BdV: Umstrittene Charta wird 60 – Opposition fordert Tölg-Rücktritt

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Erika Steinbach, Vorsitzende des BdV

Erika Steinbach, Vorsitzende des BdV,

Am gestrigen 5. August feierte der Bund der Vertriebenen den 60. Jahrestag der „Charta der Heimatvertriebenen“. Aus heutiger Sicht erscheint das Dokument allerdings ganz als Kind seiner Zeit, mit aller Verdrängungskunst der Epoche.

Vor allem SPD-, Grünen- und Linkenpolitiker monierten anlässlich des Gedenkens an die Charta der Heimatvertriebenen, diese Erklärung vom August 1950 den Ausdruck von Revanchismus und von Verdrängung der Verbrechen der NS-Zeit. Volker Beck von den Grünen erklärte, in der Charta werde die Vorgeschichte des Nationalsozialismus mit keinem Wort erwähnt. Sie suggeriere, dass die Vertreibung der Deutschen im historisch luftleeren Raum stattgefunden habe. Auch sei der in der Charta ausgesprochene Verzicht auf Rache und Vergeltung völlig fehl am Platze, denn auf beides habe es schließlich nie zuvor einen Anspruch gegeben, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen in Berlin.

Die neue nordrhein-westfälische Europaministerin Angelica Schwall-Düren (SPD) forderte den Rückzug von Tölg:. „Wer solche Auffassungen vertritt, steht einer fairen Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte im Wege“, sagte Schwall-Düren der Tageszeitung „Die Welt“. Tölgs Äußerungen zur Relativierung der Naziverbrechen seien ein Schlag ins Gesicht unserer Nachbarn, die millionenfach Opfer des NS-Terrors waren.

Solche Äußerungen wies die BdV-Präsidentin Erika Steinbach scharf zurück. Die Charta sei im Gegenteil eine eindeutige Absage an Revanche und Gewalt, sagte BdV-Präsidentin Erika Steinbach bei der Feierstunde in Stuttgart. In keinem einzigen Satz der Deklaration habe Hass gegenüber den Nachbarvölkern gesprochen. Im Gegenteil: Sinn und Aufgabe sei es gewesen, gegen das Unrecht der Vertreibung zu protestieren, aber auch den Willen zur Versöhnung und zum Wiederaufbau Deutschlands zu manifestieren. Steinbach erneuerte in ihrer Rede auch die Forderung des Bundes der Vertriebenen, den 5. August zu einem Nationalen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung zu machen. Dies wurde sowohl vom anwesenden Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als auch vom ebenfalls präsenten Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) zurückgewiesen. Ebenfalls vor Ort war Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), der trotz aller vorangegangenen Querelen und vieler Buh-Rufe aus dem Auditorium der Vertriebenen den Ehrenplatz neben Erika Steinbach (CDU) erhielt.

In den deutschen Medien nur beiläufig wahrgenommen wurde ein Interview, das der vielfach wegen revanchistischer Tendenzen kritisierte, vom BdV in den Stiftungsbeirat der Vertriebenen-Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ entsandte Arnolöd Tölg dem Journalisten Dirk-Oliver Heckmann vom Deutschlandfunk gab. In dem am 3.8. gesendeten Interview bestätigte Tölg die von Wissenschaftlern und Oppositionspolitikern kritisierten Aussagen.

Auf die Frage danach, wer die Verantwortung für die Vertreibung der Deutschen trage, antwortete Tölg: „Da bin ich der Meinung, dass der Krieg natürlich – der von Hitler ausgelöste Krieg – den Ländern, die die Deutschen vertrieben haben, eine Chance gegeben hat, die Deutschen loszuwerden. Es war ja ein von Polen und auch teilweise Tschechien, ein langfristiger Plan … Also, da sind Dinge zusammengekommen: Auf der einen Seite war das der Krieg Hitlers, der Schreckliches in diesen Ländern angerichtet hat; auf der anderen Seite kam es auch der polnischen und wohl auch tschechischen Politik entgegen…“

Das Interview mitgehört hatte der Historiker und Politikwissenschaftler an der Universität Mannheim Professor Peter Steinbach, der gleichzeitig wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin ist. Er bekräftigte seine Position im Gespräch mit Heckmann: „Die Vertreibungsverbrechen sind wirklich systematisch aufgearbeitet worden, nicht nur von den Vertriebenen, sondern etwa auch von einem Historiker wie Theodor Schieder, wie Hans-Ulrich Wehler, das muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen. Und wenn diese Stiftung Versöhnung auch zum Ziel hat, dann funktioniert das nur, indem man die Isolierung des deutschen Leidens aufgibt und im Grunde eine Leidensgeschichte des 20. Jahrhunderts in den Blick nimmt. Natürlich mit Kriegsgefangenen, mit Juden, mit Bombenopfern, auch mit den Bombenopfern auf der anderen Seite, mit den systematischen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten … Das fehlt mir und solange wie dieses nicht erfolgt, sehe ich ganz, ganz große Schwierigkeiten. Das wichtige Anliegen einer Auseinandersetzung mit der Vertreibung in einer verantwortungsvollen Weise zu führen und zu verfolgen.“

In den polnischen Medien wurde der neuerliche Streit um BdV und Vertriebenenzentrum sehr wohl wahrgenommen und ist Thema in der Presse. Alle großen Online- und Print-Medien berichteten. Die Die liberale polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza berichtet sowohl über die Charta der Vertriebenen, als auch über die beiden Interviews im Deutschlandfunk.

Dabei stehen Formulierungen in der Charta wie „Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung.“, sowie „Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden.“ nicht nur in Polen in der Kritik, blenden sie doch völlig aus, dass Flucht und Vertreibung eine Vorgeschichte deutscher Verbrechen haben.  Ausführlich geht das Blatt aber auch auf die kritischen Äußerungen deutscher Politiker ein.

Polnische Politiker sprachen bei der Beiratsbesetzung von einem Skandal und skandalös sei auch die Rede von Erika Steinbach gewesen, berichtet die Gazeta Wyborcza. Die BdV-Präsidentin habe mehrmals den Verzicht der Vertriebenen auf Rache und Vergeltung gegenüber dem polnischen Volk erwähnt. Sie habe Tölg verteidigt, dessen Äußerungen von den Medien aus dem Zusammenhang gerissen worden sein. Beunruhigend sei auch die Anwesenheit bei dem Treffen von Bundesaußenminister Westerwelle, denn der habe sich bei dem Festakt wohlwollend und gut gelaunt gezeigt, meint die Zeitung.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".