Günter Grass ist tot. Er starb nach Angaben seines Verlags am Montagmorgen in einem Lübecker Krankenhaus. Der am 16. Oktober 1927 im Danziger Kleineleute-Viertel Langfuhr geborene Grass wurde Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker.
Grass war Mitglied der Gruppe 47 und gehörte mit Heinrich Böll und Siegfried Lenz zu den „großen Drei“ der Nachkriegs-Schriftsteller. Alle drei waren Schriftsteller, die sich in die gesellschaftlichen Debatten der Bundesrepublik und die Politik einmischten.
Mit seinem 1959 erschienenen Debütroman „Die Blechtrommel“, der in seiner Heimatstadt Danzig spielt, schrieb er Literaturgeschichte. Mit der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz wurde Gras‘ „Blechtrommel“ zu den Büchern der nachkriegsepoche. Der Welterfolg wurde Teil der „Danziger Trilogie“, zu der auch die 1961 erschienene Novelle „Katz und Maus“ und der 1963 herausgekommene Roman „Hundejahre“ gehörte.
Besonders setzte sich Grass für die deutsch-polnische Aussöhnung ein. Er unterstützte teils zusammen mit seinem Schriftstellerkollegen Siegfried Lenz die SPD und vor allem Willy Brandt in seinen Wahlkämpfen. Unvergessen ist sein Einsatz für die deutsch-polnische Aussöhnung und die Teilnahme – wiederum zusammen mit Lenz – bei der Warschau-Reise Willy Brandts im Dezember 1970, als Brandt dort den Warschauer Vertrag unterzeichnete. Der deutsch-kaschubische Schriftsteller war zeitlebens einer der Motoren der deutsch-polnischen Verständigung und hat das am Beispiel Danzig klar gemacht, denn er kam aus Danzig und fuhr nach Gdansk. Man hatte in Polen seine Veröffentlichungen und seine öffentlich geäußerten Statements rasch bemerkt. Bald erkannte man, dass mit Grass kein ewig Gestriger kam, keiner, der sich die Heimatstadt nicht anders, als einem Deutschland zugehörig vorstellen konnte. Er hatte die Resultate des von Deutschen in Danzig begonnenen Kriegs als endgültig akzeptiert, eines Weltkriegs der sich in Danzig auch gegen die Nachbarn im Nebenhaus richtete, einen Krieg der sechs Millionen Polen das Leben kostete, von denen drei Millionen Juden waren. So war Grass zeitlebens ein gern gesehener Besuch in seiner Heimatstadt.
Als Günter Grass 1999 den Literaturnobelpreis für seinen Roman „Die Blechtrommel“ erhielt, begründete das Nobelpreiskomitee die Wahl unter anderem damit, dass dieser Roman seit Thomas Manns „Buddenbrooks“ der erste deutsche Roman gewesen sei, der einen solchen Aufruhr mit sich gebracht habe. Gdansk überschlug sich damals fast vor Freude, Günter Grass wurde dort als einer der größten Söhne der Stadt geehrt und kam in der Popularität fast mit Lech Walesa gleich. Ein triumphaler Empfang wurde Grass zuteil, eine Parade der Blechtrommler geleitete ihn durch sein Stadtviertel Wrzeszcz / Langfuhr. Grass wurde Ehrenbürger seiner Heimatstadt und viel beachteter Diskussionspartner. Mit ihm wurde auch das schwierige Thema Flucht und Vertreibung diskutierbar. durch ihn wurden auch polnische Danziger Autoren wie Stefan Chwin in Deutschland als Schriftsteller bekannt, die diesen Themenkomplex nicht aussparten – lange vor der Übersetzung ihrer Werke ins Deutsche.
Günter Grass galt lange als das „moralische Gewissen“ Deutschlands und kompromissloser Demokrat. Das änderte sich mit der Veröffentlichung von „Beim Häuten der Zwiebel“, als Grass im Herbst 2006 seine Vergangenheit als 17-jähriger Soldat der Waffen-SS eingestand. Das schlug auch in Polen wie eine Bombe ein. Lech Walesa selbst regte die Diskussion um die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde an. Nach einem ausführlichen, die Sachverhalte klärenden Schreiben Grass‘ an den Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz war auch Walesa überzeugt, dass Grass seine Ehrenbürgerschaft behalten könne. Bei einer Umfrage äußerten sich gar zwei Drittel der Danziger Bürger gegen einen Entzug der Ehrenbürgerschaft aus. Gruppen von Bürgern taten sich zum Schutz der Oskar-Matzeratz-Figur zusammen, hatten ein wachsames Auge auf die Emailletafeln an allen Schauplätzen der „Blechtrommel“ und der Galerie Günter Grass. Bürgermeister Abramowicz betonte, dass diese Jugendverfehlung weder etwas an der Qualität seiner literarischen Werke, noch an seinen Verdiensten für die deutsch-polnische Aussöhnung ändere.
Die Kritik in Polen war in keiner Weise zu vergleichen mit dem, was sich in Deutschland über Grass entlud. Es traf es ihn wesentlich härter. Nicht nur Kritik, auch Kübel von Häme musste Grass aushalten wegen seines 60-jährigen Schweigens. So forderten CDU-Politiker Grass sogar auf, seinen Nobelpreis zurückzugeben. Möglicherweise war der unbändige lebenslange Trieb des „Schreibens gegen das Vergessen“ von Grass in dieser Waffen-SS-Mitgliedschaft zu suchen, derer Grass sich sehr schämte.
Ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Waffen-SS-Mitgliedschaft richtete Danzig „seinem“ großen Sohn zum 80. Geburtstag im Oktober 2007 im Danziger Artushof eine legendäre Feier aus. Vor allem die anschließende Diskussion mit den beiden Danziger Nobelpreisträgern Walesa und Grass, dem deutschen Ex-Präsidenten Richard von Weizsäcker und dem polnischen Ex-Außenminister Stefan Meller zeigte die Bedeutung von Grass für die deutsch-polnische Verständigung und war eine Sternstunde im deutsch-polnischen Verhältnis.
Bis zum Lebensende blieb Günter Grass ein streitbarer Geist. Ein letztes Mal löste Grass 2012 heftige Kontroversen aus, als er ein Israel-kritischen Gedicht herausbrachte, das von der Kritik nicht als antizionistisch oder als ausschließlich gegen die israelische Politik, sondern als antisemitisch angesehen wurde.
Günter Grass hinterließ ein umfangreiches Werk nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Bildhauer, Maler und Grafiker. Dazu gehören die Erzählung „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“ (1972), die den Bundestagswahlkampf Willy Brandts thematisiert, „Der Butt“ (1977) in dem die Männerherrschaft furios in einem Frauentribunal endet, „Die Rättin“ (1986), mit ihrem Weltuntergangsszenarium für die Zukunft der Menschheit, „Unkenrufe“ (1992) über die politische Annäherung und Polen, „Ein weites Feld“ (1995) über die DDR zwischen Mauerbau und Wiedervereinigung, „Mein Jahrhundert“ (1999), das In 100 Kapiteln ein Panorama des 20. Jahrhunderts aufblättert oder „Im Krebsgang“ (2002) über den Tod von 9.000 Flüchtlingen beim Untergang der „Wilhelm Gustloff“ im Januar1945.
Zu den Spätwerken von Günter Grass gehörte die „Trilogie der Erinnerung“, bestehend aus den drei autobiographischen Werken „Beim Häuten der Zwiebel“ (2006), „Die Box“ (2008) und „Grimms Wörter“ (2010).
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