Immer noch hat Lodz selbst unter Polen den Ruf einer grauen Industriestadt, aber stimmt das überhaupt? Keinesfalls, Lodz ist bunt, Lodz ist jung, Lodz ist dynamisch und Lodz war schon immer ein Lebensraum kultureller Vielfalt. Hier lebten Deutsche, Juden und Polen friedlich nebeneinander her, hier befruchteten sich die Kulturen gegenseitig, Lodz, das war bis zum Holocaust ein Europa im Kleinen. Heute zeugt nur noch der jüdische Friedhof an der Bracka-Straße vom jüdischen Leben in Lodz. Die Lodzer jüdische Gemeinde war mit 250 000 Mitgliedern einst die zweitgrößte in Polen und eine der größten in Europa. Sie wurde im Holocaust ausgelöscht, nur 800 Lodzer Juden überlebten.
Das Gelobte Land
Ziemia Obiecana, das „Gelobte Land“ wurde Lodz genannt, als es im 19. Jahrhundert kometenhaft von einem verträumten Provinznest mit nicht einmal 1000 Einwohnern zum modernen Industriezentrum aufstieg. Schuld daran war der Wiener Kongress, der Lodz mit ganz Kongresspolen 1815 unter die Herrschaft des russischen Zaren stellte und Polen somit ein viertes Mal teilte.
Doch für Lodz war diese neuerliche polnische Tragödie der Begin eines goldenen Zeitalters, denn die riesigen Märkte Russlands standen den Lodzer Textilunternehmen nun ohne Schutzzölle offen. Zu Tausenden strömten Arbeiter und künftige Unternehmer nach Lodz. Die Stadt wuchs in einem atemberaubenden Tempo, viel schneller als vergleichbare westliche Industriezentren wie Manchester.
Es herrschte Goldgräbermentalität in der Stadt, nach Lodz kam man, um sein Glück zu machen. Bald rauchten Hunderte Schornsteine, Webstühle ratterten allenthalben, Riesenfabriken entstanden. Aus dem Nichts war Lodz Ende des 19. Jahrhunderts zum Industriegiganten geworden, rund ein Drittel der gesamten Textilindustrie Polens war hier konzentriert, siebzig Prozent der Produktion ging auf die russischen Märkte.
Die Magistrale Ulica Piotrkowska
Die Stadt wuchs, und wuchs. Die städtebauliche Jugend merkt man ihr bis heute an, wurde sie doch quasi auf dem Reißbrett entworfen. Wo andere Städte ein Zentrum haben, hat Lodz als Hauptsehenswürdigkeit seine Piotrkowska-Straße. Schnurgerade führt sie fünf Kilometer vom achteckigen Marktplatz und dem klassizistischen Rathaus nach Süden. Die Piotrkowska ist Lodz, ist seine Seele und sein Spiegel, denn an ihr findet man alles, was diese Stadt ausmachte, prachtvolle Gründerzeitvillen, Fabriken, deren massive Backsteinarchitektur Deutschordensburgen ähneln, Fassaden, die den einstigen Reichtum erahnen lassen.
Interessante Villen und Palais finden sich auch in den bnachbarten Straßen, die Villa Kindermann in der Wolczanska-Straße ist einer der schönsten Jugendstilbauten Polens und das Poznanski-Palais an der Wieckowskiego-Straße beherbergt das Kunstmuseum.
Eine der imposantesten Residenzen ist Ksiezy Mlyndie Residenzanlage der Familie Herbst an der Predzalmana-Straße, die heute gleichfalls Museum ist.
Modern zu sein, war schon damals das Lodzer Lebensgefühl. Vor allem aber war in Lodz, dem Manchester Polens, ein ganz besonderer Menschenschlag entstanden, für den anderes mehr zählte, als die Volkszugehörigkeit. Er bestand aus Juden, die hauptsächlich in Handel, Handwerk und den freien Berufen anzutreffen waren, Polen, die das Gros der Arbeiterschaft stellten und Deutschen, die meist Webmeister oder Ingenieure waren.
Der Lodzermensch
Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel brachte es auf den Punkt: Der bedeutendste zivilisatorische Leistung von Lodz ist nicht etwa das Tuch, sondern der Lodzermensch. Dieser Lodzermensch war Immigrant, denn hier waren alle Immigranten, kompromissbereit und mehr an der Zukunft interessiert, als an Vergangenem und Herkunft.
Dieser Lodzermensch ging unter, als aus dem Gelobten Land unter deutscher Besatzung 1939 Litzmannstadt wurde. Die jüdische Gemeinde wurde im Holocaust ausgelöscht. Der Krieg ließ kaum etwas vom alten Lodz und seiner kulturellen Vielfalt, sie entschwand mit den Lodzermenschen aus dem Bewusstsein, auch wenn die Stadt selbst fast unzerstört blieb.
Wladyslaw Reymont, der polnische Literaturnobelpreisträger setzte dem alten Lodz und seinen Lodzermenschen ein literarisches Denkmal in seinem Roman „Das Gelobte Land“, der später von Andrzej Wajda kongenial verfilmt wurde.
Lodz als Kulturstadt: Filmowka und Techno
Bekannt wurde das Nachkriegs-Lodz neben seinem Ruf als Hauptstadt der Textilbranche durch den des polnischen Films, denn die „Filmowka“, Polens legendäre Filmhochschule hat hier ihren Sitz. Absolventennamen wie Andrzej Wajda oder Roman Polanski und reihenweise internationale Preise brachten der Filmowka den Ruf eines polnischen Hollywood.
Auf Hollywood nimmt man denn auch gern Bezug in Lodz und erkor sich den Sunset Boulevard zum Vorbild. So sind auch in die Bürgersteige der Piotrkowska Metallplatten für Polens Filmgrößen eingelassen, genau wie beim Vorbild.
Nach Jahren der Agonie hat die Stadt wieder Fuß gefasst. Nicht nur Unternehmen, auch die kulturelle Moderne zog ein in die alten Fabrikhallen. Wo einst die Webstühle ratterten, dröhnen heute die Bässe, denn Lodz ist die polnische Techno-Hauptstadt. Rund um die Piotrkowska gibt es mittlerweile die höchste Dichte von Klubs und Discos in Polen. Und so sind die Lodzer heute wieder das, was sie immer waren: modern.
(c)Brigitte Jäger-Dabek
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