Polen: Ein neuer Exodus der jungen gut Qualifizierten

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Do widzenia Polska die neuen Migrationswelle in Polen, Foto: Klaudiusz Piwowarski,  GFDL, CC-BY-3.0

Die neuen Migrationswelle in Polen, Foto: Klaudiusz Piwowarski, GFDL, CC-BY-3.0,

Für Auslandsinvestoren ist Polen so beliebt wie nie, im Europamaßstab brummt die Wirtschaft, und doch: Die jungen gut ausgebildeten Polen kehren Ihrem Land in einer neuen Auswanderungswelle den Rücken. Das größte Problem daran: Aus der Arbeitsmigration wird meist eine Auswanderung auf Dauer, denn hat man im neuen Land Fuß gefasst, bleibt man meist auf Dauer.

Seit der letzten großen Auswanderungswelle nach dem EU-Beitritt bis zum Jahr 2007, als 2,3 Millionen Polen das Land verlassen hatten, hat Polen im Jahr 2013 eine weitere Exodusspitze getroffen: 2,2 Millionen Polen leben im Ausland, ermittelte Polens Statistisches Hauptamt GUS. Experten hingegen sehen die Zahl sogar bei einer neuen Spitze, nämlich bei mindestens 2,7 Millionen. Damit sind alle die Polen gemeint, die im Jahr 2013 mehr als drei Monate im Ausland lebten. Nur noch theoretisch leben heute 38,4 Millionen Menschen in Polen, tatsächlich dürften es nach Analysen von Eurostat nur mehr 36,5 Millionen sein. Und: Die Zahl wird weiter fallen, trotz der guten Wirtschaftsentwicklung und der sinkenden Arbeitslosigkeit (August 2014 bei 11,7%). Damit steht Polen einem Problem gegenüber, wie letztmals vor hundert Jahren, als 3,5 Millionen Menschen das Land verließen. Damals waren die USA das Ziel der Auswandererströme. Heute bleiben die meisten polnischen Auswanderer in Europa. Das Statistische Hauptamt sieht in Großbritannien das heutige Traumziel, wo 650.000 Polen leben und arbeiten, gefolgt von Deutschland, wo 560.000 Polen registriert sind. Danach folgen Irland mit 115.000, die Niederlande mit 103.000 und Norwegen mit 71.000 polnischen Migranten.

Deutschland holte erst nach dem Ende der EU-Schutzfristen für die Freizügigkeit auf, die den Zugang zum Arbeitsmarkt bis 2011 streng regulierten. Was Deutschland für viele Polen attraktiv macht, ist die Nähe zum Heimatland, wie zum Beispiel für die vielen „polnischen Engel“ im nun legalisierten Pflegemakrt. Dazu gibt es in Boomregionen wie Szczecin/Stettin kaum noch bezahlbaren Wohnraum in Polen, wohl aber in dem strukturschwachen und dünn besiedelten Grenzgebiet auf deutscher Seite.

Motive und Herkunft der Migranten

Es gibt zwei große Gruppen von Auswanderern. Die gut ausgebildeten jungen Menschen – darunter viele Familien – sehen sich in Polen in der Sackgasse. Da ist einerseits die Schwierigkeit bei der Jobfindung generell, denn der Anteil der Hochqualifizierten mit Hochschulabschluss pro Geburtsjahrgang ist einer der höchsten überhaupt. Die attraktivsten dieser Arbeitsplätze sind auf den Speckgürtel um Warschau – dort herrscht Vollbeschäftigung – und in einigen Großstädten konzentriert. Dort aber ist Wohnraum fast unbezahlbar. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass die Jobs für Berufseinsteiger noch häufiger als in Deutschland nur Einjahresverträge beinhalten. Da es auf dem polnischen Wohnungsmarkt mit über 75 Prozent Eigentumsanteil für eine Wohnung fast nur der Kauf bleibt. Dafür aber bekommen Vertragsarbeitnehmer bei keiner Bank einen Kredit, ist es schwer diese jungen Polen im Land zu halten.

Ein besseres Leben

Alle Erhebungen, Analysen und Untersuchungen belegen, dass zwei- bis dreifach höhere Löhne und Gehälter auch unter Berücksichtigung der im Zielland höheren Lebenshaltungskosten ein starkes Argument für die Auswanderung der Gutqualifizierten sind. Dazu kommen gute Aufstiegschancen. Im Landesdurchschnitt 2014 stiegen die Durchschnittseinkommen zwar weiter und liegen derzeit bei rund 4.000 PLN, das sind etwa. 1.000 Euro. In Regionen wie Warschau, Krakau und Breslau sind die Durchschnittseinkommen höher und können über die 5.000 PLN-Grenze gehen, auch können Akademiker sowie gesuchte Spezialisten Einkommen von 10.000 PLN erzielen, doch liegt das immer noch weit unter den Einkommen im westlichen Europa.

Die Migration aus Polen B

Auf dem Land ist die Einkommenslage noch viel schwieriger mit Einkommen von oft nicht mehr als 2.000-2.500 PLN. So ist es nicht verwunderlich, dass die Abwanderung am stärksten in den strukturschwachen Gebieten Polens ist, dem „Polen B“ in Nordost-, Ost- und Südostpolen ist. Dort liegt die durchschnittliche Arbeitslosenquote besonderes im ländlichen Raum bei über 20%, es gibt noch immer abgeschiedene Dörfer, in denen vor 1989 eine PGR (Staatsgut, der DDR-LPG ähnlich) der einzige Arbeitgeber war. Auf diesem Archipel der Überflüssigen hat auch heute noch nicht selten nur jeder Vierte einen Arbeitsplatz. Wer von hier kommt, ist glücklich, im Ausland einen Job auf dem Bau oder als Erntehelfer zu finden – wenigstens auf Zeit. Wer in diesem strukturschwachen Raum eine qualifizierte Ausbildung hat, sieht für sich und seine Familie in der Heimatregion kaum eine Zukunftsperspektive und sucht das Weite. Das Fatale daran: Die Entvölkerung ohnehin dünn besiedelter und strukturschwacher Gebiete nimmt zu und mit ihr die Strukturschwäche.

Weitere Faktoren, die eine Auswanderungsentscheidung befördern, ist die immer noch überbordende Bürokratie, die gerade in diesen Regionen mögliche Betriebsansiedlungen ausbremst und der Vertrauensverlust in die Politik, die es nicht schafft, Perspektiven für diese Regionen aufzuzeigen und entsprechende Regionalentwicklungspläne aufzustellen. Nicht jede dieser Regionen ist so mit seiner Natur gesegnet wie zum Beispiel Masuren, wo der Tourismus mit dem immer weiter wachsenden Angebot für Urlaub auf dem Land wenigstens etwas Hoffnung gibt.

Was bedeutet diese Emigrationswelle für Polen?

Ein wenig versucht es das politische Warschau, sich diese neue Emigrationswelle schönzureden. Doch sie ist anders, als die vorigen Wellen, anders auch als die Welle von 2007. Dort konnte man die Mehrzahl der Emigranten als Arbeitsmigranten bezeichnen. Viele waren nach einigen Monaten oder höchstens ein paar Jahren wieder daheim in Polen. Sie wollten im Ausland Erfahrungen sammeln, Geld verdienen, damit die Familie in Polen besser leben konnte, oder man beispielsweise ein Häuschen bauen konnte. Zum Teil waren sogar beide Elternteile irgendwo im Westen zur Arbeit – oft an verschiedenen Orten oder in verschiedenen Ländern – und die Kinder waren bei den Großeltern. Auch das war nicht problemlos, die gesellschaftlichen Folgen auseinandergerissener Familien waren sehr schnell nicht übersehbar

Wenn heute aber viele Politiker eine ähnliche Entwicklung auch jetzt voraussehen, geht das an der Realität vorbei, denn heute gehen die Familien meist mit, beziehungsweise lassen sie schnellstmöglich nachkommen. Der schöne Politikertraum von der Rückkehr mit neuen Erfahrungen und Kenntnissen, die Polen voranbringen, wird sich nicht erfüllen. Die meisten Auswanderer denken zwar noch nicht darüber nach, ob sie einmal zurückkehren. Tatsache aber ist, dass alle diejenigen Expats, die ihre Familien mitgenommen haben im Zielland bleiben, wenn sie einmal Fuß gehabt haben und die Kinder dort sozialisiert werden. Allenfalls als Rentner werden einige dieser Auswanderer heimkehren.

Derzeit ist die Bilanz für Polen negativer, als bei der Welle von 2007. Es gibt weniger Geldtransfer nach Polen und man ist zum Ausbilder Europas geworden. Man liefert dem westlichen Europa gut ausgebildete hoch motivierte Arbeitskräfte, die gute Nettozahler für die dortigen Sozialsysteme sind – und das quasi zum Nulltarif. Auf Dauer kann sich Polen das nicht leisten.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1613 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".