Szydlo-Unfall: Verschwörungstheorien und Klagen über Verkehrsrowdytum

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Polens Ministerpräsidentin Szydlo hatte einen Unfall, Foto: P. Tracz/ KPRM, CC00

Polens Ministerpräsidentin Szydlo hatte einen Unfall, Foto: P. Tracz/ KPRM, CC00

Noch immer beschäftigt der Autounfall der Premierministerin Beata Szydlo den öffentlichen Diskurs in Polen. Von sachlichen Schilderungen über Skepsis gegenüber den Untersuchungsergebnissen bis hin zu neuen Verschwörungstheorien reicht die Palette der Darstellungen und Meinungen.

Der Unfall ereignete sich am Freitagabend, den 10. Februar auf der Heimfahrt zum Wochenendhaus nach Oswiecim (Auschwitz). Die Kolonne der Ministerpräsidentin bestand aus drei Wagen. Der Fahrer des Dienstwagens von Szydlo soll versucht haben, einem kleinen Fiat 600 auszuweichen, der nach links abbiegend den Fahrweg kreuzte. Das drei Tonnen schwere, gepanzerte Fahrzeug vom Typ Audi A 8 krachte an einen Baum. Neben Beata Szydlo wurde auch ein Leibwächter und der Fahrer des Wagens verletzt, beide werden im Krankenhaus behandelt. Der 21-jährige Fahrer des Fiats kam mit dem Schrecken davon und soll seine Schuld am Unfall gegenüber der ermittelnden Staatsanwaltschaft bereits eingestanden haben. Unfallzeugen sollen vor Ort nicht vernommen worden sein, sondern von den Szydlo begleitenden Sicherheitsbeamten zum Weiterfahren aufgefordert worden sein.

Der Unfall ereignete sich knapp 60 Kilometer westlich von Krakau schon im Stadtgebiet von Oswiecim, dem Wochenendwohnort von Beata Szydlo. Beata Szydlo wurde zunächst zur Erstversorgung ins örtliche Krankenhaus gebracht. Danach wurde sie in ein Warschauer Militärkrankenhaus geflogen. Von dort kam bald die Entwarnung, die polnische Premierministerin sei angeschnallt gewesen und nur leichter verletzt worden, ihr Zustand sei stabil. Zum vergangenen Wochenende konnte Szydlo bereits wieder aus der Klinik entlassen werden.

So weit die offiziell bekanntgegebenen Fakten, die niemanden aufzuregen brauchten, Unfälle passieren, Menschen machen Fehler. Doch kann man diese Fakten und vor allem die Ungereimtheiten bei den erklärten Ursachen hinterfragen und das tut man in Polen derzeit in zwei Richtungen eifrig – Regierungsschelte auf der einen Seite oder Verschwörungstheorien auf der anderen Seite verkaufen sich schließlich gut.

Regierungsschelte: Verkehrsrowdytum am Pranger

Zeugen des Unfalls meldeten sich inzwischen bei den Medien, da sich die Staatsanwaltschaft nicht für ihre Aussage interessierte. Deren Aussagen stellen den Unfallhergang etwas anders dar. Nicht nur die Zeugen, auch etliche Verkehrsexperten erklärten, die Kolonne sei vermutlich mit weit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen, dafür würden die Schäden am Szydlo-Fahrzeug sprechen. Dafür spräche aber auch die kurze Fahrzeit, denn vom Flughafen Krakau bis zum Unfallort sei die Kolonne nur 55 Minuten unterwegs gewesen. Regierungssprecher hingegen hatten behauptet, die Kolonne sei am Unfallort mit dem erlaubten Tempo von 50 km/h mit Blaulicht und Sirene unterwegs gewesen.

Weitere Zeugen berichteten, die Kolonne sei eben nicht mit dem vom polnischen Verkehrsrecht für einen privilegierte Konvoi vorgeschriebenen Sondersignal Blaulicht und Sirene gefahren. Mehrere Zeugen berichteten übereinstimmend, die Kolonne sei nur mit Blaulicht gefahren ohne die vorgeschriebene zugeschaltete Sirene. Das wiederum würde den Szydlo-Fahrer zumindest als Mitschuldigen ausweisen.

Inzwischen wurde bekannt, dass der Fahrer dieser Szydlo-Limousine für zwei Kollegen eingesprungen war, die frei hatten. Doch hatte er im Gegensatz zu den Fahrern die er ersetze keine Spezialausbildung zum Fahren von schweren gepanzerten Autos. Der Tageszeitung Rzeczpospolita und dem Fernsehsender TVN wurden Aufnahmen einer privaten Überwachungskamera zugespielt, die den Verdacht nahelegen, dass Szydlos Wagen sogar ohne Blaulicht gefahren sein könnte, ja sogar gänzlich ohne Licht. Die Aufnahmen zeigen auch, dass die Kolonne weit auseinandergerissen war, zwischen dem Führungsfahrzeug der Kolonne und dem Wagen Szydlos zeigt das Video zwei private Autos. Das stützt die Aussage des Fiatfahrers, der angegeben hatte, er habe das erste Fahrzeug gesehen und vorbeifahren lassen, den Rest der Kolonne habe er nicht gesehen.

Die Unfallhäufigkeit polnischer Regierungskonvois ist in den 16 Monaten der PiS-Regierung gestiegen. Bereits im März vergangenen Jahres hatte Präsident Duda einen Unfall, als ein alter Reifen seines Fahrzeugs bei Tempo 200 platzte. Szydlo hatte im November bei Ihrem Israel-Besuch in Jerusalem einen Unfall, Verteidigungsminister Antoni Macierewicz im Januar. Das Innenministerium bestätigte, dass Regierungsfahrzeuge jährlich in mindestens 24 Unfälle verwickelt sind.

Das rücksichtslose Fahrverhalten von Regierungskolonnen ärgert die Polen und es könnte so schnell genau das Bild entstehen, dass die PiS-Regierung doch unbedingt vermeiden will: man verhält sich genauso elitär, wie schon die „abgehobenen“ Vorgänger und nimmt sich Sonderrechte gegenüber dem Volk heraus. Leid tut Polens Otto Normalverbraucher in der Angelegenheit eher der Fiatfahrer als Beata Szydlo. Ihm nämlich droht nun vermutlich sogar eine Gefängnisstrafe. Man beginnt ihn als Bauernopfer zu sehen.

Verschwörungstheorien in PiS-nahen Medien

Die sozialen Medien sind voll von Meinungsbekundungen und Theorien über den Unfallhergang – auch Verschwörungstheorien sind dabei. Auf Twitter sieht Roman Giertych, die Unfälle von Macierewicz und Szydlo als eine Serie von Anschlägen der Opposition gegen die Regierung, es sei absurd, wenn die Gegenseite behaupte, zu schnelles Fahren sei die Unfallursache. Giertych war Vorsitzender der nationalklerikalen Partei „Liga polnischer Familien“, einem Koalitionspartner der ersten PiS-Regierung.

PiS-nahe Medien wie der Fernsehsender Republika starteten sofort eine Verschwörungstheorie. Nicht nur Premierministerin Beata Szydlo, sondern auch Präsident Duda sei Opfer einer Verschwörung, anders seien zwei Unfälle, bei denen die höchsten Repräsentanten des Landes betroffen waren, gar nicht zu beurteilen. In Wahrheit aber gab es beim Unfall von Duda zwei ganz handfeste Gründe: Der Reifen war wie alle Reifen an dem Fahrzeug über sechs Jahre alt und damit nicht mehr sicher, dazu fuhr das Fahrzeug mit einem Tempo von rund 200 km/h.

Fazit: Wer möchte da schon in der Haut des Fahrers des kleinen Fiats stecken. Er wird wohl der Sündenbock werden und im Gefängnis landen. Für die einen ist er Mitglied einer Gruppe von Verschwörern, für die anderen Bauernopfer der staatlichen Verkehrsrowdys.

Über Brigitte Jaeger-Dabek 1608 Artikel
Brigitte Jäger-Dabek kennt Polen seit vielen Jahren und ist als freie Journalistin Polen-Expertin. Sie ist Autorin des preisgekrönten Buchs "Länderporträt Polen".