Smolensk und kein Ende – Polen findet keine Ruhe. Nicht aufhören wollen die Kontroversen um Absturzursachen, Schuldige, über etwaige Verschwörungen und Schlampereien bei Untersuchung und Aufarbeitung des Absturzes der polnischen Präsidentenmaschine am 10. April 2010 bei Smolensk in Weißrussland, bei dem das Präsidentenehepaar Kaczynski und weitere 94 Mitglieder der polnischen Elite den Tod fanden.
Und wieder bestimmt die Flugzeugkatastrophe von Smolensk die Schlagzeilen in Polen. Diesmal droht der Fall der bekannten Solidarnosc-Aktivistin Anna Walentynowicz zum Skandal zu werden. Deren sterbliche Überreste wurden mit denen von Teresa Walewska-Przyjalkowska verwechselt, die als Präsidentin einer Katyn-Stiftung an Bord der Präsidentenmaschine war. Das ergab eine von der Militärstaatsanwaltschaft am Mitte September veranlasste Exhumierung beider Leichen in Warschau und Danzig, nachdem die Familie von Anna Walentynowicz den Stein ins Rollen gebracht hatte.
Die Folge der Affäre: Ab sofort wird zumindest an der Zuordnung derjenigen etwa zehn Leichen gezweifelt, die nicht von Angehörigen zweifelsfrei identifiziert wurden, sondern nur per DNA-Vergleich. Weil also nicht klar ist, wessen Überreste wirklich unter welchem Grabstein liegen, kündigte die Militärstaatsanwaltschaft weitere Exhumierungen an. Und sofort schossen wieder die Verschwörungstheorien und Vermutungen über Lügen die Absturzursache betreffend ins Kraut.
Stefan Hambura, der von Anna Walentynowiczs Sohn beauftragte Anwalt der Opferfamilie bezeichnete die Vorgänge als Skandal. Die Exhumierung war nicht wegen des Verwechslungsverdachts beantragt worden, sondern um die Unglücksursache zu ermitteln, da die Familie – wie auch große Teile der nationalkonservativen Opposition – eine Explosion als einzig möglioche Absturzursache vermutet. Im Mittelpunkt der Kritik steht die jetzige Sejm-Marschallin (Parlamentspräsidentin) Ewa Kopacz, die zur Zeit des Absturzes als Gesundheitsministerin in Moskau war, um die Obduktion der Leichen zu überwachen. Sie hatte bestätigt, dass polnische und russische Ärzte bei den Obduktionen „Hand in Hand gearbeitet hätten“. Doch zu dem Zeitpunkt waren die polnischen Ärzte und Staatsanwälte noch unterwegs. Die russische Seite hatte bereits in der Nacht nach dem Unglück mit den Obduktionen begonnen. Das Politmagazin Wprost
Inzwischen hat Regierungschef Donald Tusk am Freitag, den 27. September 2012 im Parlament bei einer aktuellen Stunde zum Thema Smolensk, die Verantwortung übernommen und sich für die Fehler bei den Smolensk-Untersuchungen bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt. Auch Justizminister Jaroslaw Gowin entschuldigte sich für die Verwechslung der Leichen. Wie inzwischen bekannt wurde, will die Stanwaltschaft bis Dezember mindestens sechs weitere Exhumierungen durchführen, um bei der Identität der Opfer sicher sein zu können, kündigte Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet an.
Die nunmehr zweifelsfreien sterblichen Überreste der Solidarnosc-Veteranin Anna Walentynowicz wurden am Freitag, den 28. September 2012 in Gdansk um 12 Uhr unter großer Teilnehme alter Kampfgefährten beigesetzt.
Weitere Artikel der Serie
- Smolensk: Der Absturz der Präsidentenmaschine darf kein Unfall sein (11. April 2016)
- Smolensk - Katatstrophe 2010: Regierung in Polen setzt Untersuchungsausschuss 2.0 ein (8. Februar 2016)
- Polen: Die Katastrophe von Smolensk - 5 Jahre danach (10. April 2015)
- Gewalt am polnischen Nationalfeiertag (12. November 2013)
- Straßburg: Polnische Katyn-Hinterbliebene mit Klage gegen Russland gescheitert (22. Oktober 2013)
- Smolensk teilt Polen wie eine Mauer (10. April 2013)
- Jadwiga Kaczynska, die Mutter von Lech und Jaroslaw Kaczynski ist tot (21. Januar 2013)
- Polens Politik zum Jahreswechsel – Rückblick und Ausblick (4. Januar 2013)
- Smolensk: Das Drama geht in die nächste Runde (2. November 2012)
- Polen: Smolensk und kein Ende (4. Oktober 2012)
- Smolensk: PiS-Bericht vermutet Explosion als Absturzursache (14. September 2012)
- Polen: Start in die EURO 2012 (11. Juni 2012)
- Polen zwei Jahre nach der Katastrophe von Smolensk – Eine Bilanz (20. April 2012)
- Polen Wahl: Kaczynski sieht Merkels Kanzlerschaft als Werk dunkler (Stasi-?)Mächte (4. Oktober 2011)
- Wahlkampf Polen: Kaczynskis Multimedia-Offensive (28. September 2011)
- Polen: Reaktionen auf den Smolensk-Abschlussbericht (4. August 2011)
- Polen: Smolensk-Abschlussbericht räumt eigene Schuld am Flugzeugabsturz ein (30. Juli 2011)
- EDITORIAL: Polen am Scheideweg (21. April 2011)
- Polen vor dem Wahlkampf –Komorowski und Medwedew in Smolensk (13. April 2011)
- Polen ein Jahr nach der Katastrophe von Smolensk (11. April 2011)
- Verändert Katyn Russland? (14. Februar 2011)
- Polen: Diskussionen über russischen Smolensk-Abschlussbericht (14. Januar 2011)
- Smolensk-Bericht: Fehler der polnischen Piloten Absturzursache (12. Januar 2011)
- Polen: 2010 war ein gutes Jahr (31. Dezember 2010)
- Smolensk-Ermittlungen sind politischer Flop des Jahres in Polen (29. Dezember 2010)
- Bronislaw Komorowski Mann des Jahres in Polen (29. Dezember 2010)
- EDITORIAL: Zum Jahreswechsel (23. Dezember 2010)
- Die Verschwörungs-Theorien der Kaczynskis (22. Dezember 2010)
- Polen: Nach dem Staatsbesuch von Medwedew (8. Dezember 2010)
- Medwedew zum Staatsbesuch in Polen (7. Dezember 2010)
- Katyn: Russische Staatsduma verurteilt Verbrechen an Polen (30. November 2010)
- Polen vor der Kommunalwahl (19. November 2010)
- Russen sprechen Polen schuldig (21. Oktober 2010)
- TV-Tipp Polen: Polen sucht sich selbst - Ein Flugzeugabsturz und seine Folgen (23. September 2010)
- Polen fordert Wrack der Präsidentenmaschine zurück (23. September 2010)
- Polen: Doch Druck auf die Piloten der verunglückten Präsidentenmaschine? (16. Juli 2010)
- Flugzeugabsturz Smolensk: Leichenfledderei russischer Soldaten (8. Juni 2010)
- Absturz von Smolensk: Abschrift der Blackbox-Aufzeichnungen in Polen veröffentlicht (2. Juni 2010)
- Erste Ermittlungsergebnisse zum Absturz der polnischen Präsidentenmaschine (20. Mai 2010)
- Polen: Die letzten Opfer von Smolensk sind heimgekehrt (24. April 2010)
- EDITORIAL: Polen nach der Tragödie von Smolensk (19. April 2010)
- Bewegende Trauerfeier in Warschau (17. April 2010)
- Polen: Streit um den Begräbnisort Wawel (15. April 2010)
- Wortlaut der geplanten Rede von Kaczynskiy in Katyn (14. April 2010)
- Polen nimmt Abschied vom Präsidentenpaar (13. April 2010)
- Die polnische Tragödie (13. April 2010)
- Liste der Opfer des Flugzeugunglücks vom 10. April 2010 bei Smolensk (12. April 2010)
- Polen trauert um den Präsidenten und seine Elite (12. April 2010)
- Polen: Präsident Lech Kaczynski stirbt bei Flugzeugabsturz (10. April 2010)