Polen streitet über Kapuscinski

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Ein Buch, das noch nicht einmal erschienen war, wirbelte in Polen Staub auf und wurde zum Bestseller. In den Feuilletons polnischer Gazetten schrieb man sich die Finger heiß, und als das Buch am 3. März in die Buchhandlungen kam, hatten sich die Vorbestellungen so überschlagen, dass die 45.000 Bände der Erstauflage bereits ausverkauft waren. Der Verlag „Welt des Buches“ lässt nachdrucken, Artur Domoslawskis Biografie über den polnischen Meisterjournalisten Ryszard Kapuscinski (1932-2007)  mit dem Titel „Kapuscinski – Non Fiction“ geht über die Verkaufstresen wie geschnitten Brot.

Selten hat ein Buch in Polen noch vor seinem Erscheinen ein solches Blätterrauschen im Medienwald verursacht, als diese Kapuscinski-Biografie, denn sie kratzt an einem Mythos. Ryszard Kapuscinski, Polens Journalist des Jahrhunderts und „die“ Ikone des polnischen Journalismus, Vorbild von Generationen polnischer Journalistenkollegen ist nun ins Gerede gekommen. Der Großmeister der literarischen Reportage soll es mit der Wahrheit öfter mal nicht so ganz genau genommen haben.

Der 42jährige Autor Artur Dosmoslawski ist Redakteur der renommierten linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza und langjähriger Freund Kapuscinskis. Er recherchierte mehrere Jahre akribisch und reiste den Büchern und Reportagen Kapuscinskis hinterher, schaute sich die Orte an, sprach mit vielen einstigen Gesprächspartnern und Protagonisten von Kapuscinskis Texten. Er hat eine kritische Biografie geschrieben, die sich aber jeglicher Häme enthält.

Kernaussage von Domoslawskis Buch ist, dass Kapuscinski, der Meister der literarischen Reportage, immer wieder die Grenzen des Journalismus überschritten, und statt dessen Literatur geschaffen habe. Dabei habe er manche seiner Erlebnisse in der Dritten Welt frei erfunden, kannte nicht alle Berühmtheiten, obwohl er den Eindruck erweckte. Dazu sei Kapuscinski mit den Fakten sehr großzügig bis willkürlich umgegangen.

Vor allem in seinen wohl größten Werken habe er die Grenze zur Literatur deutlich überschritten. So wies Domoslawski nach, dass Kapuscinski weder die Revolutionsikone Che Guevara gekannt noch den kongolesischen Revolutionär Patrice Lumumba getroffen haben kann. Auch dass Kapuscinski im Kongo mehrfach der Exekution nur knapp entkommen ist Legende oder zumindest stark übertrieben.

Kapuscinski war der Meinung, man dürfe die Wirklichkeit ausbauen, soweit die dazu verwendeten Elemente authentisch sind, dürfe dazu sogar die Chronologie des Tatsachenverlaufs abändern, Personen und Ortschaften erfinden, wenn sie so exemplarischer für das geschilderte Geschehen sind.

Mehrfach beschrieben die Protagonisten von damals seine Reportagen und Bücher als „Reportagen aus Tausenundeiner Nacht“. Besonders betrifft das seine beiden am höchsten gelobten und bekanntesten Bücher. „König der Könige“ (Cesarz) beschreibt und analysiert er die Zustände am äthiopischen Hof zu Zeiten Haile Selassies, eines der Realität völlig fernen Herrschers, der nur noch von Hofschranzen umgeben war, die mit ihm in einer literarisch-barocken Sprache umgingen. Auch wenn dieses Buch später zur Parabel für die Verhältnisse in Polen interpretiert wurde, war es eher ein bedeutender Roman und eine Parabel zum Thema Macht. Auch „Schah-in-Schah“ (Szachinschach) darf mit dem Wissensstand aus Domoslawskis Biografie nicht mehr als Geschichte des Iran gelesen werde.

Im persönlichen Bereich schildert Domoslawski Kapuscinskis schwieriges Verhältnis zur Tochter und seine nicht wenigen Liebschaften. Fast peinlich scheint es Domoslawski zu sein, über die umgestaltete Biografie von Kapuscinskis Vater zu berichten. Sein Vater sein als polnischer Offizier nur knapp durch Flucht dem Transport nach Katyn entgangen. Der Autor wies nach, dass Kapuscinskis Vater niemals in sowjetischer Gefangenschaft war. Mit dieser Mär gab sich Kapuscinski den Anstrich, aus einer patriotischen polnischen Familie zu stammen, was bis heute in Polen nicht unwichtig ist.

Auch mit einigen Mythen der politischen Haltung des Großmeisters des polnischen Journalismus räumt die Biografie auf. Dabei heraus kommt, dass Kapuscinski langer Jahre ein überzeugter Kommunist war. Sein Parteibuch gab er erst im Kriegsrecht ab. Bis zuletzt suchte er nicht den Umsturz, sondern Reformen in der Partei. Später hingegen inszenierte er sich gern als früher Unterstützer der Solidarnosc, was er laut Domoslawski definitiv nicht war. Nicht neu ist der „Stasi-Vorwurf“, dass Kapuscinski Informant des SB gewesen sei. Im Gegensatz zu anderen Polen wurde Kapuscinski diesbezüglich von seinen Landsleuten stets sehr nachsichtig behandelt.

Kapuscinski war Auslandskorrespondent der polnischen Nachrichtenagentur PAP, eine zu Zeiten der Volksrepublik sehr privilegierte Stellung, und die gab es nicht umsonst – Regimetreue war gefordert. Kapuscinski, dessen Parabeln und Reportagen über Macht und Machtausübung, das Herrschen und die Willkür, Befreiungsbewegungen und Revolutionen zum Besten gehört, was über diese Themen geschrieben wurde, wollte oder konnte die Verhältnisse im eigenen Land offenbar nicht so sehen, wie sie waren. Er sah sich selbst allerdings nie dem objektiven Journalismus verbunden, sondern wollte Partei sein und auf der „richtigen“ Seite stehen, auf der Seite der Unterdrückten und ihnen eine Stimme geben. Für die Zustände in der Dritten Welt sah er ausschließlich den Kapitalismus, kritisierte das imperialistische Gehabe der USA und den Irak-Krieg.

Die Debatte über das Buch ist heftig in Polen, die Demontage eines Denkmals stößt vielen Polen sauer auf. Domoslawski war ein Freund und Bewunderer des „Meisters“ gewesen und so hatte ihm Kapuscinskis Witwe Alicja vertraut und Zugang zu dessen Unterlagen gewährt. Für weite Kreise der Kapuscinski- Bewunderer hatte sich Domoslawski schon allein dadurch desavouiert. Als er dann noch Details aus dem Intimleben Kapuscinskis offenbarte und auch über dessen Geheimdienstverstrickungen berichtet, machte er sich für diese Kreise nicht nur angreifbar, sondern fast zu einem intellektuellen Nestbeschmutzer. So nannte Wladyslaw Bartoszewski die Biografie einen „Bordellführer“, andere Kritiker sahen in Domoslawski eine Hyäne,  Erzbischof Jozef Zycinski und Stefan Bratkowski, der Ehrenvorsitzende des Polnischen Journalistenverbands halten das Buch einmütig für ein die Würde eines Menschen verletzendes Enthüllungsmachwerk. Sie stellten sich auf die Seite der Witwe Alicja Kapuscinski, die mit juristischen Mittel versucht hatt, die Herausgabe des Buches zu verhindern. Doch konnte sie Domoslawski nicht in einem einzigen Fall nachweisen, die Unwahrheit behauptet zu haben.

Mindestens genauso breit ist Allianz der Verteidiger von Domoslawskis Biografie, die neue Töne anschlägt und überwiegend aus der Nachkriegsgeneration stammt. Selbst in der sonst eher konservativen „Rzeczpospolita“ las man unaufgeregte Töne. Pawel Bravo schrieb dort, mit diesem Buch melde sich erstmals so nachdrücklich eine neue Generation zu Wort, die dafür reif sei, über die Nachkriegszeit in Polen eine ganz eigene Meinung zu haben. Diese Generation interessiere sich nicht für den Heldenkult sondern wolle ganz einfach mehr wissen.

Der Schriftsteller Andrzej Stasiuk brachte es auf den Punkt:. Das neue Buch zeichne ein tiefes, mehrdeutiges und anziehendes Bild des Autors und Menschen Kapuscinski, der seinem eigenen Ruhm verfallen sei. Polen sei vielleicht noch zu unreif, um zu verstehen, wie sehr sich fiction und non-fiction heute vermischt hätten, und das nicht nur in Kapuscinskis Werk.

Wischt man den ganzen Wirbel und die Aufregung beiseite und betrachtet die Angelegenheit nüchtern, hat Kapuscinski ein paar Kratzer abbekommen, doch sein Ruf ist keineswegs zerstört, wie die teils sehr emotional geführte Diskussion vermuten lassen könnte. Man hat ihn vom Sockel geholt und wieder zu dem gemacht, was er ist: Ein Mensch und als solcher fehlbar. Die Qualität seiner Arbeiten bleibt, nur der Blickwinkel, aus dem man sie betrachtet, verändert sich. Man wird sie mehr der Literatur zuordnen.

Und es bleiben einige Fragen. Zum Beispiel nach der journalistischen Wahrhaftigkeit, die Kapuscinski verletzte. Der Leser muss darauf vertrauen können, dass der Reporter ihm den Ausschnitt der Wahrheit, die Wirklichkeit vor Ort ungeschönt beschreibt, nichts weglässt, nichts dazu dichtet, und wenn schon, dann Meinung und Vermutung deutlich als solche kennzeichnet.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1611 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".