Die Äußerungen Erika Steinbachs bei der Fraktions-Vorstandssitzung der CDU-Bundestagsfraktion vom Mittwoch haben hohe Wellen geschlagen, ihr wir nun selbst eine Relativierung der Kriegsschuld angelastet. Der Satz „Ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat,“ ist Geschichtsrevisionismus und eine Relativierung der deutschen Kriegsschuld, wenn man die historischen Fakten betrachtet.
Die histprischen Fakten zum Kriegsbeginn 1939
Die Teilmobilmachung im März 1939 im Raum Danzig und an den Grenzen zu Ostpreußen war Polens Reaktion auf das Bedrohungsszenario durch die Annektion des Memellandes und die Besetzung der Rest-Tschechoslowakei durch Nazideutschland, sowie wegen des Dauerdrucks um Danzig. Hitler hatte damit unter Bruch des Münchner Abkommens große Teile des Versailler Vertrags ohne nennenswerte Gegenwehr revidiert, was nun aus Sicht der Reichsführung kommen musste, war ein Vorgehen gegen den polnischen Korridor. Polen musste sich als voraussichtlich nächstes Opfer des Dritten Reiches sehen und war nicht gewillt, sich kampflos zu ergeben. Die Teilmobilmachung hatte defensiven Charakter und sollte eine Blitzbesetzung Danzigs durch Deutsche Truppen verhindern.
Übrigens war es Hitler, der am 11. April der Wehrmachtsführung den Befehl zur Ausarbeitung eines Kriegsplanes gegen Polen erteilt und am 28. April 1939 den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt gekündigt hatte. Spätestens von da an, wusste die politische Führung Polens, was die Glocke geschlagen hatte. Seit den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher ist das so genannte Schmundt-Protokoll bekannt, das Hitlers Chefadjutant der Wehrmacht Rudolf Schmundt von einer Rede fertigte, die Hitler am 23. Mai 1939 im Arbeitszimmer des Führers in der Neuen Reichskanzlei vor der Wehrmachtsführung hielt. Darin machte Hitler seine Pläne für einen Überfall auf Polen deutlich: „Es entfällt also die Frage Polen zu schonen und bleibt der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen. An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Es wird zum Kampf kommen.“ Besonders aufschlussreich über den Charakter dieses Krieges ist die Äußerung über Danzig: „Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um die Erweiterung des Lebensraumes im Osten“. Der Überfall auf Polen war ein von Deutschland geführter völkerrechtswidriger Angriffskrieg ohne vorherige Kriegserklärung.
Deutsche Reaktionen
Die Reaktionen in Berlin sind einhellig, und bezeichnen die Äußerungen als Geschichtsklitterung und die Politikerin Erika Steinbach als nicht länger tragbar, so die Anmerkungen von Jürgen Trittin (Die Grünen), Guido Westerwelle (FDP) und Sigmar Gabriel (SPD). Auch in der CDU herrscht blankes Entsetzen. Erika Steinbach denkt bisher nicht an eine mit einer Entschuldigung versehene Rücknahme ihrer Äußerungen. Sie reagierte betroffen und kündigte ihren Rückzug aus dem CDU-Vorstand an, da sie sich dort als Konservative allein fühlt und verwechselt weiter beharrlich Meinungsfreiheit und Geschichtsklitterung. Dennoch, es dürfte die berühmte eine Äußerung zu viel sein und der politische Stern der BdV-Präsidentin dürfte zum Sinkflug ansetzen.
Der Direktor des Deutschen Polen-Instituts, Dieter Bingen sagte der Mitteldeutschen Zeitung, die Aussagen von Frau Steinbach erwiesen dem Anliegen, das Verständnis für die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Polen und Deutschland zu vergrößern einen Bärendienst.
Polnische Reaktionen
In Polen wurden die Ausfälle Erika Steinbachs natürlich bemerkt, die Reaktionen waren aber vergleichsweise moderat. So schaffte es die Angelegenheit bisher nur auf Seite 2 der führenden Tageszeitungen. Dort werden neben den Äußerungen Steinbachs vor allem die einhellig ablehnenden und richtigstellenden Stellungnahmen der Berliner Politprominenz aller Parteien zitiert. Selbst die rechte Tageszeitung Rzeczpospolita betitelte seinen Artikel „Steinbach schuldigt an“ und git ihm den provokanten „Polen ist verantwortlich für den Krieg, denn es hat zuerst die Mobilmachung ausgerufen“. Der Text zeigt sich im Kontrast zum Titel wesentlich moderater.
Die polnische Opposition reagierte empört, die Steinbach-Äußerungen sind eine Steilvorlage für die Argumentation der PiS unter Jaroslaw Kaczynski, die mehr als deutschlandskeptisch ist. Der Vorsitzende selbst hat noch nichts zum Thema verlauten lassen, das tat die PiS-Senatorin Dorota Arciszewska, die Deutschland-Expertin der PiS. Arciszewa zeigte sich empört über die Geschichtslügen und Geschichtsfälschungen von Steinbach, die von der Bundesregierung und der CDU auch noch unterstützt würden. Diese Steinbach-Ideen würden im geplanten Zentrum gegen Vertreibungen realisiert.
Die Reaktionen der Regierungsseite zeigten das Bemühen, die durch den Besuch Komorowskis in Berlin gerade wieder frisch aufpolierten Beziehungen zwischen Deutschland und Polen nicht abkühlen zu lassen. Eine neue Eiszeit wegen Steinbach will hier niemand, man setzt eher darauf, dass die BdV-Vorsitzende mit ihren Äußerungen diesmal zu weit gegangen ist.
Polens Botschafter Marek Prawda verkündete in Berlin, er fühle sich durch die Äußerungen über den Beginn des Zweiten Weltkriegs an Nazi-Propaganda erinnert. Der BdV-Präsidentin Erika Steinbach sei es darum gegangen, «die Kriegsschuld auf andere zu schieben», hier werde «natürlich» der Versuch einer Relativierung unternommen. sagte er der «Passauer Neuen Presse» in einem Interview.