Polen: ACTA und der Warschauer Politikerblues

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Guy Fawkes Maske, Symbol der Demonstranten in Europa

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Das politische Warschau hat den Jahresanfangsblues – und das trifft Regierung und Opposition fast gleichermaßen. Zwei Ausnahmen gibt es: Präsident Bronislaw Komorowski, dessen Umfragewerte gemäß Meinungsforschungsinstitut OBOP bei stabilen 70% und mehr der Wählerstimmen liegen und Janusz Palikot, der mit der Idee der Marihuana-Freigabe bei Polens Jugend punktet.

So sieht es auch die polnische konservative Tageszeitung Rzeczpospolita: Komorowski im Hoch, die Regierung im Tief. Bronislaw Komorowski hat die Rolle eines Vermittlers eingenommen, reist durch Polen und hält den Kontakt zwischen Politik und Volk aufrecht, denn er ist der Politiker, dem die Polen am meisten vertrauen. So stärkt er die eigene Position, was ihm bereits erste PO-Politiker ankreiden, denn er tue dies auf Kosten der Regierung, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Die größte Oppositionspartei PiS unter Donald Tusks Intimfeind Jaroslaw Kaczynski ist schwach wie selten und mit sich selbst beschäftigt. Die Abspaltungen vor allem der Gruppe unter Zbigniew Ziobro hat zu einem Aderlass an profilierten Persönlichkeiten geführt, die den autoritär führenden Kaczynski vor ein Dilemma führt. Entscheidet er sich für eine schlagkräftige, chancenreiche Aufstellung profilierter Kandidaten für die Europawahl 2014, blieben kaum noch aussichtsreiche Kandidaten für die Parlamentswahl von 2015. Dann könnte die 20 Abgeordnete starke Ziobro-Gruppe Solidarisches Polen der PiS eine Niederlage beibringen. Weil es Kaczynskis Art ist, so etwas erst sehr spät zu entscheiden, liegt die PiS derzeit handlungsarm fast in Agonie. So sieht es auch die polnische Tageszeitung Dziennik-Gazeta Prawna.

Die Diskussion in der Bevölkerung um das ACTA-Abkommen und die massiven Proteste in Polen hat die Regierung Tusk kalt und auf dem falschen Fuß erwischt. Einen Dialog von ACTA-Kritikern und der Regierung hat es vor der Unterzeichnung nicht gegeben. Auf Regierungsseiten versuchte man das Abkommen ohne einen gesellschaftlichen Konsens einzuholen, nach der Basta-Methode zu unterschreiben. Polen unterzeichnete in Japan und sah sich in der Heimat massiven Protesten gegenüber, mit denen man ganz offenbar nicht gerechnet hatte.

Nach dem Wahlsieg im Herbst ist die Regierung Tusk nun fast gezwungen unbequeme Reformpakete anzugehen, wie die Rentenreform. Bei der derzeitigen Schwäche der größten Oppositionspartei PiS von Jaroslaw Kaczynski, wollte man sich darauf konzentrieren und die Reformpakete eins nach dem anderen möglichst glatt durchbringen, die Umfragewerte von PO-Zustimmungswerten von mehr als 40 Prozent versprachen Erfolg. Es sah so aus, als ob Regierungschef Donald Tusk daran gehen könnte, die in seiner in Polen Expose genannten Regierungserklärung angesprochenen „schwierigen Entscheidungen“ zu treffen und die nötigen Reformen anzuschieben. Neben der anstehenden Renten- und Gesundheitsreform und dem gesellschaftlichen Diskurs um die Heraufsetzung des Rentenalters konnte die Regierung dabei allerdings alles brauchen, nur nicht noch ein Konfliktfeld. Das aber hat sie nun mit der unbedachten ACTA-Unterschrift. Direkt danach sank die Zustimmungsrate bei allen Meinungsumfragen geradezu dramatisch ab. Beobachtete Tusk die Entwicklung bis dahin nur aufmerksam, kam nun Besorgnis auf ob dieser gravierenden Fehleinschätzung. War den meisten Polen bis dahin aufgrund der fast Europaweiten Taktik über ACTA nicht im Vorhinein zu reden, das Abkommen und sein brisanter Inhalt unbekannt, änderte sich das schnell.

Die Anti-ACTA-Lawine massiver Proteste und Demonstrationen wurde in Polen losgetreten, hier begannen die Großdemonstrationen und wurden in rasendem Tempo zu einer europaweiten Welle. Über diese Vorreiterrolle der Polen freute sich sogar die konservative Rzeczpospolita. Gerade in den Ländern, die einst hinter dem eisernen Vorhang lagen ist die Sensibilität gegen eine Beschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie jeglicher Zensur gegenüber besonders groß. Logischer Weise wurde dort der Verdacht zuerst laut, dass ACTA nicht nur ein Abkommen zur Eindämmung der Produktpiraterie und zum Schutz des geistigen Eigentums ist – was auch in Polen als durchaus löblich empfunden wäre – sondern das Internet zensieren könnte und sogar den Zugang zur Informationsverbreitung unterbinden könnte. Der Zorn über ACTA und die Art europäischer Regierungen, dieses Abkommen ohne jegliche Bürgerbeteiligung quasi durch die Hintertür hereinzuschmuggeln, wuchs. Am 26. Januar unterzeichnete die EU und auch Polen das Abkommen in Japan, doch die Massen beruhigten sich nicht in Polen, da konnte Digitalisierungsminister Michal Broni noch so viel Versuche der Aufklärung und Beschwichtigung starten.

Die Regierung Tusk begann zurück zu rudern, zeigte ob der massiven Proteste – der größten seit der Solidarnosc-Zeit – dann doch Bedenken. Am ersten Februarwochenende kündigte Donald Tusk an, die Regierung würde sich mit der Ratifizierung des ACTA-Abkommens noch Zeit lassen. Tusk gab zu, das Thema falsch eingeschätzt zu haben und versprach, sich künftig für die Freiheit im Internet und den freien Zugang zu Informationen sowie eine realistische Neuerarbeitung des Urheberrechts einzusetzen.

Inzwischen ist Donald Tusk ohne weiteren Umweg zurück auf Anfang gegangen. Die Regierung will nun das ACTA-Abkommen nicht ratifizieren und keinen Gesetzesentwurf zur Umsetzung im polnischen Parlament einbringen, wenn am Abkommen nicht entscheidend nachgebessert wird.
Das teilte Tusk auf einer Pressekonferenz am Freitag, den 17. Februar in Warschau mit. Er gab zu, dass der Regierungs-Umgang mit dem ACTA-Abkommen ein Fehler gewesen sei. Er habe das auch in einem Brief an die polnischen Europaabgeordneten der Europäischen Volkspartei EVP klargestellt und sie gebeten entsprechend-zu handeln, berichtet die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1613 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".