Abhöraffäre: Massenrücktritt in der polnischen Regierung

Kopacz und die regierende PO in Nöten

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Polens MinisterpräsidentinEwa Kopacz, Foto: Jaroslaw Roland Kruk / Wikipedia, licence: CC-BY-SA-3.0

Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz, Foto: Jaroslaw Roland Kruk / Wikipedia, CC-BY-SA-3.0,

Für Polens Regierungschefin, die auch Parteivorsitzende der regierenden Bürgerplattform (Platforma Obywatelstwa PO) ist, wird die Luft dünner. Nach der Schlappe bei der Präsidentenwahl im Mai, als der als im Volk beliebt angesehene amtierende Präsident Bronislaw Komorowski aus dem PO-Lager nicht wiedergewählt wurde, folgt nun eine weitere Katastrophe für die Regierungspartei: Der Parlamentspräsident, sechs Minister und Vize-Minister, sowie weitere Spitzenpolitiker traten am Donnerstag von ihren Ämter zurück.

Auslöser dieser neuerlichen Krise war eine Abhöraffäre, die im Sommer 2014 aufgedeckt wurde und seitdem vor sich hin köchelt. Damals wurden in zwei Warschauer Restaurants private Gespräche von rund 70 Personen auf – wie bisher bekannt ist – 28 Kassetten mitgeschnitten und ein Teil vom Politmagazin Wporst veröffentlicht. Unter den Belauschten waren alle jetzt zurückgetretenen Politiker. In den Gesprächen ging es vornehmlich um Kungeleien mit Lobbyisten. Empörend fanden die Polen die Art und Weise, in der sich selbst auf dem offiziellen Parkett so alerte und eloquente Politiker wie der damalige Außenminister Sikorski ausgedrückt hatten. Erschreckend fand auch Jan Kowalski – der polnische Otto Normalverbraucher – das Sprachniveau mit den vielen k- und h-Worten sowie die ungeschminkte Sicht auf das Volk als nicht viel mehr als ein Pöbel. Entlarvend fanden viele Polen auch Äußerungen von Sikorski, dass die polnisch-amerikanischen Beziehungen einen Dreck/Bullshit wert sein.

Seit Bekanntwerden köchelte die Krise ein Jahr lang vor sich hin. Am Dienstag aber platzte die Bombe. Am Montagabend publizierte der vorbestrafte Gebrauchtwagenhändler Zbigniew Stonoga 13 Dateien mit Ermittlungsakten aus den laufenden Untersuchungen der Staatsanwaltschaft. Am Dienstagmorgen waren schon über 2.000 Dokumente öffentlich im Internet auf Stonogas Facbook-Seite einsehbar, darunter auch Mitschriften von Zeugenaussagen und ihre privaten Daten sowie die vollen Namen potentieller Verdächtiger. Die Facebook-Fanpage „Gazety Stonoga“ und das ursprüngliche Profil von Stonoga sind inzwischen von Facebook blockiert worden.

Premierministerin Ewa Kopacz kündigte die Rücktritte am Mittwoch am späten Nachmittag in einer Pressekonferenz an. Zurück traten der Sejm-Marschall Radoslaw Sikorski, Gesundheitsminister Bartosz Alukowicz, Schatzminister Wlodzimierz Karpinski und Sportminister Andrzej Biernat. Seine Demission reichte weiter Jacek Rostowski ein, Regierungsberater und Ex-Finanzminister, der sein Ministeramt bereits zu Beginnder Affäre eingebüßt hatte . Auch Jacek Cichocki trat von seinem Amt als Koordinator der Nachrichtendienste zurück, bleibt aber Chef der Kanzlei der Premierministerin.

Die vakanten Posten sollen nun wohl am Montag neu besetzt werden. Ministerpräsidentin Kopacz strebt auch die Entlassung des für die Abhöraffäre zuständigen Generalstaatsanwalts Andrzej Seremet an. Sie begründete dies mit der Feststellung, Seremet habe ihr nicht schlüssig begründen können, wie es möglich war, dass vertrauliche Daten aus seinem Verantwortungsbereich so einfach und in solchen Massen auf Facebook landen konnten. Entlassen werden aber kann Seremet nur vom polnischen Präsidenten.

Das achte Regierungsjahr könnte für die Bürgerplattform auch das letzte sein. Polen steht kurz vor dem Beginn eines heißen Wahlkampfs zu den Parlamentswahlen im Oktober. Dabei gerät die PO immer mehr unter Druck. Die Abwahl des aus der PO stammenden amtierenden Präsidenten Bronislaw Komorowski läutete einen regelrechten Absturz der PO ein. Man spielte auf die gewonnene Rolle Polens als inzwischen wichtigen Partner in der EU mit prosperierender Wirtschaft.

Doch bei Otto Normalverbraucher in Polen kommt dieser Aufschwung nicht an. Er sieht eine atemberaubend schnelle Veränderung fast aller Städte, ein schickes, modernes Polen. Doch modern bedeutet nicht Wohlstand für alle. Junge Leute – auch und gerade die Hochqualifizierten – hangeln sich von Einjahresvertrag zu Einjahresvertrag und verlieren wertvolle Jahre für ihre Rentenanwartschaften. Sie finden obendrein keine Wohnung, denn in Polen gibt es weit überwiegend nur Wohnungseigentum. Keine Bank der Welt aber vergibt einen Kredit an Arbeitnehmer mit Jahresverträgen. Viele dieser Hochqualifizierten sehen ihr Heil daher in der Auswanderung – Polen zahlt für die teuren Ausbildungen, die nun anderswo genutzt werden. Viele Familien haben Probleme mit dem sehr niedrigen Steuerfreibetrag.

Im Gesundheitswesen gibt es viele Leistungen nur auf Privatzahlung, besonders teure Untersuchungen wie die Computertomographie sind, wenn es schnell gehen soll, nur mit Privatzahlungen zu haben. Auch einfache Facharztuntersuchungen gibt es zum Nulltarif nur mit Wartezeiten von nicht selten fünf Monaten. Auch die Renten sind ein großes Thema für den kleinen Mann in Polen, die Heraufsetzung des Rentenalters trifft Frauen besonders und eine stabile Höhe der monatlichen Rentenzahlung ist das, was den Mann und die Frau auf der Straße interessiert. Im Ganzen fühlen viele dieser Polen sich um die Teilhabe am wachsenden Wohlstand betrogen.

Das hat die nationalkonservative Opposition Recht und Gerechtigkeit PiS rechtzeitig erkannt und die Präsidentenwahl mit ihrem bis dahin völlig unbekannten Kandidaten Andrzej Duda gewonnen. Weiter entschied sich jeder vierte polnische Wähler für den Pop-Musiker Kukiz, der weder ein Programm noch irgendwelche politikfähige Ideen hat. Diese Wähler sind die polnische Variante der deutschen Wutbürger. Sie wählten Kukiz aus einem einzigen Grund: Er steht außerhalb des politischen Systems in Warschau, dass der kleine Mann abseits der Hochglanzwelt als durch und durch korrupt ansieht.

Das alles hat die Bürgerplattform nicht erkannt. Sie hat den Durchschnittspolen also nicht dort abgeholt, wo er sich heute mit seinen Problemen befindet. Durch die neuerliche Schlappe und die Rücktritte wird der Verlust an Glaubwürdigkeit nicht ausgeglichen. Wegen der Zurückhaltung des PiS-Chefs Kaczynski erschien die PiS vielen Polen plötzlich wählbar. Spricht man mit Jan Kowalski in der Provinz, trifft man selbst in einer PO-Hochburg wie der Woiwodschaft Ermland-Masuren immer mehr auf diese Erklärung: „Wissen Sie, nicht nur ich, sondern ganz viele hier haben immer wieder – manchmal zähneknirschend – die PO gewählt, weil wir Angst vor der PiS hatten.“

Tatsächlich war das eine der Erfolgsstrategien der PO: Das An-die-Wand-malen des Schreckgespenstes der Doppel-Kaczynskizeit mit Lech als Präsident und seinem Zwillingsbruder Jaroslaw als Premier. Mit Leuten wie Duda als Gegenkandidaten wird das so einfach nicht gehen. Da nimmt man in der Provinz eher das Smolensk-Denkmal vor dem Präsidentenpalast in Kauf, wenn eine Regierung an die Macht kommt, die sich für die Probleme von Jan Kowalski interessiert. Dann kann man hoffen, dass Kaczynski möglicherweise sogar über kurz oder lang von einer neuen Politikergeneration verdrängt wird.

Wenn es der PO nicht ganz schnell gelingt vertrauensbildende Maßnahmen durchzusetzen und sich für den sprichwörtlichen „kleinen Mann“ und seine Nöte zu interessieren könnte es tatsächlich so kommen, wie es Mariusz Blaszczak, der PiS-Fraktionsvorsitzende prophezeite als er sagte, man habe es hier mit einem beginnenden Zerfall der PO zu tun.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1611 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".