Polen hat gewählt und so ist der aktuelle Stand der Auszählungen am Montag gegen Mittag (93,05 der Wahlkreise sind ausgezählt):
- Bürgerplattform PO: 38,96%, 206 Sitze
- Recht und Gerechtigkeit PiS: 30,03%, 157 Sitze
- Ruch Palikota RP: 9,94%, 40 Sitze
- Bauernpartei PSL: 8,55%, 30 Sitze
- Bündnis der Linken SLD: 8,19%, 26 Sitze
- Deutsche Minderheit (Mniejszosc Niemiecka; von der Fünfprozentklausel befreit): 1Sitz
- Die Wahlbeteiligung betrug nach Zählung der Staatlichen Wahlkommission PKW 48,63%
Nach diesen Zahlen würden zur Mehrheit 231 Sitze reichen und die PO würde mit der PSL zusammen ohne weiteren Koalitionspartner weiterregieren können..
Der Traum ist also ausgeträumt, die große Mehrheit der Polen wollte nicht in dem Polen aus Kaczynskis Träumen leben, das er in seinem mit großem Medienwirbel präsentierten Buch „Das Polen unserer Träume“ und dem gleichnamigen Film darstellte. Die Polen haben im Gegenteil den wirtschaftlichen Aufschwung in der Regierungszeit von Donald Tusk – Polen ist das einzige EU.Land mit einem sicht- und spürbaren Wirtschaftswachstum – honoriert, auch wenn nicht zuletzt wegen der EU-Finanzkrise einige Reformen auf der Strecke blieben.
Hatte man in Warschau eine spannende Wahlnacht und ein knappes Ergebnis erwartet, versetzte schon die erste von Polens Fernsehsendern verbreitete Prognose Regierungschef Donald Tusk und seine Bürgerplattform PO in euphorischen Jubel. Zwar lagen die ersten Prognosen der verschiedenen Meinungsforschungsinstitute noch ziemlich weit auseinander, doch sahen sie alle Donald Tusk deutlich mit 34,9 bis 39,6% der abgegebenen Stimmen vor der PiS von Jaroslaw Kaczynski, die demnach auf 29,6 bis 30,1% der Stimmen kam. Entsprechend groß war der Jubel im Lager der PO. Pikanterweise waren Kaczynski und Tusk im gleichen Wahlkreis Warschau angetreten. Tusk schlug seinen Widersacher um Längen und erhielt 294 337 Stimmen (35,5%) gegenüber 164 414 Stimmen (19,8%) für Jaros?aw Kaczy?ski (Bezirk Warschau I/19 bei 83% ausgezählter Stimmen). Dritter war dort Janusz Palikot mit 74 254 Stimmen (9,5%).
Die Überraschung dieser Wahl war eigentlich keine mehr, alle Umfragen der letzten Tage vor der Wahl hatten dem Politrebellen Janusz Palikot und seiner neu gegründeten Protestpartei Ruch Palikota RP den sicheren Sprung über die auch in Polen geltende Fünfprozenthürde prognostiziert. Dieser Siege würde einmal als „Wunder ohne Gott“ in die Geschichtsbücher eingehen, meinte Robert Leszczy?ski, der Chef von Palikots Wahlkampfstab. Doch für das Zünglein an der Waage wird es nicht reichen, denn PO und PSL werden mehr, als die für die Mehrheit nötigen 231 Parlamentssitze erreichen. Die PSL hat sich bereits zur Fortsetzung der Koalition bereit erklärt.
Der PiS ist es nur in den fünf östlichen und südöstlichen Woiwodschaften Malopolskie(Kleinpolen), Swietokrzyskie (Heiligkreuz), Podkarpackie (Karpatenvorland), Lubelskie (lublin) und Podlasie (Podlachien) gelungen, die Mehrheit zu behaupten. War der Wahlkampf Kaczynskis bis dahin gut gelaufen, verspielte er ein besseres Ergebnis selbst durch den Rückfall in alte Verhaltensmuster in den letzten Tagen vor der Wahl. Er begann, wieder auf die antideutsche Karte zu setzen, die der PiS seinerzeit den Sieg gegen Donald Tusk im Rennen um die Präsidentschaft bescherte. Da diesmal zogen die Gr0ßmachtvorwürfe Angela Merkel gegenüber bei den Wählern nicht mehr, die er schon in seinem im Wahlkampf erschienenen Buch „Das Polen unserer Träume“ mit dunklen Mächten im Bunde wähnt – gemeint ist die Stasi. Viele polnische Wähler sahen das als eine Entlarvung der Modernisierungsstrategien der Partei an, die nur ein neuer Anstrich für alte Inhalte war. Der Auftritt Kaczynskis am Wahlabend an dem er verkündete, die PiS werde wieder siegen, weil sie im Recht sei, wirkte da fast trotzig.
Sejmmarschall (Parlamentspräsident) Grzegorz Schetyna (PO) kommentierte die Wahl so: „Die Polen haben sich für Voraussehbarkeit, Vernunft und Verlässlichkeit in der Politik ihres Landes entschieden. Der jubelnde Donald Tusk dankte seinen Landsleuten und sieht sich und die Koalition mit der PSL bestätigt. Er sähe seine Politik, die gut für das Land gewesen sei, mit dem Sieg bestätigt. Die Polen hätten zum ersten Mal nach der Wende Kontinuität gewählt.
Erleichterung herrscht in den EU-Nachbarländern Polens, „noch einmal gut gegangen“ ist der Tenor, denn eine zweite Amtszeit Kaczynskis hätte man in der EU mit Grauen entgegen gesehen, zu lebendig ist die Erinnerung an die Kaczynski-Auftritte und Forderungen seiner Amtszeit 2006-2007.
Wie man diesen Sieg in den Geschichtsbüchern einmal nennen wird, ist schon klar: Es ist ein historischer Sieg, denn erstmals ist einer polnischen Nachwenderegierung die Wiederwahl gelungen.
Update Dienstag, 11.10.2011:
Die Bürgerplattform PO von Premierminister Donald Tusk gewinnt auch die Waghlen zum Senat, dem Oberhaus des aus Sejm und Senat bestehenden polnischen Parlamentssystems. Dort wird die Bürgerplattform PO 63 der hundert Sitze einnehmen und damit fast die Zweidrittelmehrheit erreichen. Die PiS wird 31 Sitze erhalten, die PSL 2, die freie Wählergruppierung Bürger für den Senat erhält einen Sitz. Die restlichen vier Sitze gehen an die unabhängigen Kandidaten Wlodzimierz Cimoszewicz, Kazimierz Kutz und Marek Borowski.
Die staatliche Wahlkommission PKW hat die amtlichen Endergebnisse der Sejmwahl vom 9. Oktober verkündet:
- Bürgerplattform PO: 39,18%, 206 Sitze
- Recht und Gerechtigkeit PiS: 29,89%, 158 Sitze
- Ruch Palikota RP: 10,2%, 40 Sitze
- Bauernpartei PSL: 8,36%, 28 Sitze
- Bündnis der Linken SLD: 8,24%, 27 Sitze
- Deutsche Minderheit (Mniejszosc Niemiecka; von der Fünfprozentklausel befreit): 1Sitz
- Die Wahlbeteiligung betrug nach Zählung der Staatlichen Wahlkommission PKW 48,87%
Damit kommt das Regierungslager auf insgesamt 235 Sitze im Parlament, dazu dürfte noch der Sitz der Deutschen Minderheit kommen, die bisher immer mit der Regierung abstimmte. Inzwischen haben Donald Tusk und die PO bereits erste Sondierungsgespräche mit dem bisherigen Koalitionspartner, der PSL aufgenommen. In trockenen Tüchern aber ist das Zustandekommen der Koalition noch nicht.
Lesen Sie mehr über die Wahlen in Polen mit Ergebnissen und Analysen in meinem Artikel:
Parlamentswahl in Polen: Ergebnisse – Analyse – Meinungen
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