Direktor Basil Kerski erklärt Anspruch und Ausstattung des ECS
Wenn am 30. August in Gdansk (Danzig) das Europäische Solidarnosc-Zentrum(ECS) seine Tore öffnet, wird Basil Kerski, in Deutschland bestens als Chefredakteur des renommierten deutsch-polnischen Magazins DIALOG bekannt, damit seiner ersten Amtshandlung als Direktor nachkommen.
Wer damals im „Polnischen Sommer“ als Zaungast aufgeregt und voller Empathie wie ich die Tage hautnah erlebte, die der Solidarnosc-Gründung vorausgingen, konnte eigentlich nur beten, dass das Regime nicht kurzen Prozess macht und alles wieder in einem Blutvergießen endet. Ja man hatte nicht einmal soweit gedacht, dass die Solidarnosc je zugelassen werden könnte. Man fuhr in großer Sorge nach Deutschland zurück und in der Angst, seine Lieben womöglich lange nicht wieder zu sehen. Genau das passierte später im Kriegsrecht, keine Kontakte, nichts wissen, bis endlich ein herausgeschmuggelter Brief kam. Dann sobald es ging zwischen dauernden Militär- und Polizeikontrollen sowie Panzersperren hindurch manövrierend, das Auto voll bis unters Dach. Jedem, der bis an die Zähne bewaffneten Uniformierten war klar, dass wir zwei Frauen keine normalen Touristen waren, sondern Angehörige in Polen hatten. Und doch, selbst unter den Uniformierten bröckelte es, leise wurden uns mehrmals bei den Kontrollen Sätze zugeflüstert wie „vergesst uns nicht“, „erzählt wie es hier aussieht“ und „danke, dass ihr kamt“. Was für ein aufwühlendes Szenarium, Polen standen gegen Polen, und man sah und hörte, dass sie das nicht freiwillig taten. Noch immer ist es wie ein Wunder, dass das Ende des Regimes nur wenige Jahre später kam. Noch wundersamer ist es, dass diese Tage im August nicht einmal ein Jahrzehnt späterden ganzen Kontinent total umwandelten.
Es wird Zeit, dieser Epoche zu gedenken, die nicht nur Polen oder den Ostblock veränderte, sondern ganz Europa. Nichts davon wäre ohne die Solidarnosc und die mutigen Männer und Frauen so geschehen. Deshalb wird hier in Danzig nicht nur der jüngsten polnischen Geschichte ein Denkmal gesetzt. Dazu widmet sich das Solidarnosc-Zentrum ECSauch nicht nur der Gewerkschaft Solidarnosc und dem antikommunistischen Widerstand in der damaligen Volksrepublik Polen. Tatsächlich setzt es die polnische Vergangenheit in einen gesamteuropäischen Kontext. Es will als Zentrum des Dialogs zwischen Vergangenheit und Zukunft sowohl auf polnischer als auch auf europäischer Ebene fungieren. Hier sollen Besucher die großen Zusammenhänge sehen und erleben, die letztlich spätestens mit dem Hitler-Stalin-Pakt begannen. Danzig, um das es im letzten Jahrhundert so viel Gezerre gab, war im vergangenen Jahrhundert dabei zuerst Zankapfel nach dem Versailler Vertrag und 1939 Ausgangspunkt der großen Menschheitskatastrophe. Mit der Solidarnosc-Gründung leiteten die Danziger selbst eine Wende zum Besseren auch für die Stadt ein, die in die friedliche Revolution mündete.
So fasst Direktor Basil Kerski den Auftrag, den das Europejskie Centrum Solidarnosci hat, in dem Motto zusammen „Lerne die Geschichte kennen und entscheide die Zukunft mit“. In eben diesem Motto spiegele sich das Bewusstsein wider, dass Demokratie kein ewiger Zustand sei, fügte Kerski an. Basil Kerski als gebürtiger Danziger weiß, wovon er da spricht. Er selbst wuchs als Sohn irakisch-polnischer Eltern seit 1979 in West-Berlin auf. Dort erlebte der junge Kerski die Spannungen der Zeitgeschichte und des Kalten Kriegs zwischen Ost und West hautnah mit. An der Freien Universität in Berlin studierte er Slawistik sowie Politikwissenschaften und arbeitete anschließend für so namhafte Einrichtungen wie das Aspen Insititute, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik oder den Bundestag. Da ist es kein Wunder, dass Kerski als mehrsprachiger Kulturwissenschaftler schon 2011 die Stelle des Direktors des neuen Solidarnosc-Zentrums angetragen wurde.
Eine mitteleuropäische Agora haben die Gründer des ECS schaffen wollen, und einen Ort der Begegnung, für alle Bürger, die sich für die Entwicklung der Demokratie in ganz Europa mitverantwortlich fühlen, erklärt Kerski, der seit 1998 auch Chefredakteur des zweisprachigen deutsch-polnischen Magazins DIALOG ist. Dieser Anspruch werde sich vor allem in der ständigen Ausstellung, dem Kernstück des Zentrums manifestieren. Sie zeige den Besuchern nicht nur die Geschichte der Solidarnosc-Bewegung von innen, sondern stelle sie in einen breiteren historischen Kontext. Die Ausstellung sei daher so konzipiert, dass jeder Pole hier sein eigenes Stück Geschichte und Identität im ECS entdecken könne. Genauso würden das aber auch Gäste aus der Ukraine, Tschechien, Ungarn oder Deutschland für sich erkennen könne, betont Kerski.
Das eben sei das Besondere an dieser Ausstellung, denn die dort erzählte Geschichte zeige nicht nur die Entwicklung in Polen. Sie spanne im Gegenteil auch einen Bogen zum Zerfall der Sowjetunion nach 1989, zum Fall der Berliner Mauer und zu den Oppositionsbewegungen in den anderen Warschauer Pakt-Staaten. Man wolle eine Debatte über den Zustand einer offenen Zivilgesellschaft über die Identität demokratischer Gemeinschaften anstoßen, sowie über das Problem gesellschaftlicher Gerechtigkeit, erklärt Kerski. Dieser Anspruch des ECS wird sich künftig besonders in der Forschungs- und Bildungsarbeit zeigen.
Basil Kerski sieht als Direktor des ECS in der generationenübergreifenden Bildung eine der größten Herausforderungen der globalisierten Welt. Man wolle mit dem ECS-Bildungsprogramm vermitteln, dass Polen sich auf friedliche Weise gewandelt habe, und dass das auch andere Länder könnten. Möglich war das durch eine „Kultur des Kompromisses“. Das aber stelle sowohl den größten Erfolg der Vergangenheit, aber auch die größte Herausforderung für die Zukunft dar, fügt der ECS-Direktor an. Kerski ist überzeugt davon, dass das neue Solidarnosc-Zentrum künftig einer der wichtigsten Orte auf der historischen, kulturellen und intellektuellen Landkarte Polens und Europas sein wird.
Völlig begeistert zeigt sich Kerski von Räumlichkeiten und Gebäuden des ECS. Das imposante Gebäude mit den rostigen Wänden sein für ihn ein inspirierendes Architekturprojekt, das den historischen Raum der einstigen Lenin-Werft mit der Gegenwart verbinde.
Das rund 65 Millionen Euro teure ECS besteht aus einer interaktiven Ausstellung, einem Dokumentations-, Bildungs- und Tagungszentrum sowie der Gedenkstätte und einer Parkanlage, und wird am 30. August eröffnet. Danziger und Touristen können am 30. August beim Tag der Offenen Tür das ECS kennenlernen. Ein abendliches Konzert beendet den ersten Öffnungstag. Die offiziellen Feierlichkeiten beginnen dann am 31. August mit einer Heiligen Messe und dem Gedenken an alle gefallenen Werftarbeiter. Auch ein Empfang mit Präsident Komorowski und weiteren europäischen Staatsoberhäuptern steht auf dem Programm.