Erstmals gedenkt auch Russlands Regierungschef Putin gemeinsam mit dem polnischen Premier Tusk am 70. Jahrestag der polnischen Opfer des Massakers von Katyn. Putin persönlich hatte Tusk eingeladen. Am 10. April wird Polens Präsident Lech Kaczynski mit rund 400 Angehörigen der Ermordeten in Katyn gedenken.
Erstmals gedenkt auch Russlands Regierungschef Putin gemeinsam mit dem polnischen Premier Tusk am 70. Jahrestag der polnischen Opfer des Massakers von Katyn und sendet damit ein Versöhnungszeichen an Polen.
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Polens Regierungschef Donald Tusk hat am 70. Jahrestag gemeinsam mit Russlands Premier Wladimir Putin in Katyn der Opfer des Massakers von Katyn gedacht. Dort wurden 1940 Tausende polnischer Offiziere und Intellektueller vom sowjetischen Geheimdienst NKWD ermordet. Wie ein Dokument belegt, hatte Stalin die Erschießungen durch das NKWD ausdrücklich gebilligt.
Wie sehr Tusks Reise nach Katyn die polnische Öffentlichkeit bewegte, zeigt die Omnipräsenz des Themas in den polnischen Medien für mehrere Tage. Tagelang war diskutiert worden, was man von Putin nun zu erwarten habe.
In Polen waren die Hoffnungen auf klare Worte von Putin und eine Verbesserung des polnisch-russischen Verhältnis waren groß. Der Vizemarschall des Sejms Stefan Niesiolowski erklärte: „Man sagt, Putin würde heute Stalin begraben. Ob er das wirklich tun wird, weiß ich nicht, ich wünschte mir das aber sehr. In einem gewissen Sinne ist schon die Visite in Katyn eine Beerdigung Stalins. Ich bin gespannt, wie das genau aussehen wird.“ SLD-Politiker Jerzy Szmajdzinski erwartete, dass die russische Regierung endlich offen über die dunklen Seiten der sowjetischen Geschichte sprechen werde und dass Russland einen Weg einschlagen werde, von dem es kein Zurück mehr geben wird.
Den großen Durchbruch gab es nicht, doch der war diesmal auch nur von den wenigsten Beobachtern erwartet worden. Doch immerhin verurteilte der russische Regierungschef Wladimir Putin im Wald von Katyn die Verbrechen des Totalitarismus und erklärte, dass man die Wahrheit über das Massaker im Namen der künftigen polnisch-russischen Beziehungen ans Tageslicht bringen müsse. Was es in Putins Rede nicht gab, war eine deutliche Entschuldigung an Polen.
Schmerzlich vor allem für die Angehörigen der Opfer ist, dass Russland seine Archive anscheinend, trotz jahrelanger Forderungen und Verhandlungen, weiterhin nicht für polnische Historiker öffnen will.
Wie man es nun betrachte und ob es sich bei den Feierlichkeiten um einen Durchbruch oder nur um einen weiteren Schritt zur Versöhnung handelt, ist nach dem Statement von Premierminister Donald Tusk zweitrangig. Was wirklich zähle, sei die Richtung. Er erklärte, seine und Putins gemeinsame Aufgabe sei es gewesen, diesen Weg einzuschlagen und offen zuzugeben, dass, auch wenn wir Teile der Geschichte noch unterschiedlich bewerten, und die Erwartungen der öffentlichen Meinungen in Polen und Russland noch auseinandergehen, es die gemeinsame Pflicht sei, weiterhin die Versöhnung anzustreben.
Ähnlich sieht es auch der langjährige Chefredakteur Adam Michnik in der heutigen Ausgabe der Gazeta Wyborcza (Niech Katy? pojedna). Es sei etwas Großes geschehen, schreibt er, das Treffen des polnischen Premierministers mit seinem russischen Amtskollegen in Katyn sei das Finale der großen “Katyn-Lüge”, die viele Jahrzehnte die beidseitigen Beziehungen belastet hatte.
Michnik würdigte den Wandel im Denken Putins und der Staatsführung. An der Stelle des Massakers von 1940 habe Putin von Opfern eines unmenschlichen, totalitären Verbrechens gesprochen, eines Verbrechens, für das es keine Erklärung geben könne. Michnik erinnerte daran, wie es vor fünf Jahren war. Bei den damaligen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Kriegsendee habe Putin die polnischen Soldaten als Teil der Anti-Hitler-Front nicht einmal erwähnt. In Katyn habe er die Heldentaten der polnischen Soldaten gelobt. Was für ein langer Weg von der Feststellung, der Fall der Sowjetunion wäre die größte Katastrophe des XX. Jahrhunderts gewesen, bis zur Kritik an den Henkern des Stalin-Regimes, die Menschen unabhängig von ihrer Nationalität, Herkunft und Religion getötet hätten.
Ausführlich wurde in der polnischen Öffentlichkeit auch über die erstmalige Ausstrahlung des Wajda-Films „Das Massaker von Katyn“ im russischen Fernsehen berichtet. Der Fernsehkanal Kultura, der zum staatlichen Fernsehen gehört, sendete den Film am Karfreitag zur besten Sendezeit und danach eine Diskussion von Hiostorikern, Politikern und Kulturschaffenden. Dort wurde die sowjetische Alleinschuld an der Erschießung Tausender Polen im Frühjahr 1940 ausdrücklich eingestanden. Das sei kränkend für Russland, aber es sei bewiesen, dass man das getan habe, erklärte der russische Regisseur Sergej Michalkow. Dabei sei es ganz besonders schändlich, dass die Polen, die ja ebenfalls Slawen sein, von der Sowjetunion verraten worden seien, fügte er an. Michalkow betonte, der Film Wajdas sei nicht antirussisch, sondern mit einem ausgeprägten Gefühl für Ungerechtigkeit gemacht. Der Chef des auswärtigen Parlamentsausschusses Konstantin Kossatschow meinte, es gäbe keine Alternative zur Wahrheit über diese Tragödie. Der Historiker Alexander Tschurbarjan mahnte eine Versöhnung mit Polen wie sie auch mit Deutschland geschehen sei.
Zweifellos ist die Ausstrahlung des Films ein Politikum. Dabei geht es vor allem um den Umgang mit dem Stalinismus in Russland. Allein die Ausstrahlung und die folgende Diskussion machen die Haltung der herrschenden russischen Eliten deutlich und kommen einer Distanzierung von einem Neo-Stalinismus gleich, der den Diktator wieder zur Ikone macht und seine Verbrechen negiert oder verharmlost. So sieht es auch die Nesawisimaja Gaseta. Die Moskauer Zeitung Wremja stellt den Zusammenhang zu den Siegesfeiern zum 65. Jahrestag des Kriegsendes her und kritisierte, dass russische Veteranen am 9. Mai Stalin bei mit Billigung der Stadtverwaltung Moskau auf Plakaten feiern wollten. So etwas aber sei angesichts von Katyn unverständlich, schrieb das Blatt.
Diese Plakate würden auch schlecht passen zu dem nun schon ganzen Bündel an zarten Versöhnungsavancen an Polen, zu denen nicht nur das gemeinsame Gedenken in Katyn gehört, sondern auch die Einladung sowohl an den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, Premierminister Donald Tusk und den ehemaligen Ministerpräsidenent der Volksrepublik Polen Wojciech Jaruzelski als auch an polnische Kriegsveteranen zur Teilnahme an der Militärparade am 9. Mai zum 65. Jahrestag des Sieges auf dem Roten Platz.
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