Ministerpräsident Donald Tusk und seine Bürgerplattform PO sind in die tiefste Krise seit ihrem Regierungsantritt geschliddert. So tier, dass sogar Präsident Lech Kaczynski seine Pläne ändert und den Lissabon-Vertrag nun zügig unterschreiben will. Vorgesehen war eigentlich eine ganz andere Strategie.
Nach dem „Ja“ der Iren war Kaczynski – wie auch in Polen nicht anders erwartet – von der EU-Kommission und den Partnerländern unter Druck gesetzt worden, nun rasch zu unterschreiben, denn wenn der Vertrag im Januar in Kraft treten soll, wird es nun Zeit. Kaczynski wollte nun erst noch einmal mit Donald Tusk ausknobeln, in wieweit eine weiteres Zögern helfen könnte, in Brüssel sozusagen als kleines „Dankeschön“ den polnischen Wirtschaftsexperten Janusz Lewandowski zum EU-Kommissar zu machen. Diese Idee ist nun geplatzt und der Nebenschauplatz EU wird nun wohl durch Kaczynskis Unterschrift geschlossen. Er hatte ja angekündigt, dass er das Abkommen dann unterschreiben werde, wenn Irland in einer zweiten Volksabstimmung dem Dokument zustimmt.
Die Regierungspartei PO steckt mitten in der größten Krise seit ihrer Gründung. In den letzten Tagen reichten bereits der PO-Fraktionsvorsitzende Zbigniew Chlebowski und Sportminister Miroslaw Drzewiecki im Zuge der sogenannten „Glücksspiel-Affäre“ (afera hazardowa) ihren Rücktritt ein. Nun hat auch Innenminister Grzegorz Schetyna hat seine Demission angeboten.
Allesamt hatten sie Kontakt zu Geschäftsleuten und nahmen in deren Interesse Einfluss auf die Arbeit an einem neuen Gesetz für die Glücksspiel-Branche, waren also Lobbyisten. Mit dem Gesetz sollten Unternehmen die im Glückspiel-Bereich tätig sind zusätzliche Steuern auferlegt werden. Damit sollten dann vor allem Großveranstaltungen wie die EM 2012 mitfinanziert werden. Erwartet wurden dadurch um die 100 Millionen Euro Mehreinnahmen.
Es war die Tageszeitung Rzeczpospolita, die eine wahre Lawine ins Rollen brachte, als sie Mitschriften von Tonbändern der Anti-Korruptionsbehörde CBA veröffentlichte. Die Bänder protokollierten Gespräche zwischen Drzewiecki und Chlebowski und Managern aus der Glückspielbranche. Diese wollten die PO-Politiker dazu beeinflussen, den Passus mit den Zusatz-Abgaben aus dem Gesetz zu streichen. Auf den Bändern gab es seitens der Glückspiel-Vertreter auch Klagen beim Sportminister, dass die Dinge nicht laufen würden, wie gewünscht, Zitat der Rzeczpospolita: “ Dieser Idiot von Finanzminister hat da eine Verordnung unterschrieben, die das Glückspiel ans Kreuz schlägt“. Zwar widersprach Drzewiecki dieser Darstellung, doch musste er zugeben, die Glückspiel-Manager zu kennen, allerdings habe man sich nur bei Sportveranstaltungen getroffen. Seinen Hut musste er trotzdem nehmen.
Immer mehr weitet sich die Affäre zur Regierungskrise aus. Inzwischen fordern die oppositionelle sozialistische SLD und ihr Vorsitzender Grzegorz Napieralski eine lückenlose Aufklärung, denn noch weitere Spitzenpolitiker der PO seien in die Affäre verwickelt. Bei Polskieradio.pl sagte er: „Bei der Vorbereitung des Gesetzesentwurfes über Glücksspiele gab es eine sehr gut organisierte Gruppe von Politikern. Es gibt den Verdacht, dass auch der Innenminister Grzegorz Schetyna sowie der Vizewirtschaftsminister Adam Scheinfeld in die Affäre verwickelt sind. Abhörprotokolle belegen die Kontakte dieser Politiker mit den Lobbyisten der Glücksspielbranche.“ Zur Aufklärung soll nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt werden.
Trotz aller Unschuldbeteuerungen der Betroffenen und Verdächtigten zieht die Affäre immer weitere Kreise, der Radiosender RMF.FM bringt neue Namen ins Spiel: möglicherweise sind auch Justizminister Andrej Czuma und der stellvertretende Wirtschaftsminister Adam Szejnfeld in die Affäre verwickelt. Nicht nur auf die EM 2012 fällt mit der wieder ein Korruptionsschatten, die ganze Regierung Tusk könnte ins Wackeln geraten.
Aktualisierung 7.10.2009, 17:00 Uhr:
Die Tageszeitung Dziennik berichtet, dass die Antikorruptionsbehörde CBA über weitere Materialien verfüge. Die beweisen angeblich, dass auch andere Regierungsmitglieder für Geschäftsleute der Glücksspielbranche gelobbt haben. Diese täglich neuen wilden Spekulationen, vertraulichen Mitteilungen und Spitzen aus dem Haus der Antikorruptionsbehörde CBA ist Regierungschef Tusk nun Leid. Er geht in die Offensive und „zieht in den Krieg mit der PiS“ (wie es die Gazeta Wyborcza formuliert), der Partei des Präsidenten Kaczynski und die von der PiS dominierte CBA.
Die Internetseite der Bürgerplattform PO verbreitet eine Meldung unter dem Titel „Vetrauen geht über alles“. In dieser Verlautbarung teilt Premierminister Donald Tusk mit, dass folgende Minister das Kabinett verlassen werden:
- Vizepremier und Innenminister Grzegorz Schetyna
- Justizminister Andrzej Czuma
- Vize-Wirtschaftsminister Andrzej Szejnfeld
- Die Minister in der Kanzlei des Ministerpräsidenten:S?awomir Nowak, Rafa? Grupi?ski und Pawe? Gra?
Auch Mariusz Kami?ski , der Chef der Antikorruptionsbehörde CBA muss gehen. Er hatte die Abhörbänder der Gespräche an die Presse gegeben und die Glückspielaffärein die Öffentlichkeit gebracht, statt Premier Tusk zu informieren. Tusk wirft dem CBA-Chef Amtsmissbrauch vor, er habe weder im Rahmen des Gesetze noch im öffentlichen Interesse gehandelt. Dadurch habe er jegliches Vertrauen in Kami?ski verloren. Das Amtsenthebuingsverfahren wird Tusk durch den Beginn eines Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft erleichtert.
Die CBA wurde 2006 vom damaligen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der rechten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, geschaffen. Der Zwillingsbruder des Präsidenten Lech Kaczynski ist ein erbitterter Gegner von Premierminister Tusk.
Es ist ein offenes Geheimnis in Polen, dass Donald Tusk im Herbst 2010 bei der Präsidentenwahl antreten wird, bei der er den Amtsinhaber Lech Kaczynski schlagen könnte. Das Odeur der Korruption könnte aber seine derzeit als gut einzuschätzenden Aussichten stark trüben.
Aktualisierung 7.10.2009, 19:20 Uhr:
Donald Tusk hat angekündigt, die neuen Minister erst in der nächsten Woche zu ernennen. Mit etwas Verspätung beginnen auch deutschsprachige Medien für das Thema zu interessieren. Der österreichische Standdard hat auch einen griffigen Namen für die Affäre gefunden: „Blackjack-Gate“.
Aktualisierung 8.10.2009, 10:20 Uhr:
Die polnische Glückspielaffäre könnte als Lehrstück dafür dienen, wie man aus der Opposition heraus und mit Unterstützung des Präsidenten mit dessen starker Position in einer Präsidialverfassung den Sturz einer Regierung betreiben kann. Allzu offensichtlich sind das politische Intrigenspiel und die gezielte Indesrektion des oppositionstreuen CBA-Chefs, die eine gewaltige Affäre ins Rollen brachte. Doch was als kleine Aktion begann hat sich zur Lawine entwickelt und ist nun auch von der PiS-Opposition der Kaczynski-Brüder schwer zu kontrollieren.
Zumindest hat Donald Tusk mit seinem beherzten gestrigen Zugreifen die Handlungsfähigkeit zurückgewonnen. Der Rundumschlag verschafft ihm zumindest kurzzeitig Ruhe und die Zeit unbelastete Nachfolger zu finden.
Dabei ist es äußerst hilfreich für Tusk, dass Polens oberster Antikorruptionswächter selbst nicht unbelastet ist. Die Staatsanwaltschaft hat eoin Verfahren gegen Kaminski eingeleitet, indem dem CBA-Chef Machtmissbruch vorgeworfen wird. Obendrein soll er seine Mitarbeiter 2007 angewiesen haben, Dokumente zu fälschen und Bestechungsgelder zu zahlen.
Was die politische Zukunft der PO betrifft, steht die Partei am Scheideweg und steckt in einer tiefen Zerreissprobe. Doch der „Kalte Krieg“ in der Partei, wie die Rzeczpospolita“ es nennt, muss schnell ebendet werden, denn wenn Tusk als starker Mann der Partei im nächsten Jahr tatsächlich ins Präsidentenamt wechselt, könnte sonst ein gefährliches Vakuum entstehen.
Die Querelen haben dem Ansehen der Bürgerplattform geschadet. Das Meinungsforschungsinstitut GFK Polonia sieht für die regierende Platforma Obywatelska (PO) Verluste an Wählern. Würden die Parlamentswahlen jetzt stattfinden, bekäme die POmit 42% rund 5% weniger Stimmen, als noch vor zwei Monaten. Die oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit PiS liegt bei 29%, was einem vierprozentigen Anstieg entspricht. Ein erster Schritt dem entgegenzuwirken könnten die Amtsenthebung Kaminskis und die Bestechungsvorwürfe sowie der Vorwurf des Missbrauchs des Amtes zur Bekämpfung politischer Gegner der PiS gegen ihn sein.
Aktualisierung 9.10.2009, 16:15 Uhr:
Die Glückspielaffäre dominiert auch heute die Schlagzeilen in Polens Medien. Dabei zeigen die Kommentatoren sich beeindruckt von Tusks beherztem Eingreifen, sehen den Zeitpunkt allerdings gerade noch als „fünf vor zwölf“ an, denn Tusk begann in der Gunst der Wähler deutlich zu sinken.
Die Entscheidungen des Ministerpräsidenten seien zielsicher, radikal,aber auch riskant, schreibt die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“. Donald Tusk habe die Krise damit aber wieder unter Kontrolle bekommen.
Es sei höchste Zeit Kabinettsumbildung durchführe, schreibt der Dziennik. Schade sei es aber, dass sich der Regierungschef erst jetzt dafür entschieden habe, als die sinkenden Umfrageergebnisse den Anstoß dazu gaben. Der Sinkflug in der Popularität sei jedoch nicht nur Ergebnis der letzten Korruptionsaffäre. Wenn man sich erinnere, was die wirtschaftsliberale Regierung Tusk den Bürgern versprochen habe, dann verdiene die Bürgerplattform PO schlechte Noten.
Der Kleinkrieg zwischen Premier und Präsident geht weiter, so will Tusk nur noch bis zum Wochenende auf eine Stellungnahme Kaczynskis zur Amtsenthebung des CBA-Chefs Kaminski warten, am Montag fiele die Entscheidung, wie er in der Angelegenheit vorgehen werde, berichtet ebenfalls Newsweek.pl.
Einig sind alle Beobachter sich darin, dass Tusk hart durchgreifen musste, um seine Chancen für die Präsidentenwahl 2010 nicht schwinden zu sehen, bei der er gegen Amtsinhaber Kacuynski antreten will.
Das Meinungsforschungsinstitut GfK Polonia ermittelte bei der Umfrage vom 7. Oktober dass Tusks Konkurrent Cimoszewicz derzeit mit einem Prozentpunkt vorn läge, für ihn würden 38 % der Befragten stimmen, für Tusk nur 37% berichtet Newsweek.pl.
Inzwischen stehen die ersten Neubestzungen fest: Grzegorz Schetyna, der zurückgetretene Innenminister wird neuer Chef des Klubs der PO, das heißt auf deutsche Gepflogenheiten umgemünzt, er wird Frktionsvorsitzender der Regierungspartei PO. Schetyna, der als Intimus von Tusk gilt, erhält damit eine der einflussreichsten Positionen im Machtgefüge der Regierung. Die Entscheidung fiel auf dem um 14 Uhr begonnenen Sitzung der PO, die Tusk selbt leitete. Er schwor die Fraktion aufden Kurs ein, die innerparteilichen Querelen und die Gefahr sei damit abgewendet und die Bürgerplattform würde sich nun im Parlament wieder in den „Krieg“ mit der PiS der Kaczynski-Brüder stürzen, berichtete die Gazeta Wyborcza auf wyborcza.pl . Die drei entlassenen Minister im Kanzlermat Pawe? Gra?, Rafa? Grupi?ski i S?awomir Nowak sind nun stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
„Wir müssen unnachsichtig gegen und selbst sein, nicht den Konkurrenten gegenüber, wir müssen unnachsichtig gegen das Böse sein, was wir in unserer Nähe sehen und in uns selbst“, gab der Parteivorsitzende Tusk den Mitgliedern mit auf den Weg.