Vizepremier Gowin rudert zurück; Foto: Piotr Drabik, CC BY 2.0
Steter Tropfen höhlt den Stein. Das gilt immer wieder auch für Massendemonstrationen. Und der Satz gilt auch für Polen, denn dort bekommen die fortwährenden Demonstrationen für den Erhalt der Demokratie und Rechtsstaaatlichkeit gewaltigen Rückenwind durch Polens Frauen. Nach Polizeiangaben waren am Montag bei 143 Protestveranstaltungen über 100.000 Demonstrierende auf der Straße.
Ausgerechnet Polens Frauen und die vielen sie unterstützenden Männer haben der PiS nun ihre erste krachende Niederlage beigebracht. Trotz der großen PiS-Mehrheit hat Polens Parlament Sejm am Donnerstag das Abtreibungsgesetz in zweiter Lesung durchfallen lassen. Bei der Abstimmung, an der 428 Abgeordnete teilnahmen, sprachen sich 352 Abgeordnete gegen das totale Abtreibungsverbot aus, 58 stimmten dafür, 18 enthielten sich der Stimme. Die oppositionellen Parteien Bürgerplattform PO sowie die liberale Nowoczesna N stimmten geschlossen gegen die Annahme des Gesetzes. Selbst die PiS stimmte nicht mehrheitlich für den Gesetzesentwurf, dagegen stimmten 186 Abgeordnete von Recht und Gerechtigkeit, 32 waren für die Annahme, 9 enthielten sich der Stimme.
Der Gesetzesentwurf war vom ultrakonservativen Bürgerkomitee „Stop aborcji“ – Stoppt die Abtreibung – nach einer Sammlung von mehr als 400.000 Unterschriften im Parlament eingebracht worden und von der PiS unterstützt worden. Dieser Entwurf sah ein fast völliges Abtreibungsverbot vor, obewohl das geltende Abtreibungsrecht Polens ohnehin schon eines der schärfsten überhaupt war. Lediglich bei einer Vergewaltigung, bei Inzest, schwerster Erkrankung des Ungeborenen oder Schwerbehinderungen, die an der Lebensfähigkeit des Kindes zweifeln lassen oder bei Lebensgefahr für die Mutter darf derzeit in Polen eine Schangerschaft legal abgebrochen werden darf. Der neue Gesetzesentwurf hätte nur bei einer akuten Bedrohung des Lebens der Mutter in Ausnahmefällen einen Abbruch der Schwangerschaft erlaubt.
Die PiS-Regierung begann schon am Montag zurückzurudern und Regierungschefin Beata Szydlo stellte mehrfach klar, dass es sich nicht um einen von der Regierung eingebrachten Gesetzesentwurf handele, sondern die Bürgerinitiative „Stoppt die Abtreibung“ dafür verantwortlich zeichne. Journalisten gegenüber bekräftigte sie weiterhin, dass die Regierung keinen eigenen Gesetzentwurf in der Schublade habe. Sie kündigte die Auflage eines Hilfsprogramms für solche Familien an, die sich für die Geburt eines schwerbehinderten Kindes entscheiden.
Als Wissenschaftsminister und Vizepremier Jaroslaw Gowin Journalisten gegenüber dem Regionalsender Radio Koszalin dann auch noch erklärte, die Montags-Proteste hätten die Regierung Bescheidenheit gelehrt und sie nachdenklich gemacht, es werde mit der PiS kein komplettes Abtreibungsverbot geben, kam das dem Eingeständnis der Niederlange gleich.
Selbst die katholische Kirche ging auf Abstand, doch nicht etwa vom Totalverbot an sich, sondern von der Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Haft für die abtreibenden Frauen und die ausführenden Ärzte. Kirchennahe sowie ultrakonservative Medien wetterten gegen die Parlamentsentscheidung, dies sei ein Betrug am Wähler, wie der Gosc Niedzielny schreibt, und unerträglich für die eigenen Wähler.
Jaroslaw Kaczynski, PiS-Parteivorsitzender und Strippenzieher im Hintergrund hat sich verrechnet und steht plötzlich allein da. Erstmals seit dem Gewinn der absoluten Mehrheit ist er exakt zwischen allen Stühlen gelandet. Da war einmal die Kirche, die mit dem Propagieren eines Totalverbots der Abtreibung die Rechnung für die geleistete Wahlhilfe im Vorjahr präsentierte, eine Strafandrohung aber dann doch nicht mehr wollte, als das Projekt schon auf den Weg gebracht wurde. Die entwickelte zivile Bürgergesellschaft Polens ist nicht gewillt, alles mit sich machen zu lassen, nur weil die Regierung die Macht dazu hat das Land ins Mittelalter zurückzuentwickeln. Und nun auch noch das Einknicken der PiS-Abgeordneten, die bei der ersten Lesung mehrheitlich brav für die Annahme des Entwurfs gestimmt hatten. PO-Politiker mochten bei einer Regionalversammlung ihre Häme nicht verbergen, „denen haben zuhause die Frauen und Töchter die Hölle heiß gemacht“, hieß es dort.