Polen: Protestwelle gegen das Ende der freien Parlamentsberichterstattung

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In Polen hat die Ankündigung der PiS-Regierung, künftig die Freiheit der Berichterstattung aus dem Parlament zu begrenzen zu einer Protestwelle geführt.

Polen: Proteste für die freie Parlamentsberichterstattung, Foto: Platforma Obywatelska, platforma.org

In Polen war es kalt am Wochenende, eiskalt sogar, Schnee liegt ein kalter Wind zieht durchs Land. Ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagt. Was muss passieren, dass mitten im tiefsten Winter die Pausen in Windeseile zu h in die Stadtzentren stürmten und demonstrierten? Warschau war das Zentrum der Proteste, doch auch in vielen anderen Städten selbst in der Provinz rollte am Freitag eine Protestwelle an, wie sie Polen seit der politischen Wende 1989 nicht gesehen hatte.

Was war geschehen?

Am Freitag hatte Marek Kuchcinski, der Präsident des polnischen Abgeordnetenhauses Sejm fast beiläufig eine neue Verordnung bekanntgegeben, die zum 1. Januar 2017 in Kraft tritt. Der Erlass besagt, dass die Regierung mit dem Jahreswechsel den freien Medienzugang im Parlament beschränken wird. Künftig dürfen Journalisten nicht mehr einfach aus dem Parlamentsgebäude berichten. Für sie wird ein Medienzentrum extra für die Parlamentsberichterstattung in einem separaten Gebäude eingerichtet. Sie werden also die Abgeordneten nicht mehr einfach im Abgeordnetenhaus ansprechen und interviewen können. Nur noch zwei feste Parlamentskorrespondenten pro Redaktion werden im Parlament akkreditiert sein. Gar nicht mehr erlaubt werden eigene Ton- und Bildaufnahmen der Medien aus dem Plenarsaal. Bewegte Bilder wird künftig ausschließlich der offizielle Videodienst des Parlaments verbreiten. Dieses Weihnachtsgeschenk der PiS wurde adrett verpackt in die Losung, man wolle für „Abgeordnete und Journalisten gleich gute komfortable Arbeitsbedingungen schaffen.“  Niemand wolle die Transparenz einschränken, beeilen sich PiS-Politiker zu bekräftigen. Die Crux ist nur, dass nun auch keine Schummeleien und Regelverstöße aufgedeckt werden könnten wie zum Beispiel die beliebte PiS-Praxis einen anderen Abgeordneten für einen nicht anwesenden Kollegen abstimmen zu lassen.

Diese Kröte mochten viele Polen nicht schlucken, zu sehr erinnert diese neue Praxis an die Medienbeschränkungen und die Zensur der PRL-Zeit. In Windeseile fanden sich am Freitag Tausende vor dem Sejm-Gebäude ein, nachdem die Nachricht der Medienbeschränkung publik wurde.

Unterdessen eskalierte die Situation im Parlament. Ein Oppositionspolitiker hielt einen Zettel mit der Aufschrift „Medienfreiheit“ in die Kameras und wurde von Parlamentspräsident Kuchcinski des Saales verwiesen. Ein weiterer Oppositionspolitiker wurde zum Schweigen gebracht, indem das Mikrofon ausgeschaltet wurde . Gut 30 Abgeordnete von verschiedene Oppositionsparteien besetzten daraufhin die Rednertribüne. Sie sangen die Nationalhymne und forderten Medienfreiheit in Polen ein.

Rasch machte die Situation im Parlament die Runde in den sozialen Medien, Live-Videos kursierten auf Facebook und Twitter. So versammelten sich unterdessen vor dem Parlamentsgebäude immer mehr Demonstranten, blockierten nach dem erfolglosen Versuch das Gebäude zu stürmen alle Ausgänge sowie Ausfahrten und setzten an die 200 PiS-Abgeordnete fest. Die aufgebrachte Menge forderte die sofortige Rücknahme des Erlasses zu Beschränkung der Parlamentsberichterstattung und die Medienfreiheit in Polen.

Die PiS-Fraktion im Abgeordnetenhaus war anderweitig beschäftigt. Sie peitschte im Schnelldurchgang das Haushaltsgesetz für 2017 durch. Dazu hatte man sich in den Säulensaal zurückgezogen. Die Legalität dieser Abstimmung muss bezweifelt werden, denn es waren keine Journalisten und auch keine Oppositionspolitiker im Abstimmungssaal. Von einigen PiS-Abgeordneten wird vermutet, dass andere PiS-Abgeordnete für sie mit abgestimmt haben, und sie sich selbst erst nachträglich in die Anwesenheitsliste eingetragen haben, vor allem Justizminister Ziobro ist diesbezüglich ins Visier der Opposition geraten. Kann diese PiS-Praxis belegt werden, ist das ein Verfassungsbruch. Inwieweit die Oppositionsfraktionen vom Saalwechsel unterrichtet waren, ist ebenfalls fraglich, sie scheint nicht unterrichtet worden zu sein – ebenfalls ein Verfassungsbruch.

Nach der Abstimmung konnten die Abgeordneten das Parlamentsgebäude nicht verlassen, da die Demonstranten sie daran hinderten und skandierten „wir lassen Euch nicht vor Weihnachten hier raus“. Gegen drei Uhr nachts machte ein massiver Polizeieinsatz den Weg für Ministerpräsidentin Szydlo, den Parteivorsitzenden Kaczynski und die weiteren Abgeordneten frei. Der Polizeieinsatz verlief nicht friedlich. So filmte eine Oppositionsabgeordnete Polizisten, wie sie Tränengas zum Einsatz vorbereiteten, auch ging es nicht ohne Gewaltanwendung ab, es gab Verletzte.

Am Samstagabend reagierte Ministerpräsidentin Beata Szydlo mit einer „Ansprache an die Nation“ und beschuldigte die Opposition, allein für die Eskalation verantwortlich zu sein. Es sei die Opposition selbst, die  das öffentliche Vertrauen in die Politik vernichte und die Demokratie zerstöre. Es sei die Opposition, die Polen als Nation und Gemeinschaft ruiniere, so Szydlo.

In Breslau erklärte Polens Ex-Premier, der derzeitige EU-Ratspräsident Donald Tusk,  er erwarte von den Machthabern im Land, Respekt für die Bevölkerung sowie die verfassungsrechtlichen Prinzipien und Werte. Gleichzeitig dankte Tusk allen regierungskritischen Demonstranten, die sich seit Monaten für europäische Standards der Demokratie auch in Polen einsetzen.

Inzwischen bot Polens Staatspräsident Andrzej Duda sich als Konfliktvermittler im Streit um die Beschränkung der Parlamentsberichtsertattung an. Obwohl Duda bemerkte, dass Teile der Opposition die Situation für ihre Zwecke ausgenutzt hätten, nahmen die Oppositionsführer das Vermittlungsangebot am Sonntag an. PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski hatte den Oppositionspolitikern, die sich für die Medienfreiheit einsetzten, Rowdytum vorgeworfen und mit Konsequenzen gedroht.  „Niemand will den Zugang der Journalisten zu wichtigen politischen Veranstaltungen beschränken“, behauptete der Präsident des Senats. Am Sonntag traf sich Senatspräsident Stanislaw Karczewski auf Geheiß Kaczynskis mit Medienvertretern.

Man kann der Politik der PiS ein gewisses Geschick nicht abstreiten, die Strategie dahinter könnte eine große Langzeitwirkung zeigen. Selbst wenn die PiS bei der nächsten Wahl abgewählt werden würde, wäre die künftige Regierung dann damit belastet, im Haushalt aufzuräumen und womöglich soziale Wohltaten zurücknehmen zu müssen, die einfach nicht bezahlbar sind und vor allem für die Klientel der PiS zusammengebastelt worden sind. Nahezu auf immer hätte die PiS diese Wähler fest hinter sich nach dem Motto: Die verstehen mich, die unterstützen mich und meine Familie.

Aus Russland kamen rasch Kommentare „ … in Warschau herrschen Zustände wie auf dem Maidan in Kiew … ein Bürgerkrieg droht“ . Doch so sind die Verhältnisse weder in Warschau, noch in einer anderen polnischen Stadt. Diese Kommentare haben wie auch entsprechende Internetnews aus ähnlichen Quellen das deutlich erkennbare Ziel Öl ins Feuer zu gissen und Polen möglichst zu destabilisieren.

Doch in jedem Fall hat sich die politische Kultur radikal und rabiat verändert. Und man findet viele ähnlich Phänomene bei anderen Populisten in Europa, von Marine Le Pen bis Donald Trump. Vollends auf der Streck bleibtzuerst immer die Wahrheit. Es wird gelogen. Ungeniert. Und wenn jemand versucht das ganz einfach mit Fakten zu widerlegen, heißt es „Lügenpresse“.

Video von Kinga Grajewska-Plochocka, Abgeordnete der oppositionellen Bürgerplattform PO

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Über Brigitte Jaeger-Dabek 1611 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".