Polen zeigt sich besorgt über das Scheitern des EU-Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine und der gewalttätigen Vorgänge im Land. Schon durch die eigene Geschichte hat Polen Erfahrung darin, wie es ist, zwischen den übermächtigen Nachbarn Deutschland und Russland/Sowjetunion erdrückt zu werden. Daher bringt man dort auch viel Verständnis für die Lage der Ukraine, die zwischen dem Locken der EU und dem Druck Russlands ins Taumeln gerät.
Das Foto täuscht, nicht der große, massige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch ist hier der starke Mann, sondern der kleine, drahtige Kremlherrscher Wladimir Putin. Die derzeitige Abhängigkeit der Ukraine von Putins Russland ist nicht zu übersehen. Nicht nur ist Russland mit einem Viertel aller Exporte der Ukraine der wichtigste Absatzmarkt, dessen Verlust die Ukraine kaum verkraften könnte. Die ehemalige Sowjetrepublik wird von Moskau als eine der wichtigsten Einflusssphären betrachtet, deren EU-Annäherung im Kreml derzeit nicht toleriert werden würde. So hängen wie ein Damoklesschwert ständig Drohungen von möglichen Handelsblockaden, Visa-Einführung und die Verhängung drastischer Zölle wabernd über Kiew. Dazu ist die Ukraine von russischen Gas- und Erdöllieferungen abhängig. Obendrein sind die Transit-Pipelines in den Westen eine dauerndes Drohmittel.
Damit noch nicht genug sind russische Banken Hauptkreditgeber in der Ukraine, und der ukrainische Staatskonzern Naftogas ist durch seine Milliardenschulden bei Gazprom praktisch in russischer Hand. Wie das Wahrmachen der Drohungen aussehen kann, hat die Ukraine im Gaskrieg 2009 erlebt, als die EU die Wochen dauernden Lieferbeschränkungen verkraften konnte, nicht aber die Ukraine. Ums Gas drehten sich auch die Hauptvorwürfe im Prozess gegen Julia Timoschenko, die auch wegen des Abschlusses von Gasverträgen zum Nachteil der Ukraine wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.
Die Ukraine ist nicht nur direkter Nachbar Polens, sondern so wie einst Deutschland Polen auf dem Weg in die EU begleitete, trat Polen in den letzten Jahren als Mentor der Ukraine auf. Doch war das „Nein“ der Ukraine zu dem von der EU angebotenen Vertrag abzusehen beim EU-Gipfel zur östlichen Partnerschaft in Vilnius Ende November genauso wenig überraschend, wie das „Ja“ von Moldau und Georgien. So sahen es auch Polens Medien.
Nach Meinung Polens soll die EU ein neues, konkreteres Assoziierungs-Abkommen mit der Ukraine ausarbeiten, wobei Polen wiederum eine wichtige Rolle spielen könnte. Polens Medien sahen nach dem Scheitern des Gipfels zwei Bereiche, in denen die Angebote an die Ukraine deren besondere Lage berücksichtigen müssten und konkrete Hilfen aufzeigen müssten: Erstens müsse die EU der Ukraine finanziell dabei helfen, die Abkehr von Moskau wirtschaftlich zu überstehen. Zweitens müsse die EU durch Verhandlungen auch mit Moskau Wege finden, russische Vergeltungsmaßnahmen gegen die Ukraine zu verhindern oder zumindest abzumildern. Aber auch die ukrainische Gesellschaft sah man in Polen klar in der Bringschuld. Die derzeitigen Demonstrationen seien leider von Gewalt durchsetzt gewesen, die Präsident Janukowitsch das Alibi für die Gegengewalt geliefert hätte. Gefordert sei ein klares und friedliches gesellschaftliches Pro-EU-Engagement, dass die Abkehr von der EU für jeden Politiker das Karriere-Ende bedeuten würde. Man müsse schon den Menschen innerhalb der EU zeigen, warum man der Ukraine auch finanziell helfen sollte.
Das politische Warschau reagierte inzwischen auf die Ausschreitungen in der Ukraine und die Proteste der Opposition. Der polnische Präsident Bronislaw Komorowski hate am 2.12. den Nationalen Sicherheitsrat einberufen. Dabei wollte er die frischen Informationen nutzen, die mehrere Politiker von ihren eigenen Besuchen in Kiew mitbrachten. Jaroslaw Kaczxnski, der vorsitzende der nationalkonservativen größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) lehnte jedoch die Teilnahme ab. Ziel der Sitzung war es, möglichst eine gemeinsame parteiübergreifende polnische Haltung zur Ukraine und der Rolle Polens in der EU-Politik der Ukraine gegenüber zu erarbeiten, dazu wurde betont, Polen wolle seine Rolle als Helfer, Befürwaorter und Mentor der Ukraine bei der Annäherung an die EU weiter wahrnehmen. Als Ergebnis verkündeten der polnische Präsident zusammen mit Ministerpräsident Donald Tusk, Polen wolle einen neuen, den veränderten Umständen entsprechenden Plan für die Ukraine ausarbeiten. Erste Eckpunkte wurden bereits genannte wie weitere Erleichterungen im Kleinen Grenzverkehr, Liberalisierung des polnischen Arbeitsmarktes für Ukrainer, sowie einen Vorschlag von Janusz Palikot (Twoj Ruch, Deine Bewegung), der sich für ein Referendum zu einem neuen Partnerschaftsvertrag in der Ukraine stark macht.
Auch der bei der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats verhinderte ehemalige Ministerpräsident Leszek Miller (SLD; Allianz der Demokartischen Linken) äußerte sich dahin gehend. Das EU-Angebot sei zu unkonkret gewesen, diffuse Versprechen würden nicht hilfreich sein. Ein neues Angebot müsse zumindest ein konkretes Beitrittsdatum und die Bedingungen dafür enthalten sowie ein finanzielles Hilfsangebot. Da die EU es sich leisten könne 160 Millairden Euro für die Rettung der griechischen Wirtschaft auszugeben, und Milliarden in ein korruptes Bankensystem stecke, warum dann nicht in einen Hilfsplan für die Ukraine, fragte er in Richtung Brüssel.