Polen: Zehntausende protestieren gegen die Regierung

Polen: Zehntausende protestieren gegen die Regierung

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OD-Demonstration in Lodz am 23.1.2026

KOD-Demonstration in Lodz am 23.1.2026, Foto: Zorro2212, CC-BY-SA 4.0

Zehntausende von Polen gingen am Sonnabend wieder auf die Straßen zum Protest gegen die PiS-Regierung von Beata Szydlo. Die Protestdemos fanden in 36 polnischen und acht ausländischen Städten statt.

Wieder waren am Samstag Polens Oppositionelle zu vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie KOD (Komitet obrony demokracji) organisierten Demonstrationen auf den Straßen ihrer Städte. Zehntausende hatten sich aufgemacht, um gegen die Politik der nationalkonservativen PiS-Regierung zu protestieren. Polens protestierende oppositionelle Zivilgesellschaft hat sich im KOD zusammengeschlossen, dessen Name nicht nur zufällig an das legendäre Komitee zur Verteidigung der Arbeiter KOR aus der Zeit des friedlichen Kampfes gegen die sozialistischen Machthaber in der großen Zeiten der Solidarnosc erinnert. Inzwischen stehen fast alle Oppositionsparteien hinter der Bewegung. Ein bisschen ist es wie ein Reset auf Anfang. Ein Hauch von Solidarnosc-Protest der Wendezeit liegt über allen, eine Rückbesinnung auf beste polnische Traditionen, die der Anfang vom Ende des ganzen Ostblocks war. Warum sollte es also nun nicht gelingen, man habe einen langen Atem, hört man von Demonstranten, das alte polnische „nie damy sie“, wir lassen und nicht unterkriegen.

Die polnische Opposition und die Bewegung KOD

Die Oppositionsbewegung wirft der PiS-Regierung vor, Schaltstellen demokratischer Macht-Kontrollorgane wie in den öffentlich-rechtlichen Medien, der gerne so genannten „vierten Gewalt“ und im Verfassungsgericht unter PiS-Kontrolle zu stellen. Zudem kritisieren das KOD und ihr Vorsitzender Mateusz Kijowski, dass eigentlich nicht die Regierung unter Ministerpräsidentin Beata Szydlo und der Präsident Andrzej Duda die Republik führen, sondern der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, der in keinem Regierungsamt steht. Seine Richtlinien würden bedingungslos umgesetzt. Die von der Regierung zunächst belächelte Bürgerbewegung hinter dem KOD hat inzwischen um die 135.000 Mitglieder, die nicht bestreiten, dass die PiS ganz legal durch einen Wahlsieg an die Macht gekommen sei, auch habe die vorige Regierung keineswegs immer hundertprozentig legal operiert, und längst sei nicht alles so toll gelaufen, wie es vor allem nach außen immer schien. So fremdelten in den letzten Jahren immer mehr Polen mit diesem Gesellschaftsentwurf. Doch nach Kijowskys Meinung hätten die wenigsten PiS- Wähler einen so radikalen Staatsumbau gewollt.

Der große polnische Wendekonsens von NATO- und EU-Integration sowie Marktwirtschaft und wachsender Wohlstand hat tatsächlich vor allem in den letzten Jahren des Jubiläumstaumels unter fehlender sozialer Abfederung gelitten. Wachsende gesellschaftliche Disparitäten und eine Spaltung der Gesellschaft war die Folge. Zunehmend ging es dabei nicht mehr ausschließlich um Wendeverlierer sondern auch um den Mittelstand. Immer mehr Bürger fanden sich einerseits in einem Land mit schick herausgeputzten Städten und andererseits als Menschen nicht mehr wieder. Ihre Sorgen sind Rente, Arbeit, steigende Preise, unsichere und prekäre Arbeitsverhältnisse und die Zukunft ihrer Kinder, die zu einer perspektivlosen Jugendgeneration gehören, der selbst im Bereich der Hochgebildeten nur die Auswanderung bleibt. Hätten sich vorige Regierungen diesem Diskurs gestellt, ja die Sorgen der Bürger wenigstens erkannt, hätte die Wahl im letzten Oktober anders ausgehen können.
Nach der Beschneidung der freien Justiz durch die Verfassungsgerichtsreform und einem neuen Mediengesetz, laut dem die Regierung über die Führungspositionen in den öffentlichen Medien entscheidet, geht es nun mit dem neuen Polizeigesetz weiter. Demnächst wird es obendrein eine Zusammenführung der Ämter des Justizministers und Generalstaatsanwalts geben. Das aber wäre nicht nur nach Meinung polnischer Regierungsgegner eine Aushöhlung des Rechtsstaates und eine Beschneidung der Gewaltenteilung, dem wesentlichen Prinzip der Demokratie mit der klassischen Dreiteilung zwischen Judikative, Legislative und Exekutive.

Ex- Staatspräsident und Solidarnosc-Ikone Lech Walesa hat der Regierung inzwischen beim privaten Fernsehsender TVN24 vorgeworfen, mit den Gesetzesänderungen im Justiz- und Medienbereich das Land zu ruinieren. Man habe hart gearbeitet, um diese Freiheit zu erreichen. Gerade sei Polen aber dabei, das alles zu verspielen. Alle Welt wisse, dass die PiS-Regierung die Verfassung verletzt habe, und frech behaupte, dass dem nicht so sei. Solch eine dicke Lüge habe er überhaupt noch nie gehört, fügte Walesa an.

Was denkt das Wahlvolk in Polen?

Doch darf man trotz der Mut machenden Bilder der Demonstrationen nicht übersehen, dass nach allen jüngsten Umfragen die Unterstützung für Regierungschefin Beata Szydlo und Präsident Andrzej Duda noch immer vorhanden ist und das Wahlergebnis – was die PiS betrifft – heute nicht viel anders aussehen würde, wie im Oktober.

Interessant ist die beginnende Veränderung des Parteienspektrums und der Aufstieg der neuen Partei Nowoczesna (Die Moderne) von Ryszard Petru, die nach einer aktuellen Meinungsumfrage von TNS Polska heute bei gut 15% liegt, mit steigender Tendenz. Dabei schickt sich Petru sogar an, die PO immer mehr unter Druck zu setzen, die derzeit bei knapp 22% liegt. Interessant ist, dass sowohl PiS als auch Nowoczesna starke Vorsitzende haben, die alle Politikrichtlinien bestimmen.

Wie groß die Unsicherheit durch die Neusortierung des Parteiensystems in Polen derzeit ist, zeigt eine zwischen dem 15. Und 20. Januar durchgeführte Meinungsumfrage des Meinungsfragungsinstituts CBOS, die der PiS einen Stimmeanteil von 39% zubilligt. Die Nowoczesna erreicht dort 22%, die PO nur noch 13%.

Die Tendenz bei den meisten Umfrageinstituten ist, dass die Aufspaltung der Opposition in demnächst wohl zwei fast gleich starke Blöcke aus Nowoczesna und PO der PiS mit ihren derzeit 38-39% lange keine Sorgen um die Mehrheit bringen dürfte. Nach der TNS Polska-Umfrage wäre wenn heute Wahl wäre, sonst nur doch die Kukiz-Bewegung mit 11% weiter im Parlament aber mit sinkender Tendenz.

Protestdemonstration des KOD in Lodz am 23. Januar 2016:

Zahlen: NaTemat.pl, Magazin des bekannten Journalisten Tomasz Lis

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1605 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".