo die 50.000 Deutschen geblieben sind, die der Minderheit in Polen abhanden kamen. Bekannten sich 2002 noch 153.000 Menschen in Polen als Deutsche, waren es 2011 nur noch 109.000.

Gründe für die gesunkene Zahl Deutschstämmiger in Polen sind:

  • Der demografische Faktor. Die ältere Generation, die noch als Deutsche aufwuchsen, stirbt langsam aus.
  • Große Teile der mittleren Generation sind ausgewandert, das betrifft vor allem die Eliten.
  • Eine Abneigung gegen die immer noch verbreitete Deutschtümelei in den Verbänden der Minderheit.

Norbert Rasch, der Vorsitzende der deutschen Minderheit im Oppelner Schlesien bringt es in der Gazeta Wyborcza auf den Punkt und sieht Schlesien und Schlesiertum den Menschen näher als Deutschtum und Deutschland. Tatsächlich erscheint das vermittelte Deutschlandbild einseitig, sowie wirklichkeitsfern und eher dem Bild der Großelterngeneration zu entsprechen. Der Kontakt zur kulturellen Entwicklung und den gesellschaftlichen Realitäten des heutigen Deutschlands scheint verloren gegangen zu sein. Seit 2011 der deutsche Arbeitsmarkt auch Bürgern mit polnischem Pass offensteht, ist der viele Jahre lang große Vorteil, als Deutschstämmiger neben dem polnischen auch den deutschen Pass erhalten zu können von minderer Bedeutung geworden. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Diskrepanz der Zahl deutscher Pässe (an die 300.000), die an Angehörige der deutschen Minderheit ausgegeben wurden und die der Menschen in Polen, die sich als Deutsche bezeichnen.

Besonders junge Deutschstämmige kritisieren immer wieder die manchmal immer noch herrschende Wagenburgmentalität der Minderheit, in der noch nicht Pluralität, sondern Geschlossenheit das Ideal ist, die Deutschtümelei, die unkritische Übernahme von einseitigen Geschichtsbilder der jeweiligen Region, die als rein deutsch dargestellt werden ohne Rücksicht auf den dadurch endgültig untergehenden kulturellen Reichtum solche Regionen wie Ermland, Masuren oder Schlesien. Die Krux ist, das eben diese Deutschtümelei auch zur manchmal fehlenden Akzeptanz von Deutschstämmigen und der deutschen Sprache in der polnischen Mehrheit eher beiträgt, als sie abbaut. Man möchte gern Brückenbauer sein, schafft das aber nicht wirklich. Die Attraktivität der Autonomiebewegung RAS ist da deutlich höher. Das gilt besonders für die Industriegebiete im großstädtischen Osten Schlesiens, der Hochburg der Autonomiebewegung.

Trotz aller Probleme ist die deutsche Minderheit in Polen noch immer die größte der im Minderheitengesetz anerkannten nationalen Minderheiten, betont Bernard Gaida, Vorsitzender des Verbandes der deutschen Minderheiten in Polen. Gerade die schlesischen und kaschubischen Stimmanteile würden auch die Bindung der Menschen an die Region zeigen und ein für Grenzregionen charakteristisches Phänomen, die nationale Interferenz belegen. Es sei doch klar, dass jeder Deutsche in Schlesien auch Schlesier sei, betonte Gaida in einer Erklärung seines Verbandes zur Volkszählung. Er machte weiterhin darauf aufmerksam, dass die Reichweite des Zensus 2002 eine ganz andere gewesen sei als 2011 mit nur 20% der Gesamtgesellschaft. Gleichfalls sei die Interpretation der zwei Fragen zur nationalen Identität problematisch, was die Zahlen schwer vergleichbar mache.

Ein weiteres Absinken der Zahlen könnte Folgen haben. Zwanzig Prozent in einer Gemeinde müssten sich als Deutsche bekennen, um dort zweisprachige Ortsschilder aufstellen zu lassen und das Deutsche als Hilfssprache bei Behörden zuzulassen. Vor allem in den Gebieten außerhalb Schlesiens, in denen die Deutschstämmigen weitgehend zersiedelt leben, ist das „Ringen um den deutsch-muttersprachlichen Unterricht“ die größte Herausforderung für die deutsche Minderheit. Erweiterter Deutschunterricht, Deutsch als muttersprachlicher Unterricht, sowie Deutsch als Unterrichtssprache sind zwar im Minderheitengesetz garantiert, oft mangelt es aber an einer ausreichenden Zahl an Kindern, die diese Unterrichtsformen wahrnehmen und an Sprachkenntnissen, weil daheim nicht mehr Deutsch gesprochen wird, oder die Familien sehen die geforderte Erklärung in Deutsch unterrichtet werden zu wollen, als belastend an.

Einen prozentual noch größeren Zuwachs als die Schlesier erreichten die Kaschuben, die Minderheit, in der auch der dezeitige Ministerpräsident Donald Tusk (PO) seine Wurzeln hat, was die Kaschuben als Volksgruppe bekannter machte, als sie bis dahin war. Bekannten sich 2002 nur 5.100 Menschen in Polen dazu Kaschuben zu sein, waren es 2011 immerhin 228.000. Im Gegensatz zu den Schlesiern gehören die Kaschuben zu den im Minderheitengesetz anerkannten ethnischen Minderheiten im Land, 211.000 von ihnen bekennen sich auch als dem Polentum verbunden.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".