Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gesprächen in Warschau, Polen,Foto: Kanzlei der Ministerpräsidentin KPRM, public domain
Am Dienstag den 7. Februar war Bundeskanzlerin Angela Merkel in Polen zu Gast. Sie sprach mit Ministerpräsidentin Szydlo, dem PiS-Vorsitzenden Kaczynski, Oppositionsvertretern und Repräsentanten der deutschen Minderheit.
Gespräche mit Polens Spitzenpolitikern
Die Begrüßung durch Ministerpräsidentin Beata Szydlo war freundlich bis herzlich, man umarmt sich, man duzt sich. Solche atmosphärischen Kleinigkeiten werden heute genau registriert und beobachtet. Bei der Pressekonferenz war man bemüht, gemeinsame Interessen in der Vordergrund zu stellen. Szydlo betonte die Bedeutung der deutsch-polnischen Partnerschaft, dank derer Polen und Deutschland auch auf europäischer Ebene wichtige Projekte realisieren würden. Polen wolle zusammen mit Deutschland eine wichtige Rolle bei den anstehenden Veränderungen in der Europäischen Union spielen. Diese sollen beim EU-Gipfel im März eingeläutet werden. Eine weitere Entwicklung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit sei dafür sehr wichtig, betonte Szydlo.
Angela Merkel zeigte sich diplomatisch und haute der polnischen Regierung nicht die Demokratiedefizite um die Ohren. Sie verpackte das elegant in eigene Erinnerungen. Sie habe als junge Frau gespannt verfolgt, was im Nachbarland passierte und wie die Solidarnosc die Freiheit erkämpfte, erklärte sie. Dazu sicherte sie das zu, was die NATO ohnehin von ihren Mitgliedern fordert: die deutschen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Ansonsten tat es ein fast beiläufiger Hinweis auf die für die Demokratie so wichtige Rolle der Rechtstaatlichkeit und des Verfassungsgerichts als Kontrollorgan.
Die Bundeskanzlerin sprach auch mit Staatspräsident Andrzej Duda. Hier ging es um die Zukunft der EU, den Brexit, sowie über die Zusammenarbeit mit den USA unter einem Präsidenten Trump, aber auch um die Ukrainekrise. Bei den Gesprächen mit den beiden polnischen Spitzenpolitikern bleib das Flüchtlingsproblem praktisch ausgeklammert. Man wird in nächster Zukunft wohl nur insoweit zusammenarbeiten können, als es um die Sicherung der EU-Außengrenzen, eine gewissen Unterstützung Polens für die Transitländer oder humanitäre Hilfe geht. Auch ein noch stärkeres Engagement Polens in Sachen Aufnahme und Hilfe für ukrainische Flüchtlinge scheint eher denkbar als eine Öffnung Polens für Flüchtlinge.
Weitere Gespräche führte die Bundeskanzlerin in der deutschen Botschaft, unter anderem mit der Opposition, nämlich mit Vertretern der Bürgerplattform PO und der Bauernpartei PSL
Am Abend folgte dann noch ein Gespräch mit Polens starkem Mann, dem PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. Für seine Verhältnisse zeigte sich die graue Eminenz der polnischen Politik lammfromm und ob einer gedeihlichen Zusammenarbeit bereit Kreide zu fressen. Kaczynski äußerte sich positiv über den Merkel-Besuch und die Gespräche, lobte die Kanzlerin und verkündete, dass er Merkels Wiederwahl positiv sehen würde.
Treffen mit der deutschen Minderheit in Polen
In der Warschauer deutschen Botschaft traf sich Angela Merkel erstmals im Rahmen eines Polenbesuchs auch mit Vertretern der seit 1991 in Polen anerkannten deutschen Minderheit, die um eine Einschränkung der Minderheitenrechte in Polen fürchten, die eigentlich durch die Verfassung geschützt sind. Am Gespräch nahmen der polnische Parlamentsabgeordnete der deutschen Minderheit Ryszard Galla, der Vorsitzende des Vorstandes des Verbandes der Sozial-Kulturellen Gesellschaften der Deutschen in Polen Bernard Gaida sowie der Vorsitzende der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien Rafa? Bartek teil.
Als Einschränkung und Bedrohung ihrer Minderheitenrechte sieht die deutsche Minderheit die geplante Vergrößerung der Stadt Oppeln (Opole) durch Eingemeindungen.
Demnächst sollen nämlich mehrere Gemeinden von der Woiwodschaftshauptstadt Oppeln eingemeindet werden. Das Problem dabei: Durch die Verschiebung der Stadtgrenze verändern sich auch die Grenzen der Gebiete, in denen 20% der Stadtbevölkerung zur deutschen Minderheit gehören. Damit stehen ihr unter anderem zweisprachige Stadtschilder und die deutsche Sprache als Hilfssprache bei allen Behörden zu. Mit den neuen Stadtgrenzen aber würde sich der Anteil der deutschstämmigen Bevölkerung stark verringern, die verbrieften Rechte damit wegfallen.
Polen hat nun aber das europäische Abkommen zum Minderheitenschutz ratifiziert. Dort und auch nach dem polnischen Minderheitengesetz sind Eingemeindungen nicht statthaft, wenn eine Minderheit davon betroffen ist. Die deutsche Minderheit hat inzwischen eine Petition beim Europäischen Parlament eingereicht.
Die von der Eingemeindung betroffenen Gemeinden sind großenteils gegen die Eingemeindungspläne des Oppelner Stadtpräsidenten Arkadiusz Wisniewski, da sie dann große Haushaltskürzungen hinnehmen müssten.
Fazit des Merkel-Besuchs
Wer genauer hinhört und zwischen den Zeilen liest, sieht einen Wandel in der Beurteilung der deutschen Kanzlerin durch Kaczynski und die PiS-Regierenden. Sie ist nicht mehr die personifizierte EU unter deutscher Hegemonie und in direkter Linie mit der deutschen Besatzung im Krieg verbunden und damit nicht mehr die Inkarnation des Bösen.
Auch stellte man sich nicht mehr als EU-Gegner dar, sondern als polnische Regierung, die die EU verändern will. Man scheint also in Warschau doch Interesse an der Rettung Europas zu haben. Diese Veränderung würden aber eher weniger Integration und direkte Bürgerbeteiligung bedeuten, sondern mehr Nationalstaat und Auseinanderdriften. Im Ernstfall aber wird Kaczynski in der EU zu einem Minimalkonsens wohl bereit sein, zu wichtig sind die vielen EU-Milliarden die der Primus unter den Nettoprofiteuren aus Brüssel überwiesen bekommt. In jedem Fall braucht er dafür Verhandlungsspielraum und daher Partner.
Polen sieht nun mit Sorgen nach Großbritannien und die dort lebenden vielen Polen, die durch den Brexit womöglich mit Ausweisung bedroht sein könnten und mittlerweile auch dort Fremdenfeindlichkeit erlebt. Dazu erlebt Polen mit seiner Furcht vor Putin an der EU- und NATO-Außengrenze, dass Sicherheitsstrukturen gebraucht werden und Deutschland darin immer ein verlässlicher Partner war. Dazu ist mit dem Brexit der von der PiS favorisierte neue strategische EU-Partner nicht mehr da.
Es sieht so aus, als ob Angela Merkel plötzlich als kleineres Übel betrachtet wird, vor allem, wenn es um den Ausgang der Bundestagswahl geht. Ein Bundeskanzler Martin Schulz – als EU-Urgestein – würde im politischen Warschau mehr Schluckbeschwerden verursachen.