Polen und der Staatsumbau der PiS

Hintergrundartikel über Kaczynskis Denkweise, Missverständnisse, andere Sichtweisen und Partnerschaften auf dem Prüfstand.

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Jaroslaw Kaczynski und Beata Szydlo

Jaroslaw Kaczynski und Beata Szydlo,

Es war zu befürchten. Nach dem Austausch der kompletten Geheimdienstführung, der Entmachtung des Verfassungsgerichts wurde in der Weihnachtszeit, als die Menschen mit sich, ihren Familien und dem Fest beschäftigt waren, peitschte die mit absoluter Mehrheit regierende nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit PiS ein neues Mediengesetz durch, das die PiS-Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien garantiert.

Kaczynski hat Sendungsbewusstsein und brennt für das, was er tut. Seine Wurzeln, liegt wie die vieler polnischer Politiker in der Solidarnosc-Bewegung. Freiheit für ihn ist die Freiheit Polens, die Souveränität, die mit viel patriotischen Aufwallungen immer zuerst kommt und mit Zähnen und Klauen zu verteidigen ist. Ein solches Polen schafft für eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Polen die Verbindung zu ihren eigenen seit Generationen überlieferten Wertvorstellungen. Und so kann sich Kaczynski leicht als der Mann positionieren, der die Polen von den „Fehlentwicklungen“ in ihrer Gesellschaft befreit und die Gesellschaft so genesen lässt. Diese Denkweise ist den Polen aus der Vorkriegszeit unter Pilsudski bekannt, der mit seiner Sanacja, der Genesung ähnliche autokratische Ziele hatte. Für Kaczynski sind die regierenden Politiker der Nachwendezeit allesamt korrupte Vertreter eines postkommunistischen Systems, dass den von der Solidarnosc erkämpften Sieg verraten hat und falsche Entscheidungen traf. Insofern ist der heutige Staatsumbau durch die PiS-Regierung keine Rolle rückwärts, sondern eine auf der Geschichte, Kultur und Religion Polens beruhende Bewegung in die Zukunft, hin zu einem „wahren Polen der Polen“. Das aber geht vielen Polen entschieden zu weit. Das gilt vor allem für Kaczynskis Verständnis, dass er ja nur den Wählerwillen umsetzt. Dabei schreckt er nicht vor der Beschränkung demokratischer Kontrollorgane wie des Verfassungsgerichts und in der Konsequenz der Ausschaltung einer unabhängigen Rechtsprechung zurück. Eine unabhängige Justiz und die strenge Wahrung der Trennung zwischen Legislative und Judikative aber sind Grundprinzip jeder Demokratie. Was Demokratie und ein demokratischer Rechtstaat sind, entscheidet in Polen aber nach Kaczynskis Weltsicht die jeweilige Regierung.

Wie es bei erfolgreichen friedlichen Umstürzen oft so ist, führte eine breite Koalition oppositioneller Kräfte unter dem Dach der Solidarnosc zum Erfolg von 1989. Dass diese Koalition noch am Tag des Siegs zerfällt, ist auch meistens so, denn dann treten wieder die Partikularinteressen wieder in den Vordergrund. Und so zerfiel auch die polnische Oppositionsbewegung. Von Anfang an litt Polen für nationalkonservative Kreise wie die um die Kaczynskis an Fehlentwicklungen. Auch Jaroslaw Kaczynski wollte von Beginn an ein starkes Polen, das von starken spezifisch polnisch-katholischen Wurzeln und aus seiner leidvollen Geschichte heraus als Nation des reinen Opfers geprägt war. Und diesem Polen war Europa etwas schuldig, starben Polen doch auch für ganz Europa, war der Christus unter den Völkern. Daraus entsprangen einige offene Rechnungen, die man sowohl Russland als auch Deutschland präsentierte. Dazu gehörte auch Katyn. Aus diesem Weltbild heraus war die Verschwörungstheorie um den Absturz der polnischen Präsidentenfamilie bei Smolensk im Jahr 2010 fast schon zwingend, denn dem postsowjetischen Russland traute man wiederum aus der Geschichte heraus betrachtet ohnehin nichts Gutes zu. Die Phobie gegen alles Russische und Deutsche aus dem leidvollen Erfahrungen der Geschichte heraus konnten für Kaczynski auch die Erfahrungen einer guten Nachbarschaft zu Deutschland nicht ändern. Das Misstrauen blieb und bei der kleinsten Kleinigkeit wurde und wird von Kaczynski das Bild und langlebige Stereotyp des bösen Deutschen aus dem Hut gezaubert.

Im Westen nahm man Polen als ein zunehmend modernes, sich in atemberaubendem Tempo entwickelndes und westlichem Lebensstil mehr und mehr anpassendes Land mit einer immer weltoffeneren Bevölkerung wahr. Doch wie uns die aktuelle Entwicklung zeigt, gilt das nur für etwa die Hälfte der Polen. Die andere Hälfte will gar nicht in einem solchen Land leben und vermisst „sein Polen“ mit den traditionellen Denkmustern und Geschichtsbildern, ein Land der Polen, ohne Migranten und ethnisch sowie religiös homogen strukturiert. Auch das aber gehört zu den Brüchen und Umbrüchen einer Gesellschaft, die seit nunmehr mehr als 25 Jahren in der Transformation steckt, einer Gesellschaft, in der ein großer Bevölkerungsteil Angst auch vor Identitätsverlust hat.

Die Nachwendepolitik liberalerer Regierungen löste die mentale Sicherheit polnischer Prägungen, Geschichtsbilder und Traditionen immer mehr auf zugunsten eines modernen, westlichen Lebensstils und durch die EU-Mitgliedschaft von der Annahme gemeinsamer europäischer Normen und Werten. Das führte dazu, dass Eltern und Großeltern in der Provinz mit ihren in der als großes Vorbild dargestellten boomenden Hochglanzmetropole Warschau lebenden Kindern und Enkeln nicht mehr die gleiche Lebenswelt hatten. Die Nachwendezeit brachte für viele Polen eine gewisse Atemlosigkeit mit sich, man musste sich auf einen permanenten Wandel einstellen, das kannten die Polen zuvor nicht und man gönnte ihnen keine Atempause, in der mehr Zeit für gesellschaftliche Diskurse gewesen wäre. Statt dessen stolperten etliche Nachwenderegierungen von Affäre zu Skandal und die Politikerkaste erschien immer mehr Polen als durch und durch korrupt.

Jede Abgabe auch nur des kleinsten Stückchens polnischer Souveränität an die EU führt so schnell zu alten Ängsten und Stereotypen in der alle Deutschen nach wie vor als Gefährdung Polens und immer bereit zum Ostlandritt dargestellt werden. Das trifft die Deutschen, und besonders die deutschen Politiker und Journalisten, die sich immer für eine Verständigung mit Polen eingesetzt hatten und versuchten, eben solche polnischen Ängste aus der Geschichte heraus zu erklären.

Und Donald Tusk, der in Deutschland und der EU so geschätzte EU-Ratspräsident und ehemalige polnische Premier verkörpert für viele Polen die EU, von der man sich dominiert fühlt, und das nicht erst seit der Wahl. Nur brachen nach dem PiS-Wahlsieg die Dämme einer gewissen „political correctnes“ die ein Still- und Mundhalten wegen der riesigen EU-Netto-Zuwendungen von 60 Mrd. Euro – Polen ist größter Nettoprofiteur – empfahl. Nur kam und kommt von diesem Geld im Portemonnaie des Bürgers nicht viel an. Zwar konnte er auch in der Provinz überall sehen, wo das Geld blieb, nämlich in schicken Fontänen, Amphitheatern, Sportstadien, Schwimmhallen und besseren Straßen, doch weder die Jugendarbeitslosigkeit (besonders unter den Hochgebildeten), die vielen prekären Arbeitsverhältnisse, die als maximal auf ein Jahr begrenzte Vertragsverhältnisse selbst die kargen Mindestlöhne noch umgehen. Sie haben einen Rattenschwanz von Folgen, nämlich die Unmöglichkeit bei den Eltern auszuziehen, denn keine Bank gibt auf diesem unsicheren Hintergrund für den Wohnungskauf einen Kredit, in einem Wohnungsmarkt, dessen Prinzip Wohneigentum heisst. Auch die Familiengründung ist so unmöglich. Wer unter den jungen Menschen Polens kann, wandert aus, in den letzten Jahren stieg diese Arbeitsmigration auf zwei Millionen Menschen. Auch das hat wiederum einen ganzen Rattenschwanz von Folgen. Dazu hat es bisher keine Regierung geschafft, eine belastbare und sichere Rentenreform oder eine Krankenversicherung zu installieren, die medizinische Leistungen unabhängig von exorbitanten Privatzahlungen garantiert.

Eine Reihe von Missverständnissen hat sich mehr oder minder unausgesprochen und zuweilen auch bewusst geschürt zwischen Polen, den EU-Partnern und Nachbarn aufgebaut. So war das Gefühl von der Gängelung durch die EU unterschwellig oder latent immer vorhanden. Sprüche wie „Was ihr (Deutschen) im Krieg mit Waffen nicht geschafft habt, schafft ihr jetzt mit Eurem Geld“ wurde spätestens seit dem letzten Jahr wieder laut im Land. Wenn von der EU gesprochen wurde, meinte man Deutschland, denn nach dem Empfinden war Deutschland die EU. Längst hatte der kleine Mann auf der Straße Gefallen am Ungarn Viktor Orban gefunden, der es der EU mal so richtig zeigte. Längst hatte die regierende Bürgerplattform PO zuerst unter Donald Tusk und dann unter Ewa Kopacz von diesem Empfinden vieler Polen weit entfernt, ja nahm es nicht einmal war. Man „schaute dem Volk nicht mehr aufs Maul“, als man Regierungsprogramme entwarf, und nahm die unterschwellige Unzufriedenheit der Basis überhaupt nicht wahr. Die PiS hingegen war wach, nahm das alles wahr und handelte entsprechend. Man hielt sich verbal zurück und holte die Polen dort ab, wo sie mit ihren Alltagssorgen waren.

Was tut das Wahlvolk allgemein auch in anderen Ländern gern in solcher Lage? Man wählt populistisch und rechts. Das aber ist eigentlich ein gesamteuropäisches Phänomen, denkt man an Marine Le Pen in Frankreich oder Viktor Orban in Ungarn.

Die europäischen Reaktionen von Martin Schulz, Jan Dijsselbloom, Günther Oettinger oder Jean Asselbloom zeigen auch die Verstörtheit gegenüber Polen, das bis zur Wahl als der Musterknabe der Beitrittsländer von 2004 galt. Auch persönliche Enttäuschungen sind nicht zu übersehen. Natürlich gibt das EU-Gesetzeswerk Raum für Sanktionen Polen gegenüber her. Brüssel wird sich am 13. Januar mit dem neuen polnischen Mediengesetz und der Umgestaltung des Verfassungsgerichts befassen. Sollte Polen die Gesetze nicht rückgängig machen, wäre es nach Artikel sieben des EU-Vertrags möglich, dem Land beispielsweise die Stimmrechte im Europäischen Rat und bei Gipfeln zu entziehen. Doch sollte man in Brüssel gut überlegen, ob man gleich schwere Geschütze auffahren will und damit zumindest teilweise das Gleichheitsgebot verletzt, denn gegen Viktor Orban beispielsweise, dem erklärten Vorbild Jaroskaw Kaczynskis, wurde bisher nichts unternommen.

Ernstzu nehmen ist innerhalb der EU ist auch das Erstarken der Visegrád-Gruppe (V4), zu der seit 1991 die Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn gehören. Alle vier Länder sehen sich innerhalb der EU- und NATO-Strukturen in ihren Ängsten vor befürchteten russischen Aggressionen nicht ausreichend Ernst genommen. Daher stellt die Gruppe seit Jahresbeginn eine gemeinsame EU-Eingreiftruppe mit 3.700 Soldaten auf. Ganz nebenbei stellte die V4 sich äußerst selbstbewusst vor, und zeigt, was für einen bedeutenden Teil Europas die Gruppe repräsentiert, nämlich flächenmäßig die Nummer 2, bevölkerungsmäßig die Nummer 4, und mit dem Bruttoinlandsprodukt die Nummer 5.

Wie soll man nun Polens Zukunft sehen? Diese Regierung wird dem Land und den Polen schaden, die versprochenen sozialen Wohltaten allein des Kindergelds, der freie Krankenfürsorge für alle Polen über 75 Jahren und der Rückführung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre wären unbezahlbar. Die Sondersteuer für die internationalen Firmenkonsortien wie der Supermarktketten und die Sondersteuer für Banken und Versicherungen wird keine überragenden Summen in die öffentlichen Kassen spulen aber ausländische Investitionsansiedlungen in Polen eher verhindern. Dazu werden die Banken die Kosten auf ihre Kunden umlegen, was zu einem Abbremsen polnischen Konsumlust führen wird. Auch die Börse in Warschau verzeichnet bereits einen Einbruch der Aktienkurse um fast 30%.

Die Zeche zahlen die Polen selbst, vielen dämmert das auch. Immer mehr Polen sind daher von dem politischen Geschehen entsetzt und organisieren sich zivilgesellschaftlich. Ein gewisser Katzenjammer zieht ein, das hat man dann doch nicht gewollt.

Wenn man als Deutscher mahnend daherkommen sollte, dann allenfalls hiermit: Realität ist und bleibt nämlich, dass 39% der an der Wahl teilnehmenden wahlberechtigten Polen die PiS gewählt haben, ein weiterer Teil von 8,8 % wählte den rechtsnationalistischen Populisten Pawel Kukiz. Er hat 42% der jungen Polen zwischen 19 und 29 Jahren für sich gewonnen. Das zeigt erstmals in einem so großen Land, wie brisant in den Auswirkungen das Protestwählen sich auswirken kann und wie gefährlich es ist, wenn so große Teile des Wahlvolks für sich keine Alternative sehen und der Wahl fernbleiben. Polen könnte sich in eine Richtung entwickeln, bei der am Ende wie selten zuvor irgendwo die Wahlberechtigten eines Landes selbst so für ihr Verhalten abgestraft werden.

Doch man kann sich über Polen sorgen, muss es wohl sogar, aber noch ist Hoffnung: Jeszcze Polska nie zgin??a, Kiedy my ?yjemy … Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben …

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1605 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".