Polen: Verfassungsstreit zum Verfassungstag – 240.000 demonstrieren

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Verabschiedung der polnischen Verfassung am 3. Mai 1791, Foto: Gemälde von Kazimierz Wojniakowski, gemeinfrei

Verabschiedung der polnischen Verfassung am 3. Mai 1791, Foto: Gemälde von Kazimierz Wojniakowski, gemeinfrei 

Eigentlich macht erst der polnische Nationalfeiertag am 3. Mai die „majowka“ das erste Maiwochenende erst so richtig rund, ergibt sich doch durch den Brückentag ein schönes langes Wochenende, das gern für Ausflüge, Verwandtenbesuche und Kurzurlaube genutzt wird.

Die unbekannte erste moderne Verfassung Polens

Dieser polnische Nationalfeiertag hat einen im Ausland vielfach unbekannten Hintergrund. Es ist der Verfassungstag, der Tag, an dem Europas erste moderne Verfassung gefeiert wird. Wie jetzt, die erste Verfassung? War das nicht die französische Verfassung?

Nein, tatsächlich wurde diese polnische Verfassung bereits am 3. Mai 1791 in Warschau vom polnisch-litauischen Sejm verabschiedet und vom König verkündet, die französische Verfassung folgte erst am 3. September 1791. Der 3. Mai 2016 war also das 225. Jubiläum dieses großen Tages, der seit 2007 auch in Litauen Nationalfeiertag ist. Es war eine Verfassung, die erstmals die überstarke Stellung des Adels minderte, der damals in Polen die „staatstragende Schicht“ stellte, ein Bürgertum mit bürgerlichen Idealen begann sich zu jener Zeit in Polen-Litauen erst herauszubilden.

Diese Verfassung entstand in schweren Zeiten. Spätestens seit der ersten Teilung Polens 1772 wuchsen die Begehrlichkeiten der Nachbarn Preußen, Russland und dem Habsburger Reich immer weiter, der Druck wurde immer stärker.

Mit ihrem Liberum Veto (jede einzelne Stimme konnte einen Beschluss verhindern) verfiel die polnisch-litauische königliche Republik (Rzeczpospolita) immer mehr und wurde zum Spielball der Interessen ihrer übermächtigen Nachbarn. Es kam zu Konföderationen, adligen Bündnissen gegen die Staatsführung, und es war unmöglich die Partikularinteressen der Magnaten zu neutralisieren oder ihre verbrieften „Goldenen Freiheiten“ zu beschränken.

König Stanislaw II. August Poniatowski war Polen von Geburt und 1764 auf Druck Russlands zum König gewählt worden Er war zuvor ein langjähriger Liebhaber von Zarin Katharina der Großen. Doch funktionierte er nicht wie erwartet als Befehlsempfänger der Zarin, sondern versuchte sich an Reformen. Der „Vierjährige Sejm“ von 1788 und 1792 nährte Hoffnungen, denn hier waren die Gegner einer weiteren Anlehnung an Russland in der Mehrheit, auch zeigte sich Preußen abwartend und nicht ohne Wohlwollen. So war erstmals eine Basis für Reformen und die Ausarbeitung der Verfassung möglich, die am 3. Mai 1791 vom König verkündet wurde. Sie war in verzweifelter Lage der letzte Versuch polnischer Reformkräfte, die Unabhängigkeit des polnisch-litauischen Staates zu retten.

Die Verfassung von 1791 gilt als Meilenstein der Geschichte Polens, denn sie beinhaltete eine Reihe von fortschrittlichen Reformen und ein System der konstitutionellen Monarchie. Das Wahlkönigtum wurde abgeschafft und damit eine Quelle der Korruption. Die freie polnische Nation sollte sich selbst Gesetze geben und Behörden sowie die Beamtenschaft kontrollieren. Man war damit auf dem Weg zur Volkssouveränität und auch das sich bildende Bürgertum war als dritter Stand erstmals berücksichtigt. Doch blieb diese Verfassung nur 14 Monate lang in Kraft. Nur vier Jahre später beendet die Dritte Teilung Polens im Jahr 1795 die staatliche Existenz Polens für 123 Jahre. Die übermächtigen Nachbarn Russland, Preußen und Österreich-Ungarn verleibten sich die königliche Republik Polen-Litauen ein. Die polnische Verfassung sahen sie als Bedrohung ihrer zwar aufgeklärten, aber immer noch absolutistischen Herrschaft an.

Immer war diese Verfassung von 1791 ein Symbol der Hoffnung auf einen eigenen, unabhängigen Staat. Deshalb reagieren die Polen auch besonders sensibel, wenn jemand an ihrer Verfassung kratzt.

Demonstration für Verfassung und EU

Warschau erlebte am Samstag, den 7. Mai die größte Massendemonstration nach der politischen Wende. 240.000 Menschen sollen es gewesen sein, meldete die Warschauer Stadtverwaltung, die Polizei wollte diese Zahl nicht bestätigen.

Organisiert hatte diese Demonstration das Komitee zur Verteidigung der Demokratie KOD. Mit dabei war auch die vereinte politische Opposition von der liberalen Nowoczesna über die Bauernpartei PSL bis hin zur Linken. Gemeinsam wurde für die EU und eine Verteidigung der polnischen Verfassung demonstriert, gegen die Gesetzesänderungen der nationalkonservativen PiS-Regierung, die das Verfassungsgericht praktisch lahmlegen, sowie gegen das neue Mediengesetz. Unter den Demonstrierenden befanden sich auch Polens Ex-Präsident Bronislaw Komorowski und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller.

Ex-Präsident Komorowski erklärte, die Menschen seien versammelt, weil sie an polnisches Recht, an die polnische Freiheit und gemeinsames Handeln in der EU glaube. Auch Polens Ex-Außenminister und Vorsitzender der liberalkonservativen Ex-Regierungspartei  Bürgerplattform (PO) Grzegorz Schetyna demonstrierte mit. Er erklärte den Medien gegenüber, man sei zusammengekommen, um deutlich zu machen, dass man den „Albtraum einer autoritären Regierung nicht zulasse“. Man stehe am Anfang eines langen Marsches und habe einen langen Atem, betonte Schetyna

An einer Gegendemonstration von Nationalisten, die sich gegen Polens EU-Mitgliedschaft richtete, beteiligten sich nur rund 2.500 Menschen, teilte die Stadtverwaltung von Warschau mit.

PiS: Reform der Verfassung angekündigt

Passend zum Verfassungstag kündigte am Vortag Polens graue Eminenz der Politik, der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski seine nächstes politisches Ziel an: Er will die polnische Verfassung ändern. Nach fast 20 Jahren – die derzeitige Verfassung wurde 1997 in Kraft gesetzt – sei es nun an der Zeit. Die Verfassung müsse alle zwanzig Jahre überprüft werden, verkündete er während einer Parlamentssitzung, die zu einem Zeitpunkt stattfand, als halb Polen zum verlängerten Wochenende im Kurzurlaub waren. Auch der polnische Präsident Andrzej Duda befürwortete am Verfassungstag in seiner Rede im Königsschloss die Überprüfung der Verfassung, für die eine „neue Lösung“ gefunden werden müsse.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1605 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".