Polen vor der Präsidentenwahl

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Präsidentschaftskandidat Bronislaw KomorowskiWahltermin von der polnischen Verfassung bestimmt

Am Sonntag, den 20. Juni ist es so weit: Polen wählt einen neuen Präsidenten. Die Wahl musste um drei Monate vorgezogen werden, da der bisherige Amtsinhaber Lech Kaczynski, der sich vermutlich zur Wiederwahl gestellt hätte, beim Flugzeugabsturz von Smolensk mit seiner Frau und 94 Mitgliedern der polnischen Elite ums Leben kam.

Derzeit führt der Sejmmarschall (Parlamentspräsident) Bronislaw Komorowski, der auch Präsidentschaftskandidat der regierenden Bürgerplattform PO ist, kommissarisch die Amtsgeschäfte des polnischen Präsidenten. Komorowski musste nach der polnischen Verfassung binnen 14 Tagen nach Amtsübernahme einen Termin für vorgezogene Präsidentenwahlen bekanntgeben, die dann binnen 60 weiterer Tage abgehalten werden müssen. So war der 20.Juni der letztmögliche Termin, an dem ein neuer Präsident gewählt werden konnte. Sollte in dem dann stattfindenden ersten Wahlgang kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen erreichen, wird ein zweiter Wahlgang am 4. Juli nötig. In dieser Stichwahl werden die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen aus dem ersten Wahlgang dann unter sich sein.

Der späte Termin sollte es den anderen aussichtsreichen Parteien ermöglicht werden, jeweils einen neuen Präsidentschaftskandidaten zu finden. Jerzy Smajdzynski, der Präsidentschaftskandidat der linken SLD starb ebenfalls bei der Tragödie von Smolensk und die Partei des verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski PiS hatte gleich fast die gesamte Führungsriege verloren.

Das Kadidaten-Karussell

Viel Zeit hatten die Parteien nicht zur Kandidatenkür, am 26. April lief die Bewerbungsfrist ab. Bis dahin hatten sich 22 Kandidaten gemeldet. Doch das Gros scheiterte an der hohen Hürde, die es danach zu nehmen galt: Bis zum 6. Mai musste jeder von ihnen der Wahlkommission eine Liste mit den Unterschriften von 100.000 wahlberechtigten Polen vorlegen. Von vorneherein war klar, dass das nur wenigen gelingen würde. Die aussichsreichsten unter ihnen sind Bronislaw Komorowski (PO), Jaroslaw Kaczynski von der PiS, der Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten, Grzegorz Napiralski von der SLD und Vizepremier Waldemar Pawlak, der Vorsitzende der mitregierenden Bauernpartei PSL. Dazu kommt noch der unabhängige Ex-Finanz- und Außenminister Andrzej Olechowski, der einst Gründungsmitglied der PO war.

Bronislaw Komorowski, der Kandidat der Regierungspartei PO von Ministerpräsident Donald Tusk war bereits vor der Katastrophe von Smolensk von seiner Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert worden. Die Parteibasis hatte dies in einer Mitgliederbefragung entschieden, nachdem Regierungschef Donald Tusk seinen Verzicht erklärt hatte. Von Anfang an – auch zu Lebzeiten des Präsidenten Lech Kaczynski – galt Komorowski als haushoher Favorit, auch für die Wahlen, die turnusgemäß erst im Herbst fällig gewesen wären. Seine neue Stellung als amtierender Präsident hat ihm was die Wahlaussichten betrifft eher geschadet, als genützt. Den einen zeigte der wenig charismatische Komorowski zu wenig Emotionen, für die anderen nützte er seine Stellung als amtierender Präsident wahlkampftaktisch aus, für Dritte passet der Wahltermin nicht. Dennoch gilt Komorowski noch immer als großer Favorit, wenn auch die Umfrageergebnisse den Abstand zu Jaroslaw Kaczynski von Woche zu Woche schrumpfen lassen.

Den jüngsten unter den aussichtsreichen Kandidaten stellt die linke SLD mit dem 36jährigen Grzegorz Napieralski, er dürfte als Dritter ins Ziel kommen. Das ist mehr als ein Achtungserfolg, denn die auf ihn im ersten Wahlgang fallenden Stimmen dürften am Ende den Ausgang des zweiten Wahlgangs mitentscheiden. Die Frage ist also: Wen werden die Wähler Napieralskis im zweiten Wahlgang wählen, soweit sie überhaupt daran teilnehmen.

Ein neuer Jaroslaw Kaczynski

In allen Umfragen bisher klar die Nummer zwei unter den Kandidaten ist Jaroslaw Kaczynski, der seinem in Smolensk verstorbenen Zwillingsbruder Lech im Amt folgen möchte. Nicht nur äußerlich erscheint der abgemagerte Kaczynski verändert, die Katastrophe von Smolensk, bei der er Bruder und Schwägerin sowie viele seiner Freunde verlor, hat ihn sichtlich gezeichnet.

Auch was seine Aussagen betrifft, ist Kaczynski kaum wiederzuerkennen, wirkt, wie der Wolf, der Kreide gefressen hat. Nirgends wurde das so deutlich wie bei seinem kürzlichen Besuch in der Grenzstadt Slubice und seiner Fahrt über die Oder ins deutsche Frankfurt, wo er sich mit Oberbürgermeister Martin Wilke traf. Plötzlich überaus deutschfreundlich klangen seine Äußerungen: Ohne die schwierige Vergangenheit zu vergessen, müssten beide Seiten nun gemeinsam an der Zukunft bauen. Der Kontakt zwischen den Nachbarn solle intensiviert werden, um die auf beiden Seiten bestehenden Stereotypen zu beseitigen. Geradezu ins Schwärmen geriet Kaczynski über die soziale Marktwirtschaft Adenauers und Erhards, die auch sein Programm sei. Das scheint fast unglaublich, wenn man sich an die Regierungszeit Kaczynskis erinnert, in der ein Streit zwischen Warschau und Berlin dem anderen folgte, meist angezettelt vom damals noch germanophoben Kaczynski.

Ähnlich weichgespült erscheinen Kaczynskis Äußerungen zur EU. Waren die beiden Brüder, von denen Jaroslaw der poltrigere und scharfzüngigere war, vor Smolensk als ausgemachte EU-Skeptiker bekannt, die ganz Europa mit ihren überzogenen Forderungen und Blockadehaltungen gegen sich aufbrachten, hört sich das heute ganz anders an. Er sei stolz, dass Polen in seiner Regierungszeit der Schengen-Zone beigetreten sei, dieser großen Zone der Freiheit. Die Polen seien nun Bürger eines Staates, der das Recht habe in der EU mizuentscheiden und an Kompromissen mitzuarbeiten, denn die EU sei eine große Schule der Kompromisse, hörte man da.

Der Wahlkampf

Der Wahlkampf ist für den stets in schwarzem Anzug und schwarzer Krawatte auftretenden Kaczynski sicher nicht leicht. Zeit zu trauern blieb ihm kaum. Nicht nur würde sein sonst so polarisierender Politikstil nicht in diese Zeit passen, es gilt nun auch ihm ein neues staatsmännisches Image zu verpassen. So ist sein Wahlkampf eine Kampagne der ungewohnt leisen Töne, dennoch genießt er große mediale Aufmerksamkeit.

Kaczynski begründete seine Kandidatur damit, die Mission der Opfer von Smolensk zu Ende führen zu wollen, das sei man dem Vaterland schuldig. Dazu rief er die Rechte zum Schulterschluss auf. So weit klangen die Töne vertraut patriotisch, doch wird dabei geflissentlich übersehen, dass die Mission der Opfer – wenn man das Mission nennen mag – das Totengedenken der Opfer von Katyn war, sonst nichts- Überdies betraf die Katastrophe nicht nur Polens politische Rechte, sondern alle politischen Lager.

Zweifellos gibt es einen Mitleidseffekt, der im rechten Lager stark mobilisierend wirkt. Doch ob der auch nur ansatzweise ins Gesamtgesellschaftliche überschwappt und außerhalb der rechten Wähler Stimmen für Kaczynski bringen kann ist mehr als fraglich. Zu nah ist noch die Erinnerung an die IV. Republik der Kaczynskis, die 2007 von rund zwei Dritteln der Wähler abgewählt wurde. Das Urteil über Jaroslaw Kaczynski hat sich außerhalb der rechten Anhängerschaft kaum verändert, auch wenn er heute wesentlich verbindender wirkt. Auch missfällt einem nicht unerheblichen Teil der polnischen Wähler die Tendenz, den Opfern von Smolensk eine Art heiliger vaterländischer Mission ganz in der Tradition des polnischen Opfermythos zu unterstellen, die nun zu Ende gebracht werden müsse. Das Gros der Polen sieht den Absturz als großes Unglück, weil ein Teil der Elite starb, aber nichts sonst.

Der Wahlkampf selbst wirkt blutleer, ohne die großen Themen, ohne Konfrontation , kontroverse Themen kommen nicht vor. Es scheint, man habe Angst, nach der Zeit der großen Trauer zu früh zur Konfrontation und allzu scharfen Worten zurückzufinden und damit genau das zu tun, was das aufgewühlte Volk nicht will. Selbst die Fernsehspots sind fast ausschließlich Sympathiewerbung. Komorowski zeigt sich im Familienkreis und als guter Pole, vermittelt Biographisches. Einzige sonstige Aussage, die der Spot vermittelt ist die Bedeutung der Familie und des Dienstes an Polen.

Kaczynski wichtigster Spot ist eine neue Version des erfolgreichen Spots seines Bruders Lech. Auch er vermittelt, dass ihm Polen das Wichtigste sei. Nichts ist mehr zu sehen vom kämpferischen, polarisierenden Wahlkämpfer früherer Tage. Kaczynski zeigt sich als geduldiger Zuhörer immer am Puls des Volkes, Politisches vermeidet er völlig.

PSL-Kandidat und Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak setzt ebenfalls auf die patriotische Schiene und zeigt sich gern ind der Uniform der freiwilligen Feuerwehr, deren Präsident er ist. Für Polen setzt er auf Dialog und Verständigung. SLD-Kandidat Napieralski setzte im Wahlkampf auf die Modernität Polens mit optimierter Schul- und Vorschulbildung, die Voraussetzung für den technologischen Anschluss an Europa sei.

Zwar ist Polen beileibe keine problemfreie Zone, die Zahl der Arbeitslosen ist gestiegen, die Gesundheitsreform brennt unter den Nägeln und letztlich könnte die europäische Schulden-Krise auch noch auf Polen durchschlagen. Dazu brachte der Sparkurs zwar das Haushaltsdefizit auf rund sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes, an öffentlichen Investitionen wurde gespart. Doch konnte Polen als einziges EU-Land einen Abschwung in die Krise vermeiden, und hat noch immer ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Doch ähnlich brisante, akute Themen, die sich von selbst aufdrängen gab es im polnischen Wahlkampf die Wirtschaft betreffend nicht. Thema Nummer ein war Afghanistan und das polnisch Engagement. Schon 18 polnische Soldaten sind dort gefallen. Komorowski möchte die polnischen Streitkräfte dort bis 2013 abziehen.

Ein wichtiger Eingriff in den Wahlkampf kam von Wlodzimierz Cimoszewicz, Ex-Ministerpräsident und ein politisches Schwergewicht in Polen, der ankündigte, das Land brauche nun eine harmonische Zusammenarbeit zwischen Präsident und Regierung. Um einen konservativen Präsidenten Kaczynski zu verhindern, würde er Komorowski unterstützen. Der habe bewiesen,dass er ein Mann des Kompromisses und der Kooperation sei. Das wird in Warschau auch als klares Liebeswerben der SLD in Richtung der 2011 anstehenden Parlamentswahl gewertet, bei der der bisherige Koalitionspartner PSL Schwierigkeiten haben dürfte, die Fünfprozenthürde zu überspringen.

Am Ende ließ dann eine „Kleinigkeit“ doch noch das Bild vom harmonischen Wahlkampf ohne Ecken und Kanten als zweifelhaft erscheinen: Ein Warschauer Gericht sprach Kaczynski schuldig, Komorowski wissentlich und fälschlich vorgeworfen zu haben, er wolle das Gesundheitswesen in private Hände überführen. Kaczynski wurde auferlegt, diese Aussagen im Fernsehen und über die Nachrichtenagentur PAP zu widerrufen sowie sich bei Komorowski zu enhtschuldigen.

Wer wählt wen? Wer geht wählen?

Betrachtet man die beiden aussichtsreichsten Kandidaten, unterscheidet sich die jeweilige Wählerschicht recht deutlich, berichtet auch die Gazeta Wyborcza. Es sind mit 63 Prozent vor allem die Bessergebildeten, die Komorowski wählen werden, auch die Stadtbewohner werden mehrheitlich Komorowski wählen. Kaczynski hingegen wird vor allem von der Landbevölkerung und der Arbeiterschaft unterstützt.

Rund 8 Prozent der Wahlberechtigten haben noch gar nicht entschieden, ob sie überhaupt zur Wahl gehen werden, 35 Prozent werden sicher nicht wählen gehen, berichtet die Tageszeitung Dziennik. Die Gazeta Wyborcza berichtet, rund 23 Prozent würden wegen der beginnenden Ferienzeit nicht wählen gehen, darunter viele junge Wähler.

Als Gründe für die zu erwartende hohe Zahl der Nichtwähler wird der flaue Wahlkampf genannt, in dem die Kandidaten scheinbar alles taten, um sich nicht zu sehr voneinander zu unterscheiden. Dazu stammen die beiden Hauptkonkurrenten ursprünglich beide aus dem Solidarnosc-Lager meint der Poliutikwissenschaftler Wieslaw Galaczka, die PO könne dabei als Softversion, die PiS hingegen als Version der Hardliner gelten.

Inflation der Meinungsumfragen

In der Vorwahlzeit hat es seine wahre Inflation der Meinungsumfragen gegeben, jeder hat sein bevorzugtes Institut, das es irgendwie schafft Ergebnisse herbeizuzaubern, die für die eigene Weltsicht passend erscheinen. So vertraut die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza auf das Institut PBP DGA, das Bronislaw Komorowski bereits im ersten Wahlgang mit 51 Prozent der Stimmen vorn sieht. Fast unnötig zu erwähnen, dass die liberale Gazeta Wyborcza Komorowski und die PO unterstützt.

Der PiS näher steht die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita deren Umfrage von GfK Polonia geliefert werden. Dort sieht man Komorowski zwar als führend, aber nur mit 41 % gegen 31% für Jaroslaw Kaczynski wird bei GfK Polonia mit 31 %.

TNS-OBOP sieht Komorowski mit 56 gegenüber 44 Prozent für Kaczynski deutlich als Sieger im ersten Wahlgang.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle halbwegs seriösen Meinungsunfragen Bronislaw Komorowski im ersten Wahlgang vorn sehen, wobei ein Sieg im ersten Wahlgang kaum möglich erscheint. Was den zweiten Wahlgang betrifft, erscheint vieles offen, vor allem die Wahlbeteiligung. Vieles hängt davon ab, ob die Anhänger des SLD-Kandidaten Napieralski und des PSL-Kandidaten Pawlak zu mobilisieren sind, noch einmal zu den Wahlurnen zu gehen und dann für Komorowski zu stimmen.

Am Sonntag haben nun die 30 Millionen stimmberechtigten Polen das Wort.

Wahlspot Kaczynski:

Wahlspot Napieralski:


Wahlspot Komorowski:


Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".