Polens größter Filmemacher Andrzej Wajda ist tot

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Polens bekanntester Filmregisseur Andrzej Wajda ist tot, Foto: Piotr Drabik, CC BY 2.0

Polens bekanntester Filmregisseur Andrzej Wajda ist tot, Foto: Piotr Drabik, CC BY 2.0

Andrzej Wajda, der Grandseigneur des polnischen Films ist tot. Der bekannteste Filmemacher Polens starb am Sonntagabend im Alter von 90 Jahren, nach dem er wenige Tage zuvor wegen Lungenproblemen ins Krankenhaus eingeliefert worden war.

Lebensthema Polen

Der im nordostpolnischen Suwalki geborene Wajda war Sohn eines Kavallerieoffiziers und einer Lehrerein. Wenige Jahre nach seiner Geburt wurde der Vater nach Radom versetzt, wohin ihm seine Familie folgte.

Wajdas Vater geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Im April 1940 wurde der im NKWD-Lager Starobelsk/Charkow inhaftierte Vater zusammen mit 3.000 weiteren Offizieren bei einer Massenexekution von der NKWD ermordet. Dieses Massaker stand im Zusammenhang mit den Verbechen in Katyn. Erst zur Mitte der 1950er Jahre bekam die Familie Gewissheit über das Schicksal des Vaters.

Die deutsche Besatzung erlebte der junge Wajda in Krakau und war im Untergrund bei der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) aktiv. Nach dem Kriegsende studierte Wajda 1946-1950 Kunst an der Krakauer Kunstakademie, entschied sich dann aber doch für die neu geschaffene Filmhochschule Lodz, wo er sich rasch mit dem sieben Jahre jüngeren Roman Polanski anfreundete, der 1955 in Wajdas Examensfilm „Eine Generation“ (Pokolenie) sogar eine Rolle übernahm. Schon damals wählte der Jung-Regisseur sein Lebensthema: Polen und seine Geschichte mit der Verstrickung des Individuums in Besatzung, Politik und Zensur. In seinem Debütfilm erzählte er dabei die Geschichte junger Warschauer unter deutscher Besatzung.

Literaturverfilmungen wie Gemälde

Bereits seine Filme „Der Kanal“ (1957) und „Asche und Diamant“ (1958) gelten bis heute als Meisterwerke eines ganz neuen polnischen Kinos. „Der Kanal“ arbeitet eindrucksvoll den Warschauer Aufstand auf, „Asche und Diamant“ ist die erste großartige Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans von Andrzej Szczypiorski, bei dem es um den Kampf zwischen der AK und dem sich etablierenden kommunistischen System geht. Diesen Film bezeichnete Wajda selbst später als seinen wichtigsten Film. Diese Werkte machte Wajda zu einem der wichtigsten Regisseure Europas. Er war der erste über die Landesgrenzen hinaus bekannte Vertreter der „polnischen Filmschule“, die aus der Tradition der spezifisch polnischen Romantik schöpfte mit Protagonisten, die als Individuen sich zuweilen zu heroischen Taten aufschwangen, mal sich in der Ausweglosigkeit verfingen. Immer war das Geschehen auf ein Individuum im Mittelpunkt heruntergebrochen und machte so den Druck von Krieg, Gewalt und ausweglosen Situationen erfahrbar, aber auch den Mut, zu dem einzelne Personen wachsen können, ohne im Pathos des Heldentums zu ertrinken – Wajdas Protagonisten waren Menschen aus Fleisch und Blut.

Seine Themen fand Wajda fast ausschließlich (Ausnahme „Danton“ (1983)  in Polen und zwar sowohl in der Geschichte, der politisch-gesellschaftlichen Situation im Krieg sowie unter der kommunistischen Herrschaft als auch in der genialen Umsetzung polnischer Literatur. Exemplarisch für seine Literaturverfilmungen sind „Pan Tadesuz“ (1999), die filmische Umsetzung des gleichmaigen polnischen Nationalepos‘ und „Das gelobte Land“ (1975), die Umsetzung des gleichnamigen Romans des polnischen Literaturnobelpreisträgers Wladyslaw Reymont.

Gerade die Literaturverfilmungen zeigen Wajdas Könnerschaft und seine zweite Leidenschaft, die Malerei. So sind Filme wie „Pan Tadeusz“ üppige, impressionistisch anmutender Gemälde mit subtilem Pinselstrich auf der Leinwand.

Katyn – Der persönlichste Film

Einen besonderen Höhepunkt in Wajdas Filmschaffen ist „Katyn“ (2007), denn er ist zweifellos sein persönlichster Film, zeichnet er dort doch exemplarisch das Schicksal eines beim Massaker von Katyn ermordeten polnischen Offiziers und seiner Familie in der Besatzungszeit sowie im Stalinismus, der das Verbrechen negiert. Es ist auch das Schicksal von Wajdas Vater und der Familie, autobiografische Elemente sind nicht zu übersehen. Wajda selbst sagte, er habe den Film gemacht, weil er vom Schicksal seines Vaters handele. Im Januar 2007 wurde der Film für den Oscar des besten ausländischen Films nominiert.

Der Danziger Ehrenbürger

Besonders bekannt auch außerhalb Polens wurde Wajdas „Danziger Trilogie“. „Der Mann aus Marmor“ (1977), rechnet schonungslos mit der stalinistischen Epoche ab. „Der Mann aus Eisen“ (1981) zeigt die Ereignisse, die zur Solidarnosc-Gründung führten, dargestellt am Beispiel des Sohns des Protagonisten aus „Der Mann aus Marmor“ und spielen im Danziger Werft-Milieu. Letzter Film der Trilogie ist der 2013 in die Kinos gekommene Streifen „Walesa. Der Mann aus Hoffnung“, der das Leben der Solidarnosc-Ikone und späteren polnischen Präsidenten Lech Walesa thematisiert.

Ob dieser besonders mit der alten Hansestadt Danzig verbundenen Trilogie nahm es auch nicht wunder, dass Andrzej Wajda an seinem 90. Geburtstag am 6. März 2016 vom streitbaren Bürgermeister der Stadt Pawel Adamowicz die Ehrenbürgerwürde Danzigs verliehen wurde. Dafür sei es höchste Zeit, meinte Adamowicz mit einem Seitenhieb an die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit PiS, die der Verleihung demonstrativ fernblieb.

 

Andrzej Wajda – Der Homo politicus

Andrzej Wajda war stets ein politischer Mensch und bezog in seinen Filmen Stellung für die Freiheit. Bis zu seinem Tod unterstützte er aktiv die Proteste der polnischen Zivilgesellschaft gegen die nationalkonservative Regierung. Er setzte sich zeitlebens für die Freiheit der Meinung, der Gedanken, der Rede, der Presse und der Kunst ein. So ist es nur logisch, dass Wajda zur Umgestaltung der Medien, der Beschränkung der unabhängigen Rechtsprechung, so wie der zunehmenden Gängelung und Instrumentalisierung der Kunst nicht stumm blieb.

Dass sein letztes Werk nun eine besondere Aktualität erhalten hat, hätte Andrzej Wajda sich beim Beginn der Dreharbeiten 2014 nicht träumen lassen. Er schaffte es noch, den Film „Nachbilder“ (Powidoki) zu beenden. Er handelt vom polnischen Avantgardekünstler Wladyslaw Strzeminski (1893-1952), einem Künstler der dem stalinistischen System nicht in den Kram passte. Hier zeigt Wajda exemplarisch was passiert, wenn der Staat eine ganze Kunstrichtung wie den Konstruktivismus mundtot macht, einem Maler und Hochschullehrer jegliche Form der Arbeit verbietet, ihm verbietet, für seine Familie zu sorgen. Der buchstäblich hungernde Maler hatte kein Geld für wirksame Medikamente und starb im Krankenhaus an Tuberkulose.

Wajdas letzter Film „Nachbilder“ könnte wie ein Vermächtnis eines der letzten großen polnischen Intellektuellen und moralischen Instanzen seiner Generation in Polen sein, ein polnisches „Wehret den Anfängen“.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1611 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".