Eine unter deutschen Lesern sicher vergleichsweise unbekannte Erscheinung des Zweiten Weltkriegs ist der polnische Untergrundstaat (Polskie Panstwo Podziemne). Er wurde unmittelbar nach der deutschen Besetzung des Landes 1939 gegründet.
Rasch bildeten sich noch während des deutschen Polenfeldzugs erste Untergrundstrukturen im Land heraus. Die polnische Regierung war bei der sich abzeichnenden Niederlage zunächst nach Paris ins Exil geflohen. Nach dem Beginn des deutschen Westfeldzugs floh die polnische Exilregierung weiter nach London. Den gleichen Weg über Rumänien gingen die Teile der polnischen Armee, die der deutschen oder sowjetischen Gefangenschaft entgehen konnten. Sie schlossen sich der britischen Armee an.
Die Exilregierung in London führte von nun an als anerkannter Partner alle Verhandlungen mit den Alliierten. Allerdings handelte es sich von Anfang an um eine schwierige Partnerschaft. Polen war unbequem und störte als auch von der Sowjetunion angegriffenes Land naturgemäß die Partnerschaft mit Stalin. Das galt besonders nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, als Stalin ein wichtiger Bündnispartner wurde. Interessenkollisionen mit Stalin einerseits und den Westalliierten andererseits waren unvermeidlich.
Im Untergrund des besetzten Heimatlands aber hielt die Exilregierung alle Fäden in der Hand, sie wurde von den Untergrundgruppen als legitime polnische Regierung anerkannt und hielt mit allen diesen Gruppen Kontakt. Das Oberkommando aller Widerstandoperationen lag bei der Regierung in London. Jeglicher Widerstand richtete sich dabei gegen das Deutsche Reich und die Sowjetunion, also gegen beide Besatzungsmächte.
Ein ganzer Staat taucht unter
Von Angang an im Untergrund dabei waren in Polen dabei das Parlament, viele soziale Einrichtungen sowie sage und schreibe zwölf Ministerien. Auch über eine eigene Truppe verfügte der Untergrundstaat, die Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) genannt wurde. Diese Heimatarmee hatte Strukturen und Hierarchie einer regulären Armee, viele der Einheiten waren uniformiert.
Im besetzten Polen waren inzwischen auch zahlreiche Verwaltungsorgane, ganze Schulen und Universitäten in den Untergrund gegangen. So blieben die staatlichen Strukturen Polens auch im Untergrund weitgehend erhalten. So waren viele Widerstandsgruppen von Anfang an nicht nur bestens vernetzt, sondern auch straff organisiert. Die einzelnen AK-Einheiten operierten meist in kleinen Gruppen, um das große Ganze nicht zu gefährden. Und dieses große Ganze war der Bestand des polnischen Untergrundstaat PPP mit dem Ziel der Wiedererlangung der polnischen Souveränität Ein ganzer Staat war untergetaucht.
Die Idee des polnischen Untergrundstaats war, dass sowohl die Besetzung Polens durch das Deutsche Reich als auch die durch die Sowjetunion völkerrechtswidrig waren. Daher sah Polen auch die Organe der Besatzungsmächte als illegal an und setzte an deren Stelle polnische Institutionen, die nach polnischem Recht operierten.
Zu diesem Untergrundstaat gehörte auch ein reiches Kultur- und Bildungsangebot. So gab es ein eng geknüpftes Netz von Untergrundschulen und Hochschulseminar, die oft in privaten Wohnzimmern abgehalten wurden. Dazu sorgte eine große Anzahl von rund 1.500 Untergrundpublikationen, die von Hand zu Hand weitergegeben wurde und die Polen informiert hielt.
Der zivile Widerstand und seine Aktionen
Ziviler und militärischer Widerstand waren klar getrennt. Der zivile Widerstand arbeitete in zwei Richtungen. Der Besatzungsmacht sollte demonstriert werden: Wir sind da und wir sind viele. So sollte der zivile Widerstand Deutschen und Sowjets klarmachen, dass sie in Polen nirgends sicher und unbeobachtet sind. Zweites Ziel war es, der bedrängten polnischen Bevölkerung Mut zu machen, sie zum Durchhalten zu ermuntern und Präsenz zu zeigen.
Die Judenhilfe
Trotz der angedrohten Todesstrafe für Polen, die Juden halfen, gab es ab 1942 zunächst das „Provisorische Komitee zur Unterstützung der Juden“ (Tymczasowy Komitet Pomoca Zydowe, das Juden in Not unterstützte. Später wurde daraus der „Rat zur Judenhilfe“ (Rada Pomoca Zydow).
Der militärische Widerstand
Der militärische Widerstand übte Anschläge gegen die Besatzungstruppen und die Verwaltungen der Besatzungsmächte durch und befreite gefangene Polen, vor allem Mitkämpfer. Diese bewaffneten Aktionen waren wohlüberlegt, um die eigenen Stärke für einen großen finalen Befreiungskampf, also den nationalen Aufstand zu schonen und beisammen zu halten. Das war dann der Warschauer Aufstand im August 1944. Eine weitere wichtige Schiene des Widerstands war der eigene Spionagering, an dessen Spitze zentral die Meldungen aus allen Untergrundbereichen zusammenliefen.
Die Pfadfinder
Landesweit organisierte Jugendgruppen, wie die Pfadfinder gingen mit ihren Vorkriegs-Organisationsstrukturen in den Untergrund. Eine besondere Rolle spielte dabei der Pfadfinderbund (Zwiazek Harcerstwa Polskiego). Der schon am 27.9.1939 gegründete Untergrundverband der Pfadfinder erhielten den Decknamen „Szare Szaregi“, Graue Reihen. Ziel der Untergrundorganisation war die Bildung und Erziehung der Jugend für und durch die Kampfbeteiligung.
Das Untergrund-Programm der Pfadfinder fußte auf dem Gedanken „Heute-Morgen-Übermorgen“ Diese Leitlinie fasst die drei Aspekte des Pfadfinder-Daseins im Untergrund zusammen. „Heute“ war der Pfadfinder in seiner Teilnahme am Untergrundgeschehen und der Konspiration, „morgen“ die Vorbereitung auf den Befreiungskampf, „übermorgen“ Leben und Arbeiten im befreiten Polen.
Demgemäß waren die Untergrundstrukturen in Altersgruppen unterteilt. Pfadfinder im Alter von 12 – 14 Jahren waren „Zawisza“(berühmter polnischer Ritter) und wurden für Hilfsdienste beim Aufstand geschult wurden. Dazu setzten sie im Untergrund die Schulausbildung fort.
Die 15 – 17-jährigen Pfadfinder gehörten den „Kampfschulen“ an, wurden militärisch für den Kampf geschult, führten kleinere Sabotageaktionen durch und nahmen an der Aktion „N“ teil, die zersetzende Propaganda unter den Deutschen durchführte und zu Erkundigungen eingesetzt wurden. Auch diese Altersgruppe nahmen weiterhin an der Untergrundschule und Berufsausbildung teil.
Pfadfinder über 17 Jahren waren in den „Sturmgruppen“ organisiert und nahmen am bewaffneten Widerstand teil. Dazu erhielten sie eine Offiziersausbildung, beendeten ihre Schuld- und Berufsausbildung und nahmen dann ein Studium auf. So wurden die jungen Pfadfinder von den rein zivilen Widerstandsoperationen bis hin zum bewaffneten Kampf in militärischen Einheiten ausgebildet und geführt, die der AK unterstanden.
Alle Kämpfer trugen die weiß-rote Armbinde und die Pfadfinderuniform. Die Szare Szeregi galten als ausgezeichnet ausgebildete und disziplinierte Sturmgruppen (Grupy Szturmowe). Berühmt wurden die Szare Szaregi durch die „Operation Arsenal“. An der am 26. 3. 1943 stattfindenden Befreiungsaktion nahmen 28 Pfadfinder teil, acht von ihnen starben. Diese Aktion ist bis heute durch einen Roman und mehrfache Verfilmungen in ganz Polen bekannt.
Der Untergrundstaat und die Kommunisten
In diesem komplexen von der Exilregierung in London gesteuerten polnischen Untergrundstaat waren Kommunisten kaum beteiligt. Dazu gab es in Polen keine kommunistische Partei mehr. Die Kommunistische Partei Polens KPP wurde von der Komintern bereits 1938 aufgelöst. Erst 1942 gründete sich die Polnische Arbeiterpartei PPR im Untergrund neu. Eine kommunistische polnische Widerstandsgruppierung organisierte sich in der Sowjetunion mit Stalins Segen. Auch gab es polnische Truppenteile innerhalb der Roten Armee. Im Frühsommer 1944 war es klar, dass es die Rote Armee sein würde, die Polen befreien würde. Am 22. Juli 1944 wurde in Lublin, der ersten befreiten größeren polnischen Stadt das „Polnische Komitee der Nationalen Befreiung“ (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN) gegründet und im Volksmund „Lubliner Komitee“ genannt. Das Lubliner Komitee übernahm die provisorische Regierung Polens. Mit dem Vorrücken der Roten Armee hatte Stalin somit ein funktionierendes Instrumentarium an der Hand, de facto die Macht in den eroberten polnischen Landesteilen zu Kontrollieren und Fakten zu schaffen. Zwar fanden auf alliierten Druck Verhandlungen zwischen „Londoner“ und „Lubliner“ Regierung statt, doch führten sie zu keiner Einigung. Damit war schon klar, wer ein befreites Polen kontrollieren würde, die Londoner Exilregierung war mattgesetzt. Auch die letzte große Aktion des Untergrundstaats, der Warschauer Aufstand konnte das nicht mehr ändern. Stalin sah die Intention der Exilregierung, die Rote Armee im freien Warschau zu begrüßen voraus und gab der Roten Armee den Haltebefehl am östlichen Weichselufer. Polens Nachkriegsschicksal war damit besiegelt – Vom Selbstbestimmungsrecht der Polen und demokratischen Wahlen war keine Rede mehr.
Mit dem resignierten Urteil, dass Polen bereits erneut besetzt sei, löste sich das polnische Untergrundparlament am 1. Juli 1945 auf.
In eigener Sache:
In einigen Tagen erscheint ein neues Ebook von mir zu diesem Thema Zweiter Weltkireg in Polen:
Brigitte Jäger-Dabek, „Polen im Zweiten Weltkrieg. Vom deutschen Überfall zum Holocaust.“
Ich werde Sie hier informieren, sobald es bei allen Ebook-Händlern erhältlich ist.
Weitere Artikel der Serie
- Der polnische Untergrundstaat 1939-1945 (14. September 2015)
- Dossier: Der Zweite Weltkrieg und Polen (25. August 2014)
- Jan Karski – Diplomat und Widerstandskämpfer (10. Februar 2014)
- Holocaust: Die deutsche Ordnungspolizei, der mordende Freund und Helfer (17. Juli 2013)
- Polen: Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag des Massakers von Wolhynien (15. Juli 2013)
- Vor 70 Jahren: Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto (19. April 2013)
- Polen: Kritik am ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ (27. März 2013)
- Holocaust: Poklosie-Ein Film rüttelt am Geschichtsbild der Polen (27. Januar 2013)
- Warschauer Getto: Am 22.Juli 2012 beginnt die Auflösung (23. Juli 2012)
- Polen: Neues Buch von Jan Tomasz Gross erregt die Gemüter (11. März 2011)
- Polen: Wielun, der vergessene Kriegsbeginn (1. September 2010)
- Der Warschauer Aufstand 1944 (5. August 2010)
- Marek Edelmann ist tot (5. Oktober 2009)
- Teufelswerk: Der Hitler-Stalin-Pakt (1. September 2009)
- Die polnischen Opfer (1. September 2009)
- Polen im 2. Weltkrieg (1. September 2009)
- Der 1.September 1939 (1. September 2009)
- Gehalten bis zum letzen Tag – Das KZ Stutthof (13. Januar 2009)
- Auschwitz – Grauen ohne Worte (2. Januar 2009)
- Zum Scheitern verurteilt–Die Freie Stadt Danzig (30. Dezember 2008)