Normalerweise einen Katastrophen dieser Art ein Volk eher, man rückt zusammen, erlebt den anderen in gemeinsamer Trauer als Mitmensch. Davon ist in Polen ein Jahr nach der Katastrophe von Smolensk, bei der am 10. April 2010 das polnische Präsidentenpaar und weitere 94 Angehörige der polnische Polit- und Militärelite starben, nichts zu spüren. Das Land zeigte sich am ersten Jahrestag tief gespalten und zerstritten.
Die Bilanz ein Jahr nach der größten Katastrophe im Polen der Nachkriegszeit könnte so nicht bitterer sein, nach nur wenigen Tagen der ersten Schockstarre und Trauer rissen die Gräben schon beim Streit um den Beisetzungsort des polnischen Präsidentenpaars tiefer auf den je. Bestand zuvor eine politische Gegnerschaft zwischen den Nationalkonservativen um die Kaczynski-Brüder und der regierenden liberalen Bürgerplattform von Donald Tusk, ist daraus nach Smolensk eine erbitterte Feindschaft geworden, die jegliche Kooperation völlig ausschließt.
Das zeigte sich auch gestern, als nicht einmal eine gemeinsame Trauerveranstaltung möglich war. Die Feierlichkeiten begannen um 8:41 Uhr, als Staatspräsident Bronislaw Komorowski und Ministerpräsident Donald Tusk in der Warschauer Militärkathedrale Kerzen für die Verstorbenen entzündeten. Zur gleichen Zeit – der Absturzminute – trat Jaraoslaw Kaczynski, Parteichef der oppositionellen nationalkonservativen Partei recht und Gerechtigkeit PiS medienwirksam mit einem Riesenkranz vor dem Präsidentenpalast auf, den er im Kreis tausenderapplaudierender, und „Hier ist Polen“ skandierender Getreuer niederlegte.
Präsident Komorowski, Politiker der Bürgerplattform und viele Prominente trafen sich später auf dem Warschauer Powazki-Friedhof am Denkmal für die Opfer der Katastrophe. Dort rief Komorowski zur nationalen Einheit auf, denn das schönste aller Denkmäler, das man aufstellen könnte, sei ein Denkmal der Gemeinschaft. Er glaube, dass alle Polen zusammen noch sehr viel zu tun haben, um derer, die vor einem Jahr gestorben seien, würdig gedenken zu können. Nachdem die liberale Delegation den Friedhof verlassen hatte, zogen dort Jaroslaw Kaczynski und seine Anhänger zu ihrer Gedenkfeier auf. Relativ still ging es nur im Krakauer Wawel zu. Am Grab in der Gruft der Wawel-Kathedrale gedachte Marta Dubieniecka, die Tochter des Präsidentenpaars Kaczynski, des Todes ihrer Eltern.
Es war ein großer Kontrast der Lautstärke, der die beiden verfeindeten Lager am gestrigen Tag unterschied, aggressive Parolen auf der nationalkonservativen Seite und ein völliges Verkennen der Tatsache, dass nicht nur PiS-Anhänger bei dem Flugzeugabsturz ums Leben kamen. Keine Spur von stillem Gedenken auf Seiten der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit PiS, sondern das Einläuten eines erbitterten Wahlkampfes zur Parlamentswahl im Herbst in einem tief gespaltenen Land. Die PiS-Anhänger stellen sich in so weit sogar gegen die katholische Kirche, die gestern in allen Kirchen verkünden ließ, ein Jahr der Trauer sei genug, nun müsse ein deutliche Zäsur her.
Auch die polnische Presse ist in diesen Tagen vor allem mit Smolensk beschäftigt. Das Politmagazin Polityka druckt die neuesten Umfrageergebnisse zum Thema ab. Danach zeigen sich acht von zehn Polen über Smolensk und die Ursachen verunsichert. Zwei Drittel meinen, die Absturzursachen seien nicht genügend geklärt. Auf die Frage, wen man denn für schuldig halte, antworten zwei Drittel der Polen mit „schwer zu sagen“, ein Drittel sieht die Schuld bei der polnischen Seite. Immerhin fast ein Vietel der Polen argwöhnt, die russische Seite könnte Schuld sein und immerhin jeder zehnte Polen sieht einen Anschlag als Absturzursache.
Die Zeitschrift Newsweek hat herausgefunden, dass inzwischen rund acht von zehn Polen sich vin dem Thema gelangweilt zeigen und 90 Prozent davon ausgehen, dass die Katastrophe politisch missbraucht wird.
Das WochenmagazinWprost sieht im Absturz von Smolensk auch eine vertane Chance Polen zu vereinen. Nun zeige der Umgang mit der Katastrophe vor allem die Kleinheit mancher Politiker und den Zynismus im politischen Ausnutzen. Es zeige sich so das Bild zweier völlig verschiedener polnischer Völker und polnischer Staaten, schreibt Chefredakteur Tomasz Lis.
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