Am Montagmorgen starb Tadeusz Mazowiecki, Polens erster demokratisch gewählter Ministerpräsident der Nachkriegszeit nach langer Krankheit im Alter von 86 Jahren, meldete die polnische katholische Nachrichtenagentur KAI. Das Staatsbegräbnis findet am Sonntag, den 3. November (Allerseelen) statt. Die Trauerfeier ist für 11 Uhr in der Johanneskathedrale in Warschau angesatzt. Seine letzte Ruhe wird Mazowiecki im Familiengrab auf dem Friedhof von Laski westlich von Warschau finden. Für den 3. November wurde in Polen Staatstrauer angeordnet.
Der am 18. April 1927 in Plock geborenen gläubige Katholik Mazowiecki war einer der bekanntesten Bürgerrechtler und Publizisten aus dem Milieu der katholischen Intellektuellen. Bereits 1958 gründete er das katholische Monatsblatt „Wiez“, dessen Chefredakteur er wurde, Anfang der 1980er Jahre wurde Tadeusz Mazowiecki zu einem der wichtigsten Berater der Solidarnosc-Bewegung, besonders während der Streiks in der Danziger Leninwerft, als er Walesas Vertrauter war. Dazu wurde Mazowiecki Chefredakteur des „Tygodnik Solidarnosc“. Nach der Verhängung des Kriegsrechts war er bis 1982 über ein Jahr lang in Haft.
Als dem kommunistischen Regime unter Genral Jaruzelski die Macht Stück für Stück unter den Händen weggebrochen war, nahm Mazowiecki an den Verhandlungen des Runden Tischs teil. Er war maßgeblich am friedlichen Übergang Polens in die Demokratie beteiligt. Nach der ersten halbfreien Wahl im gesamten Ostblock am 4. Juni 1989, bei der dem Solidarnosc-Block maximal 35 % der Sitze zugestanden worden. Doch dann stimmten die Abgeordneten der Blockparteien im Parlament für den Solidarnosc-Kandidaten und wählten zusammen am 19. August 1989 Tadeusz Mazowiecki zum Ministerpräsidenten Polens.
Damit war die erste große Bresche in die Mauern und Stacheldrahtzäune des Eisernen Vorhangs geschlagen, der den Ostblock abschottete. Wenige Monate später fiel die Berliner Mauer und der Machtanspruch der Ostblock-Regime zerbröselte unter den Protesten der friedlichen Revolution, bis am Ende die Sowjetunion Glasnost und Perestroika nicht überlebte und sich auflöste.
Mazowiecki hatte im November 1989 just als die Berliner Mauer am 9. November fiel, Bundeskanzler Helmut Kohl zu Gast. Schon damals zeigte sich, dass Tadeusz Mazowiecki, der feinsinnige Intellektuelle, der sich schon seit den 1960er Jahren für die Aussöhnung von Deutschen und Polen stark machte, ein großer Versöhner war, der „ein Glücksfall für Polen und für polnisch-deutsche Beziehungen“ wurde, wie es der polnische Botschafter in Berlin am Montag formulierte.
Doch gehörte auch Mazowiecki zu den Missverstandenen des Übergangsprozesses. Als Mazowiecki 1990 bei der Präsidentenwahl gegen Lech Walesa kandidierte, war die alte Solidarität und Verbundenheit der Kampfjahre zerbrochen. Mazowiecki erreichte mit 18 Prozent der Stimmen nicht einmal den 2. Wahlgang und trat am 14. Dezember 1990 vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Er war zum Sündenbock für notwendige harte Schnitte des Finanzministers Belka im Wirtschafts- und Sozialsystem der ersten Transformationszeit geworden. Dazu kam die Missinterpretation seiner Politik der dicken Linie, die er gezogen wissen wollte, denn er wollte nicht für die aus der System-Misswirtschaft der Volksrepublik herrührenden Missstände und Fehler vorangegangener Regierungen mitverantwortlich zeichnen. Mazowiecki wollte unter der Linie bei Null wieder anfangen. Den „dicken Strich“ (gruba kreska) unter die gesamte Vergangenheit und die Versöhnung der kommunistischen Zeit, den man ihm vorwarf, wollte Mazowiecki nicht. In seiner Antrittsrede im Parlament 1989 hatte er das auch deutlich gemacht, als er sagte „meine Regierung übernimmt keine Verantwortung für die Hypothek, die sie erbt“.
Mazowiecki der noch bis 2001 als Abgeordneter tätig war, gründete die liberale Partei Unia Demokratyczna deren Vorsitzender er von 1990-1995 war, später leitete er deren Nachfolgepartei Unia Wolnosci.
International hohes Ansehen erwarb sich Mazowiecki, als er von 1992 bis 1995 als Uno-Sonderbotschafter im Konflikt um Bosnien-Herzegowina im ehemaligen Jugoslawien tätig war. Nach dem Massaker von Srebrenica im Juli 1995, bei dem die bosnisch-serbische Soldateska rund 8000 Menschen ermordet hatte, trat er aus Protest gegen die UN-Untätigkeit von diesem Amt zurück. Von dessen Amtsantritt 2010 bis zu seinem Tod am Montag war Mazowiecki Berater des polnischen Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski.
Mazowiecki wurde vielfach für sein Lebenswerk ausgezeichnet, auch von der Bundesrepublik Deutschland, die ihm im Jahr 2000 für seine Tätigkeit als Vordenker der friedlichen Revolution in Polen und den Beitrag zur Überwindung der europäischen Teilung das Bundesverdienstkreuz verlieh.
Der Präsident der EU-Kommissions Jose Manuel Barroso würdigte Mazowiecki als “ Symbol für Polens friedlichen Übergang zur Demokratie“, er sei einer der Gründungsväter des wiedervereinigten Europas gewiesen. Mazowiecki sei als erster nichtkommunistischer Regierungschef des Ostblocks 1989 zum Inbegriff des demokratischen Übergangs in Mittel- und Osteuropa geworden, erklärte Barroso.
Bundeskanzlerin Merkel sandte dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk ein Kondolenzschreiben, in dem sie ihre große Trauer über den Tod des früheren polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki ausdrückt. Er habe mit seinem unermüdlichen Einsatz für Freiheit und Selbstbestimmung einen unvergessenen Beitrag für die Überwindung autoritären Unrechts und für die Einheit Europas geleistet. In einer für Deutschland wegweisenden Zeit hab er als polnischer Ministerpräsident den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung unseres Landes befördert und unterstützt. Damit konnten neue Fundamente für das Verhältnis unserer beiden Völker geschaffen werden. Deutschland hab in Tadeusz Mazowiecki immer einen Fürsprecher für enge und gestärkte deutsch-polnische Beziehungen gehabt, heißt es im Schreiben der Bundeskanzlerin.
Ein altersmilder Lech Walesa bezeichnete seinen einstigen Mitstreiter Tadeusz Mazowiecki am Montag als „bis heute besten Regierungschef Polens“.