Smolensk: Das Drama geht in die nächste Runde

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Titel der polnischen Tageszeitung Reczpospolita vom 30.10.2012, Screenshot: B.Jäger-Dabek

Ermittlungspannen, vertauschte Leichen, der vermutliche Selbstmord eines Zeugen und ins Kraut schießende Verschwörungstheorien halten den Absturz der polnischen Präsidentenmaschine vom 10. April 2010 bei Smolensk in den Schlagzeilen. Damals starben 96 Mitglieder einer polnischen Delegation, die auf dem Weg zu einer Gedenkfeier für Zehntausende von den Sowjets 1940 bei Katyn ermordeten polnischen Offiziere waren. Unter den Toten befanden sich auch der damalige polnische Präsident Lech Kaczynski und seine Frau Maria.

Smolensk – das ist eigentlich der Name einer westrussischen Stadt. Doch heute ist Smolensk längst zum Synonym für den Absturz der polnischen Präsidentenmaschine vom 10. April 2010 geworden, bei dem die Maschine beim Landeanflug im Nebel eine Baumreihe rasierte und auf dem Boden zerschellte.

Nachdem Jaroslaw Kaczbynski, Vorsitzender der Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit PiS und Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten das Unglück durch gebetsmühlenartig wiederholte Verschwörungstheorien zum Politikum machte, die Opferrolle allein auf die Seite der PiS und Pis-nahen Verunglückten und Regierungsmitglieder, vor allem aber Ministerpräsident Donald Tusk kurzerhand zu Tätern erklärte, und sie zumindest der Teilnahme an einem Mordkomplott für schuldig erachtet, gerät Tusk immer mehr in die Defensive.

Bei den diversen kursierenden Mord- und Verschwörungstheorien übersieht vor allem Jaroslaw Kaczynski geflissentlich die schlichte Tatsache, dass es sich bei den Opfern keinesfalls ausschließlich um Parteigänger gehandelt hatte, sondern um Vertreter der polnischen Elite und die Opfer zu allen gesellschaftlich relevanten Gruppierungen gehörten. Außerdem sehen auch Experten keinen vernünftigen Grund, das Risiko eines Anschlags einzugehen, um einen Präsidenten zu beseitigen, der vor der Abwahl stand und das gilt sowohl für Tusk, als auch für Putin. Dennoch: Zweifellos sind bei den Ermittlungen zur Absturzursache Fehler passiert, viel zu viele Fehler und sie passieren ständig weiter, das ist ärgerlich, schlampig und zuweilen auch peinlich wie die bei den jüngsten Exhumierungen der sterblichen Überreste von Opfern geschehen.

Peinlich war vor allem die Verwechslung der Leichname der Solidarnosc-Veteranin Anna Walentynowicz und des letzten polnischen Exilpräsidenten Ryszard Kaczorowski.  Premierminister Donald Tusk musste sich ein weiteres Mal für eine Schlamperei entschuldigen, an dem auch das Außenministerium beteiligt war. Inzwischen verlangte der PiS-Sprecher Adam Hofmann eine Stellungnahme des Außenministers und eine Erklärung, wie insbesondere die Verwechslung Kaczorowskis geschehen konnte, dessen sterbliche Überreste zu den am besten erhaltenen Leichnamen gehört hatten. Da weitere Exhumierungen und DAN-Tests anstehen, ist die Entdeckung weiterer Verwechslungen zu befürchten.

Als ob das nicht schon misslich genug für das Regierungslager war und Wasser auf die Mühlen der Kaczynski-Anhänger, wurde am vergangenen Samstag der 42-jährige Bordmechaniker Remigusz Mus von seiner Frau erhängt in seinem Keller aufgefunden. Da die Ermittler keine Spuren eines Fremdverschulden fanden, stufe man den Tod als Selbstmord ein, verkündete der Warschauer Bezirksstaatsanwalt Dariusz Slepokura am Montag der Presse.

Mus hatte am 10. April 2010 in der ersten Maschine Dienst getan, die eine Stunde vor der Präsidentenmaschine mit Journalisten aus Polen nach Smolensk geflogen war. Mus galt als wichtiger Zeuge bei der Ermittlung der Absturzursache und hatte ausgesagt, er habe zur Absturzzeit im Cockpit seiner Maschine gesessen und dem Funkverkähr zwischen der Präsidentenmaschine und dem Tower Smolensk zugehört. Er hatte ausgesagt dabei gehört zu haben, dass die Smolensker Fluglotsen der Präsidentenmaschine erlaubt hatte beim Landeanflug auf 50 Meter Höhe, obwohl 100 m als Untergrenze galten. Die PiS und der Kaczynski-nahe Vorsitzende der parlamentarischen Untersuchungskommission Antoni Macierewicz, der als Anhänger der Verschwörungstheorie gilt, verlangten nun Polizeischutz für den Artur Wosztyl, den damaligen Kommandanten der Jak-40, in der sich Mus damals befunden hatte.

Eine weitere Steilvorlage für die Verschwörungstheorien der PiS war der Bericht der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita vom Dienstag, der Polen in helle Aufregung versetzte und einen politischen Tsunami auslöste, wie Präsident Bronislaw Komorowski es bezeichnete. Die Rzeczpospolita hatte auf Seite eins mit Riesenlettern getitelt: TNT im Wrack der Tupolew. Das aber war zu weit gegriffen und goss nur Öl ins Feuer. Kaczynski sprach von Mord und zeigte sich überzeugt, dass der Kreml mit Hilfe von Donald Tzusk seinen Bruder getötet hat und erklärte, er wisse nicht, ob Tusk auch ihn umbringen wolle. Tusk bezeichnete das als absurd und fügte an, Kaczynski zerstöre mit seinen Anschuldigungen das Land

Tatsächlich hatten polnische Spezialisten das Wrack der Präsidentenmaschine in Russland noch einmal untersucht. Die polnische Militärstaatsanwaltschaft bestätigte, dass zwölf polnische Fachleute Anfang Oktober noch einmal das Wrack und den Unglücksort untersuchte hatten. Dabei hätten sie auch bisher unbekannte und nicht untersuchte Teile im Erdboden entdeckt. Dabei handele es sich aber zunächst nur um Partikel mit verdächtigen Substanzen, die nun genau untersucht würden. Der Sprecher der Militärstaatsanwaltschaft stellte fest, niemand könne derzeit sagen, dass es sich um TNT oder irgendeinen sonstigen Sprengstoff handele. Solche ionisierten Teilchen ähneln denen, die in Sprengstoffen vorkommen, seien aber auch in Pestiziden, Kosmetika und Lösungsmitteln enthalten. Genauso sei es möglich, dass es sich um Reste von Sprengstoffspuren beispielsweise von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg handele. Die Rzeczpospolita sah sich noch am Dienstag Abend auf ihrer Internetseite kurz nach 18 Uhr genötigt etwas einsilbig zu erklären, man habe sich dabei geirrt, von TNT und Nitroglyzerin zu schreiben. Dieser Satz war kurz danach wieder verschwunden und durch die Formulierung ersetzt, man könne nicht eindeutig die Anwesenheit von TNT und Nitroglycerin bestätigen.

Wo russische Einsilbigkeit statt Offenheit sowie das Wegsperren von möglichen Beweisstücken mit polnischen Verschwörungstheorien zusammentreffen, ist der Spekulation auch weiterhin Tür und Tor geöffnet.

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Über Brigitte Jaeger-Dabek 1605 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".