Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Der Streit ums Kreuz vor dem Präsidentenpalast in der polnischen Hauptstadt Warschau entzweit das Land nicht, er bestätigt vielmehr und zeigt nun unübersehbar auf, wie tief Polen gespalten ist. Er ist auch viel mehr als ein Streit mehr um die Religion und den Einfluss der Kirche. Das von Pfadfindern im Gedenken an den beim Flugzeugabsturz von Smolensk tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski ist längst zum Symbol einer politischen Schlacht der sich immer unversöhnlicher gegenüberstehenden Lager geworden, in der selbst die Kirche machtlos wirkt.
Jaroslaw Kaczynski, der Zwillingsbruder des verunglückten Präsidenten und Chef der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit PiS ist längst wieder zurückgekehrt zu unversöhnlichen Positionen, es ist nicht mehr viel übrig geblieben von dem weichgespülten, versöhnlichen und kompromissfähigen Politiker des Präsidentenwahlkampfes. Sein Fernbleiben von der Vereidigung des neuen Präsidenten Komorowski zeigt, dass er es mit den demokratischen Spielregeln nicht so genau nimmt, rügte auch Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski. Kaczynski benutzt das Kreuz, und damit auch den Tod seines Bruders, um seine Wahlkämpfer für den bald beginnenden Kommunalwahlkampf zu mobilisieren und strategisch auszurichten. Doch eigentlich hat man bei der PiS das Fernziel vor Augen: den Machtwechsel bei der Parlamentswahl 2011. Und man sollte sich nicht vertun – auch nicht in den Nachbarländern – das Kaczynski-Team besteht aus einer Reihe cleverer und fähiger Berater und Jaroslaw Kaczynski selbst ist alles andere, als ein Hinterwäldler, als der er in Deutschland gern gesehen wird.
Das Kreuz ist ein geschickt ausgewähltes Symbol – dabei gerät völlig in Vergessenheit, dass eine Gedenktafel längst beschlossenen Sache ist – um die Gemüter in Wallung zu bringen, es hat etwas Heiliges und ist wert, dafür bis zur Selbstaufopferung zu kämpfen. Die ultrakatholische und erzkonservative Wählerschaft Kaczynskis sieht sich bei dem Kampf ums Kreuz außerdem in der langen Tradition polnischer Opfergänge. In diese Ecke passen auch die von PiS-Anhängern immer wieder postulierten wilden Verschwörungstheorien die Absturzursache betreffend und der zunehmende an Heiligenverehrung erinnernde Personenkult um den toten Präsidenten. Das sorgt in Polen für eine extreme Polarisierung.
Kaczynski und seine Berater haben mit dem Kreuz eine ideale Streitfläche gefunden, hier kann man die Regierung so richtig schön alt aussehen lassen, wenn man die Staatsmacht aussenden muss, um ein Kreuz in eine Kirche bringen zu lassen und das Fernsehen das Handgemenge überträgt. Um den katholisch-fundamentalistischen „Kreuzwächtern“ nicht jeden Tag neue Medienpräsenz zu ermöglichen, zog Komorowski vorerst dorthin, wo er auch Bundespräsident Christian Wulff empfangen hatte, ins Schloss Belweder. Das wiederum wird von vielen Polen als eine Kapitulation vor den Methoden der Ultrakonservativen gesehen.
Obwohl sich die „Kreuzwächter“ aus glühenden Kirchenanhängern rekrutieren, hat die Kirche doch anders als bisher nicht viel Einfluss auf das Geschehen. Der Episkopat ist schlichtweg von Kaczynski und seinen Beratern instrumentalisiert worden. So warf Erzbischof Jozef Michalik den streitenden Parteien vor, das Kreuz politisch zu instrumentalisieren, und begrüßte den Vorschlag des Warschauer Erzbischofs Kazimierz Nycz, das Holzkreuz in die Sankt-Anna-Kirche zu verlegen, als gute Lösung. Doch nicht etwa die Kirche, sondern vor allem der neue Staatspräsident Komorowski müsse den Streit lösen, schob der Erzbischof den Schwarzen Peter ganz im Sinne der PiS weiter.
Genau durchdacht ist auch das Vorgehen der PiS gegen die sozialdemokratische SLD, der die Kirche in Gestalt von Erzbischof Jozef Michalik einen kämpferischen Atheismus attestierte. Auffallend zurück hält man sich, was den angekündigten Gesetzesentwurf der SLD zur Trennung von Kirche und Staat betrifft, der auch das Ende des Religionsunterrichts und ein Entfernen der Kreuze aus dem öffentlichen Raum beinhalten soll.
Gegenüber stehen sich im Kampf um das Kreuz am Warschauer Präsidentenpalais zwei völlig verschiedene Entwürfe für ein künftiges Polen. Hie ein liberales, in die Strukturen der EU eingebundenes und dies aktiv mitgestaltendes, auf gute Beziehungen zu den Nachbarn bedachtes, weltoffenes und laizistisches Polen, da eine strenggläubig katholische Nation, skeptisch gegenüber ihren russischen und deutschen Nachbarn, in allem einem nicht den heutigen Erkenntnissen angepassten Geschichtsbild verhaftet und mit ihrem „Polen zuerst“ das Land zu einer abgeschotteten Insel eines anachronistischen Weltbilds machend, vielen Werten verbunden, die heute nicht mehr tragen, denn die Welt hat sich geändert.
Man kann also weiterhin gespannt sein, wie es in Polen weiter geht.
In diesem Sinne, Ihre
Brigitte Jäger-Dabek