Polens Verfassungsgerichtshof in Warschau, Foto: Adrian Grycuk, C BY-SA 3.0 PL
Die Venedig-Kommission des Europarats hat die das polnische Verfassungsgericht betreffenden Reformen der PiS-Regierung überprüft, und kamen zu dem Urteil, dass Polen tief in einer ernsten Verfassungskrise steckt. Die Verfassungsexperten sehen die Demokratie in unserem Nachbarland bedroht.
Dabei hatte die PiS-Regierung durch Außenminister Witold Waszczykowski am 23. Dezember selbst den Europarat angerufen, und um eine Überprüfung der eigenen Verfassungsreformen gebeten. Ein schwerer taktischer Fehler, denn der Schuss ging nach hinten los. Das Urteil der Kommission ist für die polnische Regierung verheerend. Nun wird zurückgerudert mit dem durchsichtigen Argument, die Kommission sei politisch beeinflusst und im Vornherein gegen die PiS eingestellt. Einen Beweis sieht man in Warschau darin, dass der Berichtsentwurf, den die Kommission der polnischen Regierung zur Stellungnahme zugestellt hatte, bevor er etwa zwei Wochen später in endgültiger Fassung erscheint, der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza zugespielt wurde.
Worum geht es in dem Konflikt?
Kurz vor Weihnachten hatte die PiS-Regierung unter Beata Szydlo im Eilverfahren eine Novellierung des Verfassungsgerichtsgesetzes durchgepeitscht, das Polens Verfassungsgericht lahmlegte. Kurz zuvor wurde in die Zusammensetzung des Gerichts eingegriffen. Noch von der alten PO-Regierung Kopacz war gegen Ende der vorigen Legislaturperiode die Ernennung von fünf Verfassungsrichtern durchgeführt worden. Doch nur über drei dieser Richter musste damals neu entschieden werden, da die Verträge ausliefen. Diese Ernennungen entsprachen dem Verfassungsgerichtsgesetz. Die anderen beiden anderen Richter wurden ohne Zeitnot eingesetzt, und galten als der PO nahestehend. Dieses Tun war schon nicht ganz verfassungsgemäß. Nun waren die Richter aber ernannt und der neue Präsident Andrzej Duda hätte sie vereidigen müssen. Doch nun wurde die Ernennung aller fünf Richter durch ein neues Verfahrensreglement annuliert, fünf der PiS genehme Richter wurden eingesetzt und umgehend vom aus der PiS stammenden Präsidenten Andrzej Duda vereidigt.
Zu dem im Dezember durchgepeitschten Verfassungsgerichtsgesetz gehörte ein ganzes Paket von Änderungen. Die Zahl der Richter wurde erhöht, die für ein gültiges Urteil nötig sind. Zuvor entschied das Gericht autonom, in welcher Reihenfolge die eingehenden Fälle abgearbeitet werden, beurteilte also eigenständig die Dringlichkeit eines Falls. Durch diesen Schachzug ist es praktisch unmöglich, ein von der Regierung eingebrachtes Gesetz noch in der gleichen Legislaturperiode überprüfen zu lassen. Die Regierung sieht sich im Recht und pocht darauf, das Gericht müsse den neuen Machtverhältnissen im Lande angepasst werden.
Verfassungsericht: Die PiS-Verfassungsgerichtsreform ist verfassungswidrig
Inzwischen hat das polnische Verfassungsgericht ein Urteil quasi in eigener Sache gesprochen und das Gesetz zum Verfassungstribunal für in wesentlichen Punkten für verfassungswidrig erklärt. Es verhindere die reibungslose Arbeit und die Beschränkungen bei der unabhängigen Arbeit würden staatliche Strukturen stören, der alte Status solle wiederhergestellt werden. Das betreffe vor allem die nun nötige Zweidrittelmehrheit und den Zwang, Fälle nicht nach der Bedeutung sondern nach dem Eingang zu bearbeiten, begründeten die Richter ihr Urteil.
Die Regierung Szydlo hatte sofort angekündigt, das Urteil nicht anzuerkennen. Sie macht es sich einfach: So lange, wie das Urteil nicht im polnischen Amtsblatt veröffentlicht wird, ist es nicht rechtskräftig. So wird Schritt für Schritt das Verfassungsgericht zur Bedeutungslosigkeit herabgewürdigt und mit ihm die Verfassung. Hier begleicht jemand – der Parteivorsitzende Jaroslaw Kaczynski – alte Rechnungen, denn während der PiS-Amtszeit zwischen 2005 und 2007 hatte das Verfassungsgericht mehrfach Gesetzesvorlage der PiS-Regierung kassiert.
Welche Rolle spielt die Venedig-Kommission?
Die EU hatte schon früh ihre Bedenken gegen die das polnische Verfassungsgericht betreffenden Gesetze geäußert und im Januar das 2014 implementierte Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit Polens in Gang gebracht. Daraufhin zeigte sich die polnische Regierung selbstsicher und erbat vom Europarat eine Bewertung der fraglichen Reformen.
Eine solche Überprüfung wird durch die seit 1990 existierende Venedig-Kommission durchgeführt, einem Expertengremium von Verfassungsrechtlern, deren amtlicher Name „Europäische Kommission für Demokratie durch Recht“ lautet. Die Bezeichnung Venedig-Kommission erhielt das Gremium durch den Tagungsort Venedig, wo man sich viermal jährlich trifft. Das Gremium genießt einen hohen Ruf und besteht aus 58 Vollmitgliedern, die sich aus den 47 Mitgliedsstaaten des Europarats, und den weiteren Vollmitgliedern Israel, Tunesien, Marokko, Algerien, Brasilien, Mexiko, Peru, Chile, Kasachstan, Kigistan, Korea zusammensetzen, die ihre Kommissionsmitglieder jeweils für vier Jahre ernennen. Assoziertes Mitglied ist Weißrussland, beobachtende Mitglieder sind der Vatikan, Argentinien, Japan, die USA, Kanada, Uruguay. Innerhalb der beobachtenden Mitglieder haben Südafrika und die Palästinensischen Autonomieorgane einen Sonderstatus. Um es klar auszudrücken: Institutionell ist der Europarat mit der EU nicht verbunden sondern eine internationale Organisation von 47 Staaten. Vorsitzender ist derzeit der Norweger Thorbjörn Jagland – Norwegen gehört nicht zu den 28 EU-Mitgliedsstaaten. Die Venedig-Kommission als politisch voreingenommen zu bezeichnen, wie Beata Szydlo das tut, ist also absurd und stellt nichts anderes als eine Volksverdummung dar.
Ende Februar reiste die Kommission nun zu einer zweitägigen Überprüfung der fraglichen Gesetze an und kam zu einem für die PiS-Regierung verheerenden Urteil. Diese Einschätzung wurde als Entwurf der polnischen Regierung zugestellt und von der Gazeta Wyborcza in wesentlichen Aussagen veröffentlicht. Polen hat nun die Möglichkeit Stellung zu nehmen, bevor demnächst der endgültige Bericht erstellt wird.
Eindeutig als Verfassungsbruch hat die Kommission die Angelegenheit um die Richterernennung. Präsident Duda hätte keine neuen Richter vereidigen dürfen, das Gesetz um die Neubenennung sei nicht verfassungskonform. Auch die Punkte des Gesetzes zur künftigen Gerichtsarbeit beurteilten die Experten als eine Art „Schachmatt“ für die künftige Arbeit des Verfassungsgerichts.
Da derzeit das Verfassungsgericht weder seine Aufgaben effizient erledigen könne, noch seine rechtmäßige Besetzung derzeit geklärt ist, seien sowohl der Rechtsstaat, als auch die Demokratie in Polen bedroht. Ein klarer Wahlsieg mit deutlicher absoluter Mehrheit wäre ein ganz normaler Vorgang in einer gefestigten Demokratie und dürfte nicht dazu führen das die politische Minderheit sowie alle Minderheiten generell nicht mehr geschützt oder gar benachteiligt werden. Im Klartext aber heißt das, dass in Polen derzeit der Versuch gemacht wird, eine pluralistische freie Gesellschaft zu reglementieren und einzuschränken.
Frans Timmermans, der zuständige EU-Kommissar hat angekündigt, die im endgültigen Bericht aufgelistete Einschätzung der Venedig-Kommission werde eine wichtige Rolle im gesamten Rechtstaatlichkeitsprozess.